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Dienstag, 14. Oktober 2008

Über den Sinn und Unsinn von Gebärden

Erstmal zum (vermeintlichen) Unsinn:

Frau Sammler, bei der Lola zur Frühförderung geht, meinte, es sei nicht nötig, Lola Gebärden beizubringen. Sie sei sehr 'kommunikativ' und brabbele ja auch schon, so dass man es erst mal nur mit Lautsprache versuchen solle. Denn es sei möglich, dass sich der Beginn der Lautsprache sonst verzögere...

Jutta Müller, eine ehemalige Kollegin vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, bemerkte gestern kritisch, dass es doch generell nicht einfacher sein könne, eine Gebärde zu lernen als ein gesprochenes Wort. Denn das Erlernen eines neuen Wortes (gebärdet oder gesprochen) hänge doch vor allem vom Verständnis des zugrundeliegenden Konzeptes ab. Erst wenn ein Kind also das Konzept von 'Essen' oder 'Apfel' verstanden habe, könne es dies auch mit einem Symbol assoziieren, egal ob gebärdet oder gesprochen. Die Gebärde oder das Wort wird also erst dann gelernt, wenn das Kind das zugrundeliegende Konzept von 'Essen' und 'Apfel' verstanden hat (mehr über den Zusammenhang von Wort- und Konzepterwerb, allerdings auf Englisch und recht umfangreich, gibt's hier).

Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass Kinder von taubstummen Eltern, die mit Gebärdensprache aufwachsen, etwas früher anfangen zu gebärden als andere Kinder anfangen zu sprechen, wie eine allerdings etwas ältere amerikanische Studie zeigt.

Nun aber auch über den SINN:

Ich versuche aber doch mit Lola Gebärden zu benutzen, und zwar vor allem deswegen, weil man sich dadurch zwingt, langsam und deutlich zu sprechen und auch weniger zu sagen, am besten sogar nur ein Wort. Dies ist gerade bei Kindern mit Down-Syndrom wichtig, denn selbst wenn sie gut hören können, haben sie doch Probleme bei der akustischen Unterscheidung von einzelnen Lauten. Dadurch fällt es ihnen schwerer, ein einzelnes Wort aus dem Lautstrom zu segmentieren. Das langsame Sprechen eines einzelnen Wortes hilft also, das Wort überhaupt erstmal zu erkennen. Man kann sich das so vorstellen. 'ohguckmalmeinschatzsiehstdudenrotenapfelmmhleckersoein
schöenerapfelwillstdudenhaben' im vergleich zu 'APFEL', während die Mutter auf einen Apfel zeigt. Was ist wohl einfacher?

Ein anderer wichtiger Vorteil der gebärdenunterstützten Kommunikation besteht darin, dass man darauf achten muss, dass einen das Kind anschaut, denn sonst sieht es ja die Gebärde nicht. Und damit ist eine andere wichtige Bedingung erfüllt für den erfolgreichen Spracherwerb, nämlich die gemeinsame Aufmerksamkeit von 'Mutter' und 'Kind' während der Kommunikation. Guckt das Kind gerade den Frosch an, während die Mutter 'Ente' sagt, wird es wohl nicht viel lernen. Auch ist fraglich, ob das Kind das Wort 'Milch' versteht, wenn die Mutter mit dem Rücken zum Kind das Fläschchen zubereitet und dabei zum quengelnden Baby sagt ,Ja warte, meine Kleine. Gleich kriegst du dein Fläschchen Milch.' Wieviel klarer ist es doch, wenn die Mutter dem Kind die Flasche zeigt, klar und deutlich 'Milch' sagt und dazu vielleicht noch die Gebärde für Milch macht, bevor sie dem Kind die Flasche gibt. Diese gemeinsame Aufmerksamkeit während der Kommunikation, der sogenannte 'joint attentional frame', ist nach Michael Tomasello, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig, eine wichtige Grundbedingung für erfolgreichen Spracherwerb. Und in diesem Sinne ist das Verwenden von Gebärden sinnvoll. Indem es uns nämlich zwingt, einen solchen 'joint attentional frame' herzustellen.

Der Großteil der Kinder wird wahrscheinlich auch sprechen lernen, wenn ihre Eltern über ihren Kopf hinwegreden, denn die Natur hat sie mit der Fähigkeit ausgestattet, auch im grössten Chaos Regelmäßigkeiten zu erkennen. Aber mit gebärden-unterstützter-Kommunikation sollten sie es schneller tun, was die vielen Berichte von Eltern, die mit ihren Kindern die Babyzeichensprache verwenden, auch zeigen. Und für Kinder mit Down-Syndrom ist die gebärden-unterstützte-Kommunikation sicherlich eine ganz wichtige Stütze beim Sprachwerwerb, wenn nicht sogar die Grundbedingung. Und deswegen werde ich weiter mit Lola Gebärden verwenden. Und ich hoffe, sie auch bald mit mir.

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