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Dienstag, 4. November 2008
... ist besonders.
Neulich war ich in meinem Bericht stehen geblieben, in der Nacht im Krankenhaus, als Lola fort war, mit der Ambulanz in die Uniklini. Und ich da lag und mir klar war, dass sie Down-Syndrom hat. Es war wohl eine dieser Situationen, die so auswegslos sind, so entgegen allem, was sich der gesunde Menschenverstand wünscht, dass man verzweifeln will. Ich bin eigentlich eine dieser Personen, die immer gerne einen Schuldigen suchen und dann alles auf diesen bösen Sünder abschieben. Aber in diesem Fall, wie auch, wenn man dem Tod begegnet bzw. jemandem, der im Sterben liegt, macht es keinen Sinn mehr, danach zu suchen. Es ist einfach zu spät. Es macht alles erstmal überhaupt keinen Sinn, nicht nach unseren Vorstellungen zumindest. Aber man muss es ja aushalten, irgendwie. Und irgendwie gehöre ich auch zu diesen Personen, die immer überall einen Sinn suchen. Ich weiss, das kann nervend sein, aber ich bin nunmal so. Und so lag ich da also und wusste, dass Lola anders ist, ganz anders als alles, was ich mir je vorgestellt hatte.
Und da kam plötzlich dieses Gefühl, so gross und stark und einfach. Alles machte plötzlich Sinn. Es war einer dieser Gedanken, die man nie denkt, weil man üblicherweise vorher aufhört zu denken. Man kriegt diesen letzten Gedanken einfach nie hin. Weil man zu sehr in all den konventionellen Gedanken steckt. Aber in dieser Nacht habe ich irgendwie schon ein bisschen die andere Seite berührt. Und ich hab weiter gedacht. Und da kam dieser Gedanke, aber eigentlich war es gar kein Gedanke, vielmehr ein Gefühl der Erkenntnis, ein Gefühl der Befreiung. Und natürlich gelingt es mir deswegen auch überhaupt nicht, es annähernd so zu beschreiben, wie ich es damals empfunden habe. Zumal meine damaligen Gedanken mit denen aus den letzten Monaten bis zur Unkenntlichkeit verschmolzen sind. Aber ich wusste plötzlich, dass Lola all meine Fragen beantworten würde. Dass ich mit ihr mein Leben einfach auf den Kopf stellen müsste. Dass mit ihr mein bisheriges Streben nach Erfolg, akademischer Laufbahn, Anerkennung durch die schöne Gesellschaft, meine Eltern, das all das überhaupt keine Bedeutung mehr haben würde. Dass ich einfach etwas gänzlich anderes würde machen müssen, jetzt wo sie da sei. Und irgendwie war ich plötzlich ganz ehrlich mit mir und spürte, wie sehr mich all dieses Rennen und Streben und Gelten und Sein in dieser schönen Welt so belastete, wie unerträglich das war. Und ich war einfach dankbar, dass sie gekommen war, mich davon zu befreien....
Ich hatte fast ein bisschen ein schlechtes Gewissen, denn Lola ist entstanden in einer Zeit der tiefsten Depression, in der ich mich wegen meiner Doktorarbeit unglaublich unter Druck gesetzt habe und versuchte, die Welt zu erklären, anstatt meine Daten einfach nur anständig zu beschreiben und zu interpretieren. Und da bin ich schwanger geworden, es war wie eine Flucht. Denn den Auftrag 'Kind machen' den erfülle ich ja nun schon, bin also irgendwie sinnvoll in meinem Tun, und brauch nicht mehr so viel der Welt beweisen. Und also kein Wunder, dass es dann auch ganz konsequent eine Flucht geworden ist, denn mit Lola würde ich mich dauerhaft nicht mehr diesem Druck stellen müssen. Mit Lola wäre eine akademische Karriere wohl nur auf ihre Kosten möglich, und das wollte ich auf keinen Fall, das wusste ich schon in dieser Nacht, zwischen leeren Windeln und leeren Babybettchen.
Und so hat mir die Logik des Universums, in dem alles nach Ausgleich strebt, dieses kleine Kind gesendet, auf dass ich eine andere Lektion lerne, die der Liebe. Nicht umsonst haben wir die Kleine sicher auch Lola genannt. Erst später bin ich zufällig auf das LOLA-Prinzip gestossen, das wohl für 'Liebe' und 'Loslassen' steht, man beachte meinen älteren Post zu diesem Thema. Und nicht umsonst begrüsst mich die Oberärztin am nächsten Morgen mit einem strahlenden Lächeln: 'Herzlichen Glückwunsch!' und fügt hinzu, nicht weniger lächelnd 'Alles im Leben hat einen Sinn!' Und ich sehe in ihren Augen, dass sie es in ihrem tiefsten Inneren glaubt. So wie ich.
Das alles doch nicht so einfach ist, dass ich von meinen konventionellen Erwartungen doch nicht so einfach weg komme und vor allem nicht von denen meiner Mitmenschen, dass lerne ich natürlich schon bald. Meine erste Euphorie zu den Auserwählten zu gehören, hört eigentlich schon auf, als meine Mutter Lola liebevoll in den Arm schliesst, und meint, dass Lola doch ganz 'normal' sei , sie sähe überhaupt keine Anzeichen für Down-Syndrom. Da fange ich an, in einem Winkel meiner selbst, zu hoffen, dass sie wirklich ganz 'normal' sei ... und plötzlich ertappe ich mich immer wieder dabei, wie ich sie beobachte, kritisch überprüfe, den Katalog der Stigmata durchgehe und innerlich Wahrscheinlichkeiten berechne... und meinem Gefühl zu misstrauen beginne... und erst wieder zur Ruhe komme, als wir das Ergebnis des genetischen Tests vorliegen haben.
Und meine Euphorie wird auch gedämpft, als mir nach der Klinik zuhause eine quicklebendige, quirlige Greta entgegen springt, die mir alles entgegenschreit, was Lola vielleicht nie können wird. Und mein ganzer Stolz auf meine allersüsseste Greta zerfliesst plötzlich und ich wollte, sie wäre nicht so schnell und so süss ... und ich weiss gar nicht, wie ich meine beiden Töchter jede auf ihre Art lieben können soll, so unterschiedlich sind doch die Ansprüche, die ich an sie stellen kann. Und da merke ich erst, wie hoch die Erwartungen eigentlich sind, die wir an unsere Kinder haben, an die vermeintlich 'normalen'. Was sie alles können müssen, in welchem Tempo, welchen Druck sie aushalten müssen. Wieviel unserer Hoffnungen auf ein besseres Leben, auf Erfolg, den wir selber vielleicht nie gehabt haben, sie kompensieren müssen. Und beinahe bin ich erschreckt darüber, wieviel ich Greta eigentlich immer abverlangt habe...
Und dann eine der ersten Glückwunschkarten und dieser erste Satz, 'wir wissen gar nicht, was wir sagen sollen'... und mir kommen zum ersten Mal die Tränen. Und die Blicke der anderen Eltern als ich Greta bei Annette, ihrer Tagesmutter abhole, mit Lola im Tuch unter dem Mantel. Dieser vorsichtige prüfende Blick, mit Sicherheitsabstand, der heruntergezogene Mundwinkel trotz Lächeln, lange noch fühle ich dieses verhaltene Entsetzen in ihren Augen, als hätte uns eine schwere und ansteckende Krankheit befallen.
Wie wohl taten da doch die Worte von Lukas, Annette's Sohn, als ich ihm auf der Strasse vor dem Haus begegne und meine, es sei das erste Mal, dass Lola unter Leute kommt. 'Was für eine Ehre' sagt er und strahlt. Und ich strahle. Und dieses Strahlen mir zu bewahren, das wünsche ich mir... leicht ist es nicht, 'aber was ist schon leicht', sagt mein Vater immer.
Ach Amelie - nun hast Du es doch noch geschafft, mich zu Tränen zu rühren: Ausgerechnet mein Lukas hat Dich nach Lolas Geburt zum Strahlen gebracht?
AntwortenLöschenJa, er hat auch schon so oft mein Herz berührt - in jede Richtung!
Herzlichst - Annette.
Hallo Amelie,
AntwortenLöschenich lese schon eine Weile still bei Euch mit und heute sitze ich hier mit Tränen in den Augen, weil mich Deine Berichte über die ersten Tage mit Baby und doch ohne Baby so sehr an unseren Mittleren erinnern. Zumal das Klinikum in Gera offensichtlich die gleiche Bettwäsche benutzt, so daß es von Daniel auch so ein Foto in Elefantenbettwäsche und mit Infusionszugang im Kopf gibt. Es zerreißt einen und gleichzeitig kann man doch so unglaublich stark sein, das hätte ich nie für möglich gehalten. Daniel kam mit einer Lippenspalte auf die Welt (was nun gar nicht dramatisch ist), hatte dazu aber eine schwere Sepsis und mußte direkt nach der Geburt beatmet auf die Neonatologie verlegt werden... Das ist über fünf Jahre her und ich denke selten über diese Zeit nach, aber eben dieses Foto hat alles wieder hochgebracht.
Ich wünsche Lola und Euch allen ganz viele Momente zum Strahlen!!!
Herzliche Grüße,
Karen
(die5wawuschels(ät)web.de)
Liebe Amelie
AntwortenLöschenich bin im Moment irgendwie sprachlos. Es ist Betroffenheit, aber auch das Gefühl, mitten drin zustehen selber. Ich habe dich ja vor Lola nicht gekannt, aber jetzt zu spüren, wie sehr Lola durch dich wirkt und gewirkt hat ist schon sehr sehr berührend.
Danke.
Gabriela
Liebe Annette,
AntwortenLöschenund Du, du hast mich schon vor Lukas und auch später immer wieder zum Strahlen gebracht.
Schon das erste Telefonat nach ihrer Geburt, du warst die erste, der ich von meinem Verdacht Down-Syndrom erzählt habe. Und du hast es so selbstverständlich angenommen, erzählt von Lucie, die so ein fröhliches Mädchen ist. Wieviel Kraft hat mir das gegeben. Und die Blumen, das Buch, der Wichtel und der von dir und Greta gebackene Kuchen. All diese Liebe darinnen. Die hat unsere ersten Tage begleitet. Begleitet Greta fast jeden Tag und hoffentlich bald auch Lola.
Mit Worten kann ich dir gar nicht dafür danken. Aber in GeDANKEN jeden einzelnen Tag.
Ganz liebe Grüsse,
Amelie
Liebe Karen - ja, es ist schon erstaunlich, was unsere Kinder in uns für Kräfte wecken... Ich hätte mich auch nie für so stark gehalten. Aber eigentlich war ich so richtig stark auch nur nach der Geburt. Jetzt wünschte ich mir manchmal diese Gelassenheit zurück. Vielleicht auch diese Demut und diese Ergebenheit. Die machen uns im Grunde so stark.
AntwortenLöschenGanz liebe Grüsse an deine Familie, die Wawuschels.
Amelie
Liebe Gabriela - Lola hat nur etwas in mir aufgeweckt, was immer schon da war und nur berührt werden wollte. Wenn ich es nur immer zulassen wollte...
AntwortenLöschenGanz herzliche Grüsse,
Amelie