"Das Buch, nein, das schreibe ich nicht mehr. Letzte Woche habe ich entschieden, definitiv damit aufzuhören. Ich schaffe es nicht. Wann immer ich mich dran setze, stehen meine Gedanken plötzlich still, und ich bin voller Widerstände. Ich kann es nicht schreiben. Wahrscheinlich ist grade einfach etwas anderes dran." Die Kollegin nickte verständnisvoll.
Und - ist das so? Habe ich wirklich aufgehört, das Buch zu schreiben? Was für ein Buch überhaupt? Die ersten Ideen dazu habe ich neulich beim Duchstöbern meiner alten Tagebucheinträge gefunden, am 19. September 2008.
ein buch - oder nur ein projekt?
kann und sollte ich ein buch schreiben, über das letzte jahr? über mein leben? mit und ohne lola? was ich gefühlt habe, was ich denke, was ich fürchte. (...)
es wäre schön, das aufschreiben, aussprechen zu können. es würde mich zwingen, mir so vieles von der seele zu schreiben. und wirklich mal ehrlich zu sein. all die dinge zu sagen, die mir durch den kopf gegangen sind und gehen. die nicht zusammen passen, ausser in meinem leben.(...)
ich hätte lust dazu, und doch habe ich auch angst. dass ich es nicht kann. dass ich nicht weiss, wie ich es anfangen soll. wie ich es durchziehen soll. ob ich es schaffe, wirklich ehrlich zu sein. ob ich nicht in langweilige beschreibungen verfalle. ob das auch 'originell' genug ist. ich komme mir oft so abgedroschen vor.
(...) und ich könnte schreibend mich selber therapieren, das ganze viel tiefer verarbeiten.
was erzählt man in so einem buch, was nicht. die probleme mit der Familie? die konflikte mit ricardo, das ewige gezeter? bin ich da nicht unten durch? wie ehrlich muss ich sein? meine ganzen inneren konflikte offen legen? mich vor allen entblössen, verletzlich machen, darauf festlegen lassen? oder doch lieber bei lola bleiben? aber es ist doch viel mehr als lola. sie hat mich nur dazu angestossen, all diese konflikte offen gelegt. ich hatte sie nur zugeschüttet und ruhig gestellt. nicht wahr haben wollen. also kann ich sie nicht ganz weglassen. es wird sich zeigen...
Das Buch erschien mir von Anfang an als Möglichkeit, mich selber zu therapieren. Durch das Schreiben. Nur leider, sobald ich angefangen hatte, an dem Buch zu arbeiten, blieben mir die Worte irgendwo stecken. Ich hatte riesige Ansprüche und null Output. Es floß nicht mehr. Oder, das Gegenteil: ich verlor mich in detaillierten Beschreibungen, ohne Spannung, langweilig aneinander gereiht. Beim Durchlesen schlief ich selber ein. Ich schaffte es nicht, ohne direkte Leser spannend zu schreiben.
Das andere Problem bestand von Anfang an darin, dass ich nicht die nötige Mischung aus Offenheit und Zurückhaltung fand. Ich traute mich nicht, über meine Ängste und meine Wut zu schreiben. Ich hatte Angst, mir diese Blöße zu geben. Die Konflikte innerhalb meiner Familie gehörten zu der Geschichte dazu, aber ich wollte nicht öffentlich darüber schreiben. Ohne diese Elemente fiel aber die ganze Geschichte zusammen.
So blieb "das Buch" weitestgehend eine Idee und zählt nach zwei Jahren "Schreiben" vielleicht schlappe 50 - 70 Seiten, die in etwa meiner Vorstellung entsprachen. Alle anderen Seiten sind im digitalen Papierkorb gelandet. Und jetzt? Komme ich nicht weiter.
Dazu kommt die Tatsache, dass Lola und ihre Down-Syndrom mit der Zeit immer mehr an Bedeutung verloren haben. Sie ist ein Kind wie andere auch. Manchmal zuckersüß, oft unendlich eigensinnnig und - unglaublich frech. Sie geht in den Kindergarten und macht weitestgehend ihr Ding, in ihrem Tempo. Ihre fehlende Sprache bereitet mir Bauchschmerzen, aber ich arbeite dran und bin voller Zuversicht. Der Vergleich mit anderen Kindern ihres Alters quält mich nicht mehr, kein bisschen. Auch wenn es mich natürlich ankotzt, wenn sie sich schreiend auf den Boden wirft, anstatt brav an der Hand über die Straße zu gehen. Aber das hat mit dem Down-Syndrom nun ganz und gar nichts zu tun. Das kotzt mich bei Greta genauso an. Sprich: mein Eigen-Therapie-Bedarf ist gesunken. Ich brauch mich schreibend nicht mehr therapieren, denn es ist gut so, wie es ist.
Daüber hinaus ist es oft ungeheuer anstrengend, über die alten Geschichten zu schreiben. Über den Anfang mit Lola, mein Hadern, das Stechen in der Brust, ihre Krankheit, ihre unendlich langsame Entwicklung und all meine Ängste. Beim Schreiben darüber kommen all die Gefühle von "damals" wieder hoch. Das Schreiben bedeutet ein Stück weit, wieder "in der Vergangenheit" zu leben, nicht mehr Jetzt, im Moment. Und das alleine quält....
Also, schien mir die logische Konsequenz, das Schreiben aufzuhören. Das bisher Geschriebene auf meinem Computer verrotten zu lassen, bis die Festplatte eines Tages platzt. Und unser Leben weiter zu leben, ohne Buch. Guter Plan, oder? Unendlich viel einfacher. Zumal das Schreiben neben der Arbeit und den Kindern auf die Abende beschränkt ist und mir doch immer einiges abverlangt....
Aber, jetzt kommt das große Aber, es geht nicht! Auch ohne Buch kann ich nicht leben. "Mit" nicht und "Ohne" auch nicht.
Und am letzten Freitag war ich nun bei einer Frau, die Berufscoaching macht. Es ging mir darum, Orientierung für meine berufliche Zukunft zu finden. Ich suchter Hilfe dabei, welches meiner Projekte die meiste Aufmerksamkeit verdient. Und was kam dabei heraus? Dass das Schreiben meines Buches ein ganz wichtiges Projekt sei, zwar nicht dem Geldverdienst dienlich, aber für mich und meine "spirituelle" Seite. Es sei ungeheuer wichtig für mich und mein Leben, es würde mich mir selber viel näher bringen und sicher auch vielen anderen Menschen helfen. Natürlich sei es schwer, sich diesen dunklen Gefühlen zu öffnen, niemand mag das, aber genau darin liege meine Aufgabe. Das auszuhalten und es ans Licht zu holen, auch wenn es mich alles kosten würde. Wow, das hatte ich von einem Berufscoach nicht erwartet.
Da steh ich also nun mit diesem Wissen um die Wichtigkeit des Buches - und auf der anderen Seite - mit all meinen inneren Widerständen, die gegen das Schreiben sprechen. Und was mache ich in meiner Not?
Ich werde anfangen, hier im Blog die Geschichten des Buches zu schreiben, in kleinen Happen. Auch wenn ich das nie wollte, weil ich dachte, es würde mich blockieren. Aber mittlerweile habe ich das Gefühl, das Gegenteil ist der Fall. Es inspiriert mich zu wissen, dass viele Menschen mitlesen, und ich vielleicht auch an den Kommentaren vieles ablesen kann. Vielleicht wird dann eines Tages ein Buch aus diesen Geschichten, vielleicht auch nicht. Jetzt werden erstmal die Geschichten im Vordergrund stehen, meine Gefühle aus den ersten Jahren mit Lola. Vielleicht nicht immer in chronologischer Reihenfolge, aber so, wie es mich eben gerade inspiriert.... Und ich hoffe inständig, dass mein Schreiben auf diese Art und Weise wieder in Fluß kommt.
Liebe Amelie!
AntwortenLöschenIch freu´mich drauf!
Liebe Grüße - Annette
und ich erst!!!!!!!!!!
AntwortenLöschen:-)) christina
Deine Worte sprechen mir direkt in mein Herz, in mein Gefühl.
AntwortenLöschenIch hab meinen Blog in letzter Zeit vernachlässigt, zuviele Dinge, die einfach nicht geschrieben werden wollten/konnten.
Doch immer, immer,wenn ich schreibe, lese, mich austausche über dieses spannende Thema Down Syndrom, dann fühlt es sich so RICHTIG an.
All diese ineinander verwobenen Ereignisse und Menschen, Emotionen und Sichtweisen....dürfen die an die Öffentlichkeit?
Oh, ich glaube, sie müssen es sogar!
Folge diesen Hinweisen, dem Leben Wörter anzuziehen.
Du kannst das
Liebe Grüße
Barbara
ich versteh Dich so gut...
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Maria
Das finde ich super und ich freue mich schon sehr drauf.
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Sophia
Hallo Amelie,
AntwortenLöschender Spagat zwischen privatem und sich-öffnen und dadurch Austausch erfahren ist mir auch manchmal sehr schwer gefallen. Aber in der Summe hat das Positive, was ich aus dem offenen Schreiben gewonnen habe, das Nachteilige überwogen.
Alles hat seine Zeit. Und vielleicht ist gerade jetzt die Zeit für Dich, Dich mitzuteilen. Ich wünsche Dir dabei ein gutes Gefühl und ein wertvolles Feedback von Deinen Lesern!
Alles Liebe
Hallo Amelie,
AntwortenLöschenbislang war ich auch nur eine stille Leserin.
Ich kann gut verstehen, dass du viele persönlich nicht einem oftmals anonymen Publikum präsentieren möchtest.
Aber mir hilft es zu lesen, dass es auch in anderen Familien und anderen Beziehungen nicht nur harmonisch zugeht.
Das müssen keine detailreichen Beschreibungen sein, schon kleine Hinweise, wie in deinem letzten Post reichen.
Klar gehört da viel Mut dazu. Ich bin aber überzeugt davon, dass du eine gute Balance finden wirst.
Am Anfang hatte ich in meiner Beziehung viele Probleme, da ich mir selbst gegenüber nicht zugeben wollte, dass es ganz normal ist, manchmal Reibereien oder auch Streit zu haben. Und dann hat sich das erst so richtig hochgeschaukelt...
Alles Gute für die Zukunft aus Mannheim
Ragna