Mittwoch, 6. November 2024

Herzensweite

Der Tag heute war erst so trüb bei mir. Enge im Herzen, wie getrieben und ruhelos. Als würde jemand mit der Stechuhr hinter mir stehen. Dabei hatte ich gar nicht so viel zu tun im Vergleich zu den letzten Tagen. Aber ich rotierte (diesmal innerlich) immer noch so, als hätte ich ganz viel zu erledigen. 

 

Vor lauter Schaffensdruck verschloss ich aus Versehen den Koffer, den ich Greta nach Spanien schicken wollte, (mit allerhand Gepäck, das sie auf den Flug nicht hatte mitnehmen können), mit dem Kofferschloss. Kannte aber dummerweise den Code nicht. Oh no! Koffer zu für immer. Na super. 

Zum Glück - der grenzenlosen Schlauheit des Internets sei Dank - fand ich dort aber einen Hinweis, wie man den Code von Kofferschlössern in 3 Minuten knacken kann. Und, man glaubt es kaum, es ist mir tatsächlich gelungen! Ich war so stolz auf mich. 

Auf dem Postamt (neudeutsch: 'dhl - Annahmestelle') nächste Hürde: der Koffer ist Sperrgepäck. Viel teurer als geplant, und annehmen können sie den hier eigentlich auch nicht. Müsste ich im Internet machen, so der beflissene 'Postbeamte'. Wo bitte, soll ich den Koffer denn dann abgeben? 

Zum Glück verließ der 'Beamte' den Schalter dann aber aus irgendeinem Grund, und die nette junge Kollegin nahm mir den Koffer einfach so ab, ohne die Extra-Gebühr für Sperrgepäck zahlen zu müssen. 'Ach, wir probieren das jetzt einfach mal so. Im Zweifel kriegen sie den Koffer wieder zurück', meinte sie lapidar. Wie ich mich freute. Wie schön, wenn Angestellte einfach mal von ihren Freiheiten Gebrauch machen. 

 

Kurz darauf ein Anruf aus der Schule, Lola liegt im Schulclub, hat Bauchschmerzen und kann dem Unterricht nicht mehr folgen. Bitte was? Am Morgen wirkte sie ganz fröhlich. Am Telefon erklärte sie mir, sie sei traurig, weil der Papa nicht da ist, die Abuela tot. Mmh...  So traurig, dass sie ihre Trauer liegend auf dem Sofa 'verarbeiten' muss?

Nun bin ich eigentlich immer ganz mitfühlend mit ihr, aber hatte schon den Eindruck, dass sie ihren Seelenschmerz mal wieder etwas 'aufbauscht, um den anstrengenden Unterricht vermeiden zu können. Und als ich sie im Schulclub antraf, schaute sie auch tatsächlich beschämt zur Seite und mir keinmal in die Augen, als ich meinte, wie es ihr geht. Bester Indikator, dass es ihr nicht wirklich schlecht geht. Und verärgert über diese 'Aktion' habe ich sie dann doch noch 'genötigt', zum Sportunterricht und zum Schulclub zu gehen. Und fuhr - ohne sie - wieder nach Hause. Nicht dass sie sich das wieder angewöhnt.

Als ich sie dann am Nachmittag wirklich abholte, zeigte sie mir dort ihre neue Gefühle-und-Bedürfnis-Karte', die sie von der Inklusionspädagogin der Klasse bekommen hatte. Sie deutete auf 'traurig', neben einem Metacomsymbol mit einem weinenden Gesicht. Und auf der Rückseite der Karte deutete sie auf 'Ich brauche ... eine Pause'. Und erklärte mir strahlend: "Ja, Mama, ich bin traurig. Ich brauche eine Pause'. 

Was für ein schlauer Gebrauch ihrer Gefühle und Bedürfnisse, um sich je nach Bedarf Auszeiten zu  verschaffen. Toll, wenn man seine Gefühle so klug und praktisch zum Einsatz bringen kann. 

Zu Hause schlich sie dann doch reumütig in ihr Zimmer und akzeptierte recht klaglos, dass sie heut kein Handy haben darf, um Musik zu hören. Was ich ihr nur erlaube, wenn sie in der Schule überall mitmacht. Und hörte dafür Hörspiele aus der Stadtbibliothek auf dem alten CD-Player. Was auch nochmal ein gewisses 'Schuldbewusstsein' deutlich machte. Wenigstens das...

 

Ich hingegen war von den heutigen Nachrichten, die ich bei der Fahrt zur Schule eher zufällig gehört hatte, doch ziemlich aufgewühlt. Und konnte mir nur durch ein bisschen Haushalt, eine erfrischende Dusche und 'meditatives Kochen' seelische Abhilfe verschaffen. Um wieder auf bessere Gedanken zu kommen und mich nicht zu sehr in ängstlichen Untergangsszenarien zu verfangen, helfen die Kinder und die Sorge um sie und ihr 'leibliches' Wohl schon immer sehr.

Und um auch meine Schreibgruppenteilnehmerinnen - angesichts der politischen Neuigkeiten - auf gute Gedanken zu bringen,  überlegte ich mir noch schnell einen seelenwärmenden Schreibimpuls (für meine Schreibgruppe, die ich Mittwochabends immer leite). Und lud die Teilnehmerinnen ein, über 'Großzügigkeit' zu schreiben und zu reflektieren und - als Gegenmittel gegen die 'Enge im Herzen' - diesem positiven Gefühl nachzuspüren. Und ja, welch wunderbare Texte entstanden da, über Zeitgeschenke, die Freude am Geben, die Kraft und Wärme der Großzügigkeit, die wir uns selber, den Liebsten oder auch Unbekannten entgegen bringen, oder von ihnen geschenkt bekommen. So wie ich heute von der unkomplizierten DHL-Angestellten. 

Und mit weitem, dankbaren Herzen fuhr ich nach dem Schreibkurs wieder nach Hause. Erfüllt von dem Geschenk des Gebens und der inneren Kraft, die in uns wohnt. Und unserer Fähigkeit, auf die Fülle, die Liebe und den Großmut zu schauen, auch und gerade, wenn im Außen die Angst und Sorge überhand nimmt. Dankbar für die Weite, die dadurch im Herzen entsteht.

Ein Tag mit vielen, widersprüchlichen Gefühlen, der zum Ende - auch dem Schreiben sei Dank - einen so schönen Abschluss gefunden hat. Und so gleite ich gleich in hoffentlich schöne und stärkende Träume.

Dienstag, 5. November 2024

Mit dem Rad in die Stadt

"Du Fahrrad kommen?", war Lola's erste Frage, als ich sie heute an der Schule abholte.

"Ne, bin mit dem Auto da", sagte ich schuldbewusst. Hatte ich doch gerade noch meine Siesta gemacht (tägliches, unabdingbares Ritual), und war zu spät dran, als dass ich es mit dem Fahrrad pünktlich zum Schulclub geschafft hätte. 

Lola war tief enttäuscht, was sich bei ihr immer in lautem Schimpfen äußert. "Du doof, Mama. Versprochen Fahrrad kommen. (In die) Stadt fahren. "

Beim Anblick der herrlichen Herbstsonne auf der Fahrt zur Schule, hatte ich mich auch schon geärgert, meine Siesta nicht um 10 Minuten verkürzt zu haben. Dann hätte ich es auch geschafft. 

"Wenn Du willst, fahren wir nach Hause. Und von dort mit dem Rad in die Stadt", schlug ich vor.

Lola jubelte. "Ja, Rad fahren. Danke Mama". Warum auch immer sie davon gerade so begeistert ist.

"Ich Sport machen. Will fit sein", sagte sie und stapfte zum Auto. 

Diese Jugend. Pavel ist auch seit ein paar Monaten im Fitness-Wahn, stemmt Gewichte, macht ständig Workouts, will am liebsten ins 'Gym' (neudeutsch für Fitnessstudio). Dass Lola auch schon auf dem Trip ist, war mir neu. Aber gut. Ein bisschen Bewegung würde mir bestimmt auch nicht schaden. Denn leider leider bin ich weit entfernt von 'Fitnesswahn'. 

Also fuhren wir mit dem Auto nach Haus, holten schnell Handschuhe und den Fahrrad-Helm von oben und fuhren los. Wohlgemerkt mit unserm Tandem, auf dem Lola mitreten 'kann', aber nicht muss. Und klar, ohne E-Motor. Was also mit reiner (mütterlicher) Muskelkraft betrieben wird. 

Denn Lola trampelt zwar bergab freudig mit und schimpft, wenn ich langsamer werde oder gar bremse, aber bergauf hält sie höchstens eine Minute durch, dann macht sie schlapp bzw. trampelt nur noch sachte mit. 

"Juchu, Fahrrad fahren", jauchzte sie, als wir losfuhren. Doch schon an der Kurt-Eisner schimpfte sie über einen Jungen, der langsam vor uns auf dem Weg lief. "Doofe Kind, mach schneller". So langsam und gemütlich sie oft selber ist, so ungeduldig wird sie, wenn sie mal auf jemand anders warten muss.

Und so zockelten wir in der schon wieder hereinbrechenden Nachmittagsdunkelheit in die Stadt, Lola schimpfte ab und an über zu eng vorbeifahrende Autos oder Passanten, oder die kalte Luft an ihren Ohren. Und ich war doch ganz froh über ein bisschen Bewegung in der frischen Herbstluft, und kam nach einem doch recht anstrengenden Arbeitstag wieder etwas in Schwung.

Da kam auf einmal von Lola. "Mama, will nicht Fahrrad fahren. Fahrrad doof. Will Auto fahrn". Da war ich nun aber perplex. 

"Wolltest Du nicht vorhin UNBEDINGT Rad fahren, Lola?" 

"Ja", sagte sie lapidar. "Will lieber Auto. Auto warm, und kannich Musik hören. Will Auto fahrn".

"Aber da würdest Du längst nicht so fit werden, im Auto", antwortete ich. 

"Ja, stimmt", sagte Lola wie vom Blitz der Erkenntnis getroffen. Und strampelte ENDLICH kräftig mit. Und 5 Minuten später waren wir in der Stadt. 

Montag, 4. November 2024

Auf in die große Welt!

 Ja, heute war es soweit. Greta, die große Schwester von Lola, ist mit ihrem Rucksack und ihrem kleinen roten Köfferchen - auf in die 'Welt'. Für ein Jahr nach Spanien, um in Córdoba einen 'Europäischen Freiwilligendienst' zu machen. 

Welch Schritt für sie, ganz alleine in eine ihr fremde Stadt zu gehen. In ihr 'Vaterland', das sie zwar von den vielen Besuchen bei der spanischen Großfamilie in Gijón schon gut kennt. Zumal sie ja auch fließend spanisch spricht, als Halbspanierin. Wo sie aber noch nie länger gelebt hat, erst recht nicht alleine. Und ja, Andalucia ist auch nicht Asturias (die Familie also nicht in der Stadt). 

Umso mehr freue ich mich für sie, dass sie diesen Schritt gewagt hat. Nachdem sie ihr ganzes Leben hier in Leipzig verbracht hat, fest verwurzelt, mit vielen Freunden, ihrem Freund und Familie. Wo sie sich so wohl fühlt.

Und doch hat sie sich nach dem Abi entscheiden, für ein Jahr nach Spanien zu gehen. Um die Welt kennen zu lernen. Und um endlich einmal längere Zeit in dem Land zu leben, aus dem ihr Vater Ricardo stammt. 

Es war ihr diesjähriger Silvesterwunsch gewesen, den sie als einzigen von 13 Zetteln in der Hand behalten hat. Während sie die anderen 12 Wünsche dem Feuer übergeben hat. Der Wunsch, um den sie sich selber kümmern muss. Während sich - so das Ritual - das 'Universum' um die Erfüllung der anderen Wünsche kümmert. Und sie hat sich drum gekümmert: und ist nun in Spanien! Ja, so straight und zielstrebig, wie sie ihr ganzes Leben lang schon ist. 

Wahnsinn, jetzt ist sie nicht nur schon erwachsen, sendern lebt auch schon ganz alleine. Welch Schritt für sie! 

Es ist doch gefühlt gerade eben erst her, dass sie geboren wurde, sich das erste Mal bewusst im Spiegel betrachtete, dass sie ihr Schwesterchen Lola bekommen hat, dass beide tapsend über die Plätze in Spanien rannten.... Wo ist die Zeit nur hin? 

Meine Mutter sagte mir mal, als Greta so ca. 10 Jahre alt war, dass die Zeit zu fliegen beginne, kaum dass die Kinder 10 Jahre alt sind. Und ich lachte und schüttelte den Kopf. Nein, mein Leben war so voll und intensiv, die Kinder so klein noch, das Leben würde weiter so langsam vergehen.

Und jetzt? Ist die Zeit wirklich so schnell verflogen. Reich und intensiv, trotz mancher Durststrecken, aber wie ein Wimpernschlag. Und sie ist groß und erwachsen und geht ihren Weg alleine.

Und in mir ist natürlich auch ein Tumult der Gefühle, der Mutter, die ihre Tochter in die Welt ziehen lässt. Aber vor allem freue ich mich für sie. Und wünsche mir, dass sie dort schnell liebe Menschen kennen lernt und tolle Erfahrungen machen kann, die sie ihr Leben lang begleiten und prägen werden.


Sonntag, 3. November 2024

Abendsonne am Cossi

Heute Nachmittag habe ich mit Lola noch eine kleine Radtour um den Cospudener See gemacht. Obwohl wir um halb vier losfuhren, wurde es schon 'Abend'... (An die frühe Dunkelheit muss ich mich echt noch gewöhnen.)

Lola wollte unbedingt nochmal mit dem Fahrrad an den See. 'Sport machen'. Und abgesehen davon dass sie zu Beginn permanent jammerte, dass ihr kalt ist, ihre Füße schmerzen, ihr Hintern friert und sie durch die Brille nichts sehen kann, war es einfach nur wunderschön! 

Nach einer 20 minütigen Fahrt durch den schon dunklen Auwald öffnete sich endlich der Cossi vor uns, lag glänzend im Abendlicht, die Silhouetten der Bäume und Spaziergänger standen gegen den abendblauen Himmel. Überall das Laub der Bäume in Flammen. Lola juchzte auf: "Mama schau nur, wie schön!"


Als wir die Bistumshöhe erreichten, ging die Sonne schon unter und tauchte den See in rosafarbenes Licht. Wie ein Schleier, der sich über das Wasser, die Bäume, die Binsen legte. Magisch. Ich hätte schreien wollen vor Freude - und tat es auch! 

Bei der Rückweg durch das Elsterhochflutbett zogen weiße Nebel über die Gräser der Niederungen. Bilder so schön, dass sie sich kein Maler ausdenken könnte. 

Mit eiskalten Füßen und Wangen, aber nass geschwitztem Körper kehrten wir bei Dunkelheit wieder heim. Überglücklich an solch einem schönen Ort zu leben.  

Mädelstrip nach Berlin und ans Märkische Meer

Hier noch ein kleiner Rückblick von unserm Herbst-Mädelstrip nach Berlin und Brandenburg. Lola, Greta und ich waren mal ganz alleine unterwegs, für fünf ganze Tage. Soooo schön!

Nachdem Lola von drei Wochen Sozialpraktikum zurück war, und Greta von einem zweimonatigen Interrail Trip durch Spanien, Portugal und Italien, hatte ich die Idee, mal ganz alleine mit den beiden ein paar Tage Urlaub zu machen. 

Ich wäre ja auch nach Italien gefahren. Aber da Greta da grade herkam, und ein Freund in Berlin seinen 50. Geburtstag feierte, dachte ich: Warum nicht Berlin? Und danach noch ein paar Tage 'Wandern' im Berliner Umland.

Und nach der grossen Geburstags-Party am Samstag besuchten wir am Sonntag noch ein paar alte Freunde in Berlin, die ich sage und schreibe 20 Jahre nicht gesehen hatte (!!!). Wir trafen uns um 11 Uhr zum Frühstück in ihrer Wohnung am Spreebogen und saßen dann gefühlt den Rest des Tages am Frühstückstisch und quatschten und quatschten und quatschten. So wie 'früher'... 

 Erinnerten uns an unser altes Haus in der Mühsamstrasse im Friedrichshain, mit Kohleofen und Außenklos und meiner Dusche in der Küche. An M's erste Wohnung am Ostkreuz, mit Alufolie an den Küchenwänden (als Deko) und den verlassenen Strassen, über die ab und an ein altes Auto holperte. An die 'Tagung', die damals noch einzige Bar in der Wühlischstrasse. Und an den Geruch von Kohle in der Luft, wenn es draussen kalt wurde. Es war eine Zeitreise in die 90er Jahre in Berlin, und die Mädels lauschten mit großen Ohren. Ich hatte das Gefühl, aus einer 'anderen Zeit' zu erzählen.


Am Montag erkundeten wir noch den Prenzlauerberg, wo sich am Kollwitzplatz mittlerweile eine schicke Bar an die nächste reiht, neben unzähligen Design-, Antiquitäten- und Bioläden. Aber in den abgelegeneren Strassen fand ich dennoch einen Hauch des alten Lebensgefühls wieder. Beim Anblick der letzten, vereinzelten geschwärzten, bröckelnden Fassaden, kamen Erinnerungen zurück an damals, an die ersten improvisierten Bars mit Pappmachee-Figuren und ausgesessenen Ledersofas, Parties in leerstehenden Kellern oder der 'Freitagsbar', erreichbar durch schneebedeckte Innenhöfe hindurch, von einer Kette von Teelichtern ausgeleuchtet. 
 
Es war eine kleine Zeitreise für mich, in meine ''Studentenjahre' in Berlin, wo ich 1998 hinzog, damals nur wenig älter als meine Töchter jetzt. Gefühlt erst gestern, und doch in einer anderen Zeit. Fast wie in einem anderen Land. 

Wenn Greta darüber nachdenkt, wo sie studieren könnte, fällt Berlin meist sofort aus. Viel zu teuer, unbezahlbar die Wohnugen, wenn man überhaupt eine findet. Was für ein Glück hatten wir, damals dort leben zu können. In dieser Zeit des Um- und Aufbruchs, wo alles möglich schien.


Doch nach diesem Tag im Prenzlberg taten uns irgendwann die Füße weh, vom vielen Laufen über Kopfsteinpflaster, und wir fuhren weiter, nach Brandenburg, wo ich direkt am Scharmützelsee eine Ferienwohnung gefunden hatte.

Und die folgenden drei Tage wanderten wir bei herrlichstem Sonnenwetter am 'Märkischen Meer' entlang...

 

Durch ausgedehnte Nadel und Mischwälder, ....

 

Gingen nach Bad Saarow in die Therme ....

Wanderten am Storkower See entlang....


Umrundeten den Glubik- und den Springsee...



Und verbrachten die Abende gemütlich in unserer Ferienwohnung über dem 'Atelierhaus' in Wendisch-Rietz. Kochten lecker, spielten Scrabble (woran Lola riesig Spass hatte) oder chillten lesend auf dem Sofa. 

Welch herrliche Tage! Danke dafür!

Freitag, 1. November 2024

'Meine Lieblingsdorf'

Lola hatte heute in der Schule eine kleine Präsentation, in der sie gemeinsam mit den anderen Schüler-/innen ihrer Klasse über ihr Sozialpraktikum berichten sollte. Vor ihrer eigenen 11. Klasse, der 10. Klasse und interessierten Eltern und Lehrern der Schule. 

Für sie ist es immer sehr aufregend, vor  vielen Menschen zu sprechen. Selbst in ihrer eigenen Klasse ist sie im normalen Unterricht manchmal so schüchtern, dass sie sich nicht laut zu sprechen oder vorzulesen traut.

Gestern Nachmittag  hatte sie zu Hause extra für den Vortrag ein Poster zusammengestellt, mit Fotos und kurzen Texten über ihre dreiwöchige Zeit in der Lebensgemeinschaft in Sassen. Voller Eifer hatte sie es sogar noch 'gestaltet', wie sie sagte, mit unzähligen bunten Blumen und Herzchen. Ausdruck der Freude, die sie beim Praktikum hatte.


Schon beim Frühstück machte sie sich aber Sorgen über den heutigen Vortrag. Zum Glück konnte ich sie beruhigen, dass sie nicht alleine vorne stehen und sprechen müsste, sondern eine Vertrauenslehrerin sie fragen würde. Sie müsste nur antworten. Das beruhigte sie zunächst.

Als ich um 13 Uhr jedoch in die Schule kam, und den Theatersaal betrat, gut angefüllt mit Leuten, saß sie  eingekrümelt auf ihrem Stuhl in der ersten Reihe, eingehüllt in ihren Mantel, einen dicken Pulli, Mütze über dem Kopf, den Blick weg gerichtet von der Bühne. Als wolle sie verschwinden. Oh je, dachte ich für mich. Ob das was wird?

Doch nachdem sie sich vom Mantel und Pulli befreit hatte, und in ihrem schicken roten 'Auftrittskleid' da saß, dass sie extra zur Feier des Tages angezogen hatte, ging tatsächlich eine kleine Verwandlung vor sich. Und obwohl sie zuerst ganz in sich versunken war, als die Lehrerin ihr ankündigte, sie solle als erste präsentieren, entspannte sie sich schon während der weiterten Eröffnungsworte zusehends, richtete sich auf, Schultern gerade, Blick nach vorne. 

Und als die Lehrerin sie schließlich aufrief, als ALLERERSTE vor dem vollen Saal zu sprechen, sprang sie auf, stellt sich mutig neben ihr Plakat und beantwortete laut und deutlich, sichtlich selbstbewusst alle Fragen. 

Erzählte von dem schönen 'Rafaelhaus', wo sie gewohnt hatte und fünf Freunde gefunden hat. Deren Namen sie alle einzeln nannte. Erzählte von den Werkstätten im Dorf und vom Weben in der Textilwerkstatt, was ihr Spass gemacht hatte. Erzählte von ihrer Freizeit und dass sie mir zum Geburstag per Videokonferenz ein Lied auf der Geige vorgespielt hatte, begleitet vom 'Hausvater'. Und strahlte.  

Und wie sie das so gemeistert hat, ganz alleine für drei Wochen, fragte die Lehrerin noch. "Super", sagte sie lachend. "Ich mutig!" Und der Saal lachte, so herzerfrischend und selbstbewusst war ihre Antwort. 

"Und, kannst Du das Dorf empfehlen", fragte diie Lehrerin. "Und könntest Dir vorstellen, dort nochmal hinzugehen?" - "Ja", sagte sie strahlend. "Meine Liebelinsgdorf!" Und alle klatschten und stolz - aber auch erleichtert - ging sie zurück zu ihrem Platz. 

Wie ich mich wieder freue, dass sie auch diesen Schritt geschafft hat.

Es war aber auch ein wunderschönes Praktikum in der 'Lebensgemeinschaft'. So liebevolle Hauseltern, die sie genommen haben, wie sie war, mit ihrer Energie und ihrem Eigensinn, ihrer 'Power' und ihrem gelegentlichen Rückzug. Und engagierte Gruppenleiter-/innen in der Weberei, die ihr geduldig die Handgriffe am Webstuhl und das Arbeiten mit der Wolle und dem Schiffchen nahe gebracht haben, und - trotz ihrer häufigen Müdigkeit -  sie immer wieder gut motivieren konnten. 

Es war auch eine wertvolle Erfahrung für sie, mal mit vielen anderen Menschen mit 'Behinderung' zusammen zu leben, auf Augenhöhe - und nicht immer die 'Exotin' in ihrer inklusiven Schule zu sein, wo sie lange das einzige Kind mit Förderbedarf in ihrer Klasse war.  Sie ist sichtlich gewachsen in dieser Zeit. Und hat ohne jedes Heimweh diese drei Wochen alleine gestemmt. Große Lola! 

Montag, 23. September 2024

Lola - drei Wochen alleine!

 

 Unglaublich, aber wahr! Lola wohnt seit letztem Montag ganz alleine in der "Lebensgemeinschaft Sassen", im schönen Hessen, und arbeitet dort in der Textilwerkstatt, einer der dortigen Werkstätten. 

Nein, nicht für immer. Aber für drei Wochen, im Rahmen eines Sozialpraktikums, das alle SchülerInnen ihrer Waldorf-Schule in der 11. Klasse machen müssen. 

Und während ihre MitschülerInnen in sozialen Einrichtungen der Behindertenhilfe oder Altenpflege arbeiten, um Menschen mit Hilfebedarf zu betreuen, darf auch sie drei Wochen in einer Einrichtung verbringen, nur 'auf der anderen Seite'. Nämlich als eine der Bewohnerinnen bzw. der dort Arbeitenden. Das heisst, für sie ist es eine Art Wohn- und Arbeitspraktikum. In dem sie drei Wochen, ohne Familie und Freunde, in einer ihr gänzlich unbekannten Lebensgemeinschaft leben darf. Um auszuprobieren, wie das so läuft, arbeiten und leben, ganz ohne ihre Familie. 

Dorfplatz

Als ich sie letzte Woche hinbrachte, zum 'Dorf' Sassen, wo ca. 100 Menschen mit Behinderung gemeinsam in einer dorfähnlichen Gemeinschaft wohnen, in ca. 10 Häusern, die von festen Hauseltern betreut werden, die dort selber mit ihren Familien leben, war ich selber furchtbar aufgeregt. Ob sie das packen würde, so lange von zu Hause fort, in einem ihr neuen und unbekannten Umfeld. Alleine schlafen, aufstehen, arbeiten? Jeden Tag, von 8 bis 12 und nach einer Mittagspause nochmal von 13.30 bis 17 Uhr? Ich glaubte daran, fest, aber als ich mit ihr im Auto auf dem Weg dorthin war, war mir doch bang ums Herz. 

Der Weg zu ihrem Haus im Dorf

 Doch sie versicherte mir, 'Mama, ich schaff das'. Und 'komme ja wieder!", lachte, winkte noch einmal und marschierte mit einem Stapel mitgebrachter Spiele zu den anderen Bewohnern ihres Hauses, in dem sie aufgenommen wurde, liebevoll begleitet von ihrer neuen 'Haus'-Mutter auf Zeit. Und ich fuhr ab, doch auch mit schwerem Herzen. Ja, loslassen ist schwerer als ich dachte, vor allem mich als Mutter. 

Der Dorfteich
 

Wie mir ihre Hausmutter einen Tag später mitteilte, war sie aber super im Haus angekommen, 'ganz fein und lieb, aber doch auch mit Power'. Und es sei toll mit ihr. Und bis auf einige Dispute beim Zähneputzen und Duschen (was sie leider auch zu Hause nur ungerne macht), sei es super mit ihr. 

Sie gehe jeden Tag ganz selbständig morgens, mittags und nachmittags zur Weberei im Dorf, und komme ganz zufrieden zurück. Und würde dort Kissen weben, aus dicker Wolle, am Handwebstuhl. Was sie schon in ihrer Schule gelernt hat. Füge sich durch ihre offene und liebevolle Art ganz schön auch in die Gemeinschaft der anderen Bewohner im Haus ein, und sei überhaupt ganz selbständig und 'flexibel'. 

Wie ich mich freue, dass es so wunderbar klappt. Und sie mal endlich positiv auffallen kann, durch ihre Art, während sie in ihrer inklusiven Schule so oft aneckt durch ihre Schrullen, ihren Eigensinn und ihre Schwierigkeit, mit Übergängen umzugehen. Nein, dort, wo die Tage ganz und gar durchstrukturiert sind, immergleich ablaufen, weil dort so viele Menschen leben, die feste Abläufe brauchen, hat auch sie endlich mal einen Ort, wo sie sich schnell orientieren kann - und ihre viele Stärken und Fähigekeiten zeigen kann. Und Handarbeiten und Weben ist ja auch eines ihrer Lieblingsfächer in der Schule. 

Das nahe gelegene Schlitz

Ach, ich freue mich so für sie. Dass sie das so selbständig meistert. Und vor allem, dass so dort die tolle Gelegenheit bekommen hat, ein Praktikum zu machen. Ihrer engagierten Hausmutter sei Dank! 

Heute nachmittag ist sie allerdings im Dorf nochmal umgezogen, in ein anderes Haus, wo noch mehr jüngere Leute leben. Da die Bewohner des ersten Hauses doch schon älter und etwas zurückgezogener waren, und Lola mit ihrer quirligen, lebendigen Art da doch etwas auf einsamem Posten war. Nun bin ich gespannt, wie es ihr im neuen Haus mit mehr Trubel gefällt, unter Ihresgleichen, aber mit einer neuen Hausmutter, die sie noch nicht kennt. Hoffentlich zeigt sie sich auch da 'flexibel', aber so hörte ich eben, sei der Umzug wohl sehr gut gelaufen... 

Im Dorf hergestellte Keramik

 Kleine, große Lola! Lange dauert es nicht mehr, dann wird sie vielleicht wirklich ausziehen. Noch kann ich es mir nicht vorstellen. Aber schön zu wissen, dass es möglich ist!