Dienstag, 3. März 2009

Ballast abwerfen

Seit Jahren habe ich eigentlich immer in den gleichen Möbeln gewohnt, grösstenteils Erbstücken, mehr oder weniger alt, mehr oder weniger ehrwürdig. Dem ersten gemeinsamen Sofa meiner Eltern, dunkelbraun, damals richtig teuer und der letzte Schrei, Ende der Siebziger. Unserem alten Küchenschrank, der schon in meinem Jugendzimmer stand, voller Bücher und Briefe, und später in fast allen meinen Studentenbuden eigentlich der wichtigste Bestandteil der Küche war. Dem alten Überseereisekoffer meiner Urgrosseltern, der mal mein Kleiderschrank war. Dem alten Couchtisch meiner Eltern, dem man seine IKEA-Herkunft fast gar nicht anmerkt und an dem ich als kleines Kind schon gegessen habe.


Dazu noch all die alten Decken, Tagesdecken, Kissen, Überwürfe. Und all die Klamotten meiner versammelten Verwandeten und Freunde, die mir ihre heiss geliebten, aber wenig genutzten Stücke gerne überliessen, denn mein Klamottenstil war immer sehr "offen", wenn man so sagen darf....

Da saß ich also auf diesem bunten Warenlager alter Stücke voller Vergangenheit. Und unsere Wohnung schien immer weiter zuzuwachsen, denn in meiner Sammelwut konnte ich natürlich auch keines der Gemälde von Greta dem Müll anvertrauen und auch keine Kinoeintrittskarten, Konzerttickets, Interrailtickets, Zugfahrkarten. Alles Geschichte, an die ich mich doch auch morgen noch gerne erinnern wollte. Alles lag wohlbehütet im grossen Regal im Kinderzimmer oder im grossen Stauraum unter unseren Betten, so habe ich es zumindest entdeckt, als ich sie vor einigen Wochen öffnete... Dazu gesammelte Studienunterlagen, -bücher, alte Kalender, Schuhe, alles wild durcheinander. Stunden hätte ich damit zubringen mögen, darin zu stöbern, hätte mich Lolas Gequäke nicht zum schnellen Durchsehen gezwungen.

Der Groschen fiel, als ich einen langen, sehr interessanten Artikel über Qualifizierungsmaßnahmen am Arbeitsmarkt fand und ein bisschen reinlas, nur den Autor nicht entdecken konnte. Bis ich merkte, dass ich gerade meine eigene Diplomarbeit in VWL (ja, ich bin studierte Volkswirtin!) in Kopie in den Händen hielt. Da war mir klar: das Zeug muss weg!!! Seitdem bin ich nun seit Wochen damit beschäftigt, auszumisten und Pakete zu schnüren, für den Müll, für den Keller, für die Kleidersammlung, für den Second-Hand-Shop, für diverse Freunde. Habe angefangen, Möbel zu verkaufen, über's Schwarze Brett der Uni Leipzig und Antiquitätenhändler. Seit Wochen trage ich riesige Tüten aus dem Haus, an die diversen Sammelstellen. Es nimmt keine Ende...

Und alles hat eigentlich damit angefangen, dass meine Mutter uns einen Wäschetrockner schenken wollte. "Warum schenkt deine Mutter uns nicht ein neues Bett? Oder einen neuen Esstisch?" - "Ach, ich will eh nicht in dieser Wohnung bleiben. Alles so ungemütlich hier." - "Na, dann frag deine Mutter doch, ob sie uns nicht jemanden schickt, der uns Tips gibt, wie man die Wohnung besser einrichten kann." Und so kam meine Mutter mit ihrer Freundin Renate aus Berlin zu uns - Renate ist Feng-Shui-Beraterin. Und ich habe eine Menge gelernt. Reante hat uns einen detaillierten Plan über die Ausrichtung und optimale Aufteilung unserer Wohnung gegeben, über die Wichtigkeit von Farben und Formen. Über den Vorteil von Schränken, den Nachteil von Regalen. Dass man nichts vor Türen stellen soll und die Ecken nicht zumüllen soll, damit die Energie frei fliessen kann. - Und unsere Wohnung? Quoll über, natürlich bis vor fast alle Türen, war voll offener Regale, die Ecke zugestopft. Selbst im "aufgeräumten" Zustand quollen die Sachen durch den Raum.


Seitdem bin ich dabei, die Tips von Renate umzusetzen. Und jeden Tag habe ich das Gefühl, dass ich freier atmen kann. Dass mehr Platz ist bei uns, dass unsere Wohnung langsam ein 'Zuhause' wird. Dass ich sie fast sogar schön finde. Dass ich plötzlich ganz geduldig stundenlang Wände streichen kann. Dass es irgendwie gut tut. Dass ich mich dabei manchmal wieder fühle wie früher, in meiner ersten Studentenbude. Dass alte Erinnerungen hoch kommen, wenn ich da stehe, nachts, und streiche. Musik höre, aus der Zeit, als ich in Edinburgh war und in unzähligen Konzerten, bei soviel Lager-Bier, dass ich mich nicht an alles erinnern kann. Nur dass ich die Musik mag.


Und irgendwie ist Renovieren gut. Manchmal braucht es halt ein bisschen länger, wie bei einem guten Essen, dass auch immer nährender wird, je länger man es kocht....


Und so schleppe ich denn noch weiter Kisten aus dem Haus und bringe Farbe an die Wände und suche frische Möbel, ohne grosse Vergangenheit, aber irgendwie - unsere. Das steckt also hinter meinen nächtlichen Malaktionen ...

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