Donnerstag, 23. Oktober 2014

Über den Kopf...

Und weil auch mir in letzter Zeit alles über den Kopf gewachsen ist und ich mich gefragt habe, warum eigentlich niemand aufsteht und es laut rausschreit. Nur alle still und heimlich immer leiser werden und langsam zusammenklappen. Unter der Last der gleichzeitigen Bewältigung von Familie und Beruf, am besten noch Karriere, und dann auch noch Zeit für den Haushalt zu haben, die Wohnung,  die Freunde,  den Liebsten natürlich und für sich selbst, um immer wieder regeneriert und frisch und ausgeruht voller Kraft und Elan das Tagewerk hinter sich zu bringen...

Und weil auch mir das alles langsam aber heimlich über den Kopf gewachsen ist, freue ich mich umso mehr, dass endlich ein Buch erschienen ist, dass den Nagel auf den Kopf trifft: 'Die Alles-ist-möglich-Lüge. Warum Familie und Beruf nicht zu vereinbaren sind'.

Achtung, ich habe das Buch noch nicht gelesen und hoffe, mich damit nicht zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Detaillierte Buchkritik wird noch folgen. Aber dennoch treffen die Autorinnen mit dem Titel und dem Inhalt und den ersten Seiten, die ich online gelesen habe, den Kern dessen, was ich seit Monaten fühle.

Hoffnungslose Überforderung mit Familie und Beruf. Das Gefühl, das sei die Quadratur des Kreises. Immer nur an allen Ecken und Enden mangelhaft zu sein, hinterher zu rennen. Wie schreibt es Elisabeth Niejahr heute in der ZEIT: 'Von der Arbeit immer zu früh zu gehen und immer zu spät nach Hause zu kommen.' Sie schreibt es mit einem Achselzucken. Na und? Hab ich auch lange gesagt: na, und? Mit einem Kind sowieso. Mit zweien wurd's schon ärger. Aber jetzt, mit drei Kindern, ist die Grenze erreicht!!!

Dabei wollte ich es ihnen doch beweisen, zumindest dem einen Arzt, der, als ich ihm erzählte ich sei mit dem dritten Kind schwanger, meinte, naja, mit drei Kindern würden die meisten Frauen eh nicht mehr arbeiten. So ein Blödsinn, frauenfeindlich, reaktionär, hab ich mir gedacht. Jetzt erst recht. Mit Vollgas voraus! Ging auch lange... Bis mir die Puste ausgegangen ist.

M. sagte neulich scherzhaft zu mir, 'eine Haushälterin' würde dir gut stehen'. Ja, die würde mir verdammt gut stehen. Zusammen mit einer Putzfrau, einer Köchin und einer Kinderfrau, die nebenbei noch das Logistikunternehmen übernimmt, das drei Kinder alltäglich durch die Stadt zu den diversen vormittäglichen Bildungs- und nachmittäglichen Weiterbildungseinrichtungen chauffiert, dann wäre ich glücklich! Ja, das würde mir verdammt gut stehen! Dann hätte ich auch alle Power der Welt, im Job wieder Berge zu versetzen!!!

Problem, mein Job und der von M. wirft (noch) nicht das nötige Kleingeld ab, sich diese wunderbaren Dienstleistungen leisten zu können.

Nächste Frage, würde ich das denn wollen? Meine Kinder von noch mehr Dritten betreuen zu lassen und in meinem Haus von Dienstboten umgeben zu sein? Nein, ganz bestimmt nicht! So gut mir das steht. Und so reizend ich die Vorstellung auch finde. Aber wollen, würd ich das nicht ... Fremden Menschen viel Geld dafür zu bezahlen, damit sie die Dinge tun, für die ich keine Zeit mehr habe, weil ich Geld verdienen muss, um diese Leute zu bezahlen....??? (Oder sollte ich diese unnötige Blockade in meinem kleinbürgerlichen Geist überwinden?)

Und so hab ich in den letzten Monaten alles alleine gestemmt, natürlich unterstützt von M. in jeder Hinsicht, aber nur so gut das eben geht für jemanden der 10 Tage im Monate beruflich woanders unterwegs ist. Und es ist auch lange gegangen.

Nur irgendwann hab ich mich gefragt, warum ich das alles von Tag zu Tag anstrengender finde und mir partout nichts mehr merken kann und mich gar nicht mehr so richtig freuen kann und die Worte der Kinder in meinen Ohren oft nur noch Störgeräusche sind, die ich am liebsten so leise wie möglich stellen will...  und die Ohren nur noch sausen auch ohne Geräusche und der Boden schwankt unter mir...

Und irgendwann die Erkenntnis in mir dämmerte. Ich schaffe das nicht. Ich schaff das einfach nicht. Und ich will es auch nicht mehr schaffen.

Und da hab ich mich gefragt, was ich eigentlich wirklich will. Wie ich leben will. Was mir wirklich wichtig ist. An Werten für mich und meine Kinder. Liebe, Geborgenheit und Fülle. Gemeinsamkeit und Zeit füreinander. Natur. Abenteuer. Das Leben in seiner Fülle. Von dem nichts geblieben war in den letzten Monaten.

Und so hab ich die Reißleine gezogen. Und mich neu ausgerichtet. Und mir und meinen Leidenschaften, den guten (alten) Freunden, der Liebe und der Familie und den Kindern im Koordinatensystem meines Lebens einen ganz neuen Schwerpunkt gegeben. Da, wo vorher vor allem die Arbeit stand und die Arbeit und die Arbeit. Und mein Gefühl ist zurückgekehrt und die Worte der Kinder bringen mich wieder zum Lachen und der Boden schwankt höchstens unter ihren wilden Tänzen.

Aber nicht imemr muss es so wild aussehen. Heute haben wir diesen verschmuddelten Oktoberferientag ganz zu Hause verbracht. Die Mädels haben riesige Bilder auf Leinwand gemalt (weil ich endlich die Muße hatte, ihnen die Öl- und Gouachefarben aus dem Keller zu holen), wir haben zusammen Karten- und Brettspiele gespielt (zum ersten Mal seit einem Jahr) und ich habe den beiden gezeigt, wie man näht, woraufhin Greta einen Schal genäht hat und Lola ein Tuch wild bestickt hat. So richtig mit Nadel und Faden. Und Pavel hat daneben seine Laster mit lauten Motorengeräuschen durch die Räume geschoben...

Und in mir war wieder Leben und Liebe und ein Gefühl von Fülle und Da-Sein, im Moment. Ganz im Körper war ich, nicht mehr im Kopf, der sonst immer schon den übernächsten Termin durchrattern musste.

Endlich! Danke dafür!


7 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Liebe Amelie!
Wir kennen uns nicht. ich bin über Gabrielas Blogg zu Lola gestoßen und hatte mir auch gleich dein Buch für den Urlaub gekauft, das mir sehr gut gefallen hat. Ich lese öfter hier, wenn es meine Zeit zu lässt, auch wenn ich nie kommentiere. Aber heute muss ich was schreiben, weil mich das Thema schon seit langem beschäftigt, und gerade zur Zeit wieder besonders.
Ich habe vier Kinder (Jungs:-)) arbeite ca 70 Prozent, mein Mann Vollzeit und wir versuchen alles so gut es geht zu schaffen. Und ja ich komme ständig an meine Grenzen. Ich glaube auch es geht nicht. Aber schon seit längerem frage ich mich, ob die Lösung ist, dass wir Frauen weniger oder gar nicht arbeiten oder ob es für die ganze Familie nicht besser wäre, dass beide Eltern arbeiten, wenn beide es wollen, aber beide nicht Vollzeit Auch mein Beruf ist nämlich meine Leidenschaft und für die Junges ist ihr Vater mindestens eine so gute Betreuung wie ich. Ich glaube, das der Gesamtstress der Familie uns Frauen kaputt macht. Wäre daher vom anderen Elternteil mehr Zeit um Haushalt, Logistik, Schule, Spielen..... mit zutragen, hätten wir vielleicht wieder Freude und Leidenschaft für Beruf, Kinder, Liebe und Pflichten.
Ich frage mich daher aktuell mehr denn je, ob wir nicht dafür kämpfen sollten, dass die Väter weniger arbeiten und damit die ganze Last wirklich geteilt wird und nicht nur, was so neben einem Vollzeitjob geht.
Puh, jetzt ist es doch ganz schön viel geworden. Ich hoffe, es ist verständlich.
Ganz liebe unbekannte Grüße
Judith

Ellie hat gesagt…

Danke, dass du dieses Thema ansprichst.. ich bin gespannt auf die Diskussion. Ich hoffe sehr, dass sich da in nächster Zeit was tut, dass nicht nur dran gearbeitet wird, dass möglichst beide Elternteile 100% beruftstätig sein können.. sondern dass flexible Lösungen, wie "beide 75%" möglich gemacht werden. Und dass jede Familie ihren eigenen Weg finden kann, z.B. dass auch Väter länger zuhause bleiben können, wenn das für die Familie besser passt.

amelie hat gesagt…

Liebe Judith,
ich bin genau deiner Ansicht! Danke, mich darin nochmal zu bestärken.
Ja, die Unterstützung durch die Männer ist eine der wichtigsten Säulen der Familie, die man auf jeden Fall noch verstärken kann. Und dass auch viel stärker als Frau einfordern muss. Sonst geht es einfach nicht.
Und auch ich will neben der Familie noch einer Arbeit nachgehen, die mich mit Leidenschaft erfüllt. Natürlich! Aber ich bin nicht bereit, eine Arbeit aus Pflicht heraus zu erfüllen, die mir keine echte Freude bereitet und dafür so viel in Kauf zu nehmen. Vielleicht resultiert daher auch erst eine so große Erschöpfung bei mir und das Gefühl, das Ganze nicht mehr zu schaffen...
Mmh, aber so richtig durchdrungen hab ich das auch noch nicht. Ich glaub, da schreib ich gleich noch nen Post zu.
Herzlichste Grüße, Amelie

amelie hat gesagt…

Liebe Ellie,
danke, genau! Du sprichst es an. Beide Eltern, Männer und Frauen, etwas weniger, dann haut es für alle besser hin... Aber leider habe ich zum einen das Gefühl, dass man in den meisten Jobs mit weniger als Voll nicht so richtig weit kommt. Und zum anderen geh ich grad selbst mit 50% auf dem Zahnfleisch und bin so am Limit, dass mir der ganze Laden emotional fast auseinander geflogen ist...
Alles Liebe und herzliche Grüße,
Amelie

D hat gesagt…

Liebe Amelie,
ich kenne das zu gut (mit gerade mal einem Kind). Das Einzige, was mir geholfen hat, war die Reduzierung der Arbeitsstelle auf die Hälfte. Zum ersten Mal seit ca. fünf Jahren habe ich mich wieder wie ein ganzer Mensch gefühlt. Ich weiß, dass der Rat nicht universal ist, aber vielleicht gibt es eine ähnliche Entlastung, die man fest einplanen kann.
Dina

amelie hat gesagt…

Liebe Dina,

oh ja, reduzieren hilft tatsächlich Wunder. Da ich bis jetzt eine 20 Stunden Stelle hatte, hat Reduzieren auf Null gerade eine erheblich wohltuenden Effekt! Ist bestimmt keine Dauerlösung, aber für die nächste Zeit erstmal eine Chance, wieder zu Kräften zu kommen...
Herzliche Grüße,
Amelie

Anonym hat gesagt…

8 Jahre habe ich mir die Gehirnwäsche angehört:
Frauen wollen alles!
Nicht dass gesagt wird: müssen alles. Nein, es wird mir vermittelt, ich will das, ich will das unbedingt.

Ich habe es dann probiert - 1 Jahr. Dann war ich kaputt und meine Familie auch. Es fiel mir irrsinnig schwer den Job hinzuschmeißen und zu sagen: Ich gebe auf.
Aber danach ging es mir unbeschreiblich gut und meine Familie verwandelt sich ganz langsam wieder in die liebevolle Gemeinschaft, die wir mal waren.

@Judith:
Wir haben es mal ausgerechnet.
Solange mein Mann im gleichen Beruf wesentlich mehr verdient als ich; selbst dann alleine mehr verdient als wenn wir beide reduzierten und dann mehr als eine Vollzeitstelle arbeiten würden - solange bleibe ich zuhause und ziehe unsere Kinder groß. Ohne noch mehr Termindruck als bei einer 5köpfigen Familie sowieso schon herrscht.
Das heißt nicht, dass ich deine Meinung nicht teile. Es gibt aber noch richtig fiese Geldargumente.

Ja, ich habe eine Wut im Bauch, wenn ich an diese verlogenen Slogans denke. Wenn ich dabei uns Mütter sehe, wie wir dauernd auf die Uhr sehen und unsere Kinder hinter uns herzerren um alle Termine zu schaffen.

Nein, ich bin gut ausgebildet und ich mag meinen Beruf - aber mich bekommen sie erst wieder als Arbeitnehmer, wenn meine Kinder groß sind. Die sind nämlich jetzt mein Beruf!

Ich wünsche euch allen, dass ihr mit euren Familien euren Weg findet.
Ich bin überzeugt davon, dass es nicht den EINEN Weg gibt.
Und ich hoffe, dass das endlich aufhört, dass nur die politisch gewünschte Richtung hochgelobt und alle anderen als reaktionär verschrieen werden.
Gruß Susa