Donnerstag, 26. März 2015

Augen auf und durch...

Lola soll zum Augenarzt. So sagt es ein kleiner, gelber Zettel, den ich in einer der vielen Klarsichthüllen in Lolas Ordner gefunden habe. Er trägt den Stempel vom Gesundheitsamt. Und das Datum der Schuluntersuchung von vor etwa einem Jahr. 40% Sehstärke steht da. Wie konnte ich den übersehen? Wollte ich ihn übersehen? (Weil ich von Ärzten so wenig halte?) 

Ich wähle zufällig einen Augenarzt in unserer Nähe aus. Am Telefon bekomme ich einen Termin in drei Monaten. Das muss ein guter Arzt sein, wenn man so lange warten muss, denke ich. Ich versuche keinen anderen Arzt zu finden. 

Ricardo geht mit Lola zum vereinbarten Termin. Sie soll wiederkommen in zwei Wochen, dann bekommt sie Tropfen. Ansonsten hat Ricardo nichts verstanden. Zwei Wochen später gehe ich mit Lola zum Termin. Ich will verstehen, was sie für eine Brille braucht. 

Die Sprechstundenhilfe schickt uns ins Wartezimmer.  Zehn leere Gesichter, keiner redet. Zehn Blicke auf Lola, die sich an ein Tischchen gesetzt hat, um mit Lego zu spielen. 10 Blicke, hinter denen ich Gedanken rattern höre. Ich setze ein natürliches Lächeln auf und hoffe auf den Gewöhnungseffekt. Nach 5 Minuten schaut niemand mehr. 

Lola setzt Legosteine auf eine Platte, bis die Platte fast voll ist. Die Sprechstundenhilfe ruft uns. Lola darf auf meinem Schoß sitzen und das Kinn auf's Gestell legen und in zwei Linsen blicken. „Schau ganz gerade“, sagt die Schwester. „Was siehst du da liegen auf der Strasse? Einen Wagen?“ 

Lola hält still, blinzelt kaum. Nach einer Minute ist die Messung beendet. „So Lola, jetzt bekommst du noch ein paar Augentropfen.“ Mein Herz macht einen kleinen Sprung. Ob Lola das mitmacht? Lola hält ganz ruhig, zuckt noch nicht einmal. Mein Herz schlägt wieder ruhig. 

10 Minuten warten. Lola bekommt eine Uhr, auf der die Zeit rückwärts läuft. Als sie leise surrt, bekommt sie noch einmal Augentropfen. Dreimal das Ganze. Jedes Mal hält Lola still. Jedes Mal kneift sie die Augen etwas stärker zusammen. Aber es reicht. Ihre Pupillen weiten sich. Nach einer halben Stunde kann die Messung statt finden. Der objektive Wert für ihre Fehlsichtigkeit bestimmt werden. Endlich können wir zum Arzt. 

„So, Lola, schau mal durch die Brille da und sag mir, was du siehst,“ sagt er.  

Eine Reihe von Zahlen erscheinen auf einer Leinwand. 

„Oh, die kannst du bestimmt noch nicht. Entschuldige. Nehmen wir lieber die Bilder. Was siehst du hier?“

Das schwarz-weiße Symbol für ein Flugzeug erscheint. Das Wort kann Lola nicht aussprechen. 

„Vogel“, sagt Lola. 

„Flugzeug“, korrigiere ich. 

„Sie dürfen ihr nicht vorsagen“, sagt der Arzt unwirsch. 

„Sie kann das nicht sagen.“

„Dann können wir die Untersuchung nicht machen.“

„Sie müssen ihr einmal alle Symbole erklären und ihr genau sagen, was sie antworten soll. Sie erkennt die Ikons nicht so gut.“ 

„Aber sie soll es selber sagen.“

Ich werde unruhig und angespannt. Warum zeigt er ihr nicht einfach alle Symbole und sagt ihr die Worte dafür? Hat dieser Arzt jemals mit Kindern gearbeitet? Im Wartebereich war doch Lego?

Das schwarz-weiße Symbol für eine Blume erscheint. Sehr stilisiert. Lola sagt nichts. Beim noch kleineren Auto sagt sie immer noch nichts. Sie kennt diese Worte, aber die Symbole sind zu abstrakt. 

„Es geht nicht“, sagt der Arzt. „Aber wahrscheinlich sieht sie sowieso nichts. Sie hat eine Fehlsichtigkeit von 3,75 auf dem linken Auge…“

Ich verstehe nicht. Wieso soll Lola nichts sehen können?

„Das ist uns noch gar nicht aufgefallen, ich hatte immer den Eindruck, dass sie auch in der Weite sehr gut erkennt.“

„Ja, auf dem anderen Auge hat sie auch nur 0,75. Damit kann sie das gut kompensieren. Aber sie ist ja auch nur kurzsichtig, das ist nicht so schlimm.“

„Was meinen Sie damit, dass das nicht so schlimm ist?“

„Naja, im Alltag kommt man mit 40% Sehstärke wunderbar zurecht.“

„Und wieso braucht sie dann eine Brille?“ 

„Naja, später im Beruf, da sollte man schon besser sehen können. Auch, um den Führerschein zu machen. Das will man ja schon…“

Hat der Augenarzt Lola überhaupt schon mal angesehen? Oder erkennt er sie nicht hinter seinen Apparaten? 

„Und jetzt? Hilft ihr die Brille auch jetzt?“

„Meistens sehen die Kinder auch mit der Brille nicht viel besser. Das verbessert sich dann aber. Kommen sie in drei Monaten bitte wieder, wir machen dann eine Kontrolle.“ 

Ich nehme Lola an die Hand und wir gehen. Lola braucht eine Brille, die ihr ohnehin nicht hilft, um später mal den Führerschein zu machen. Ich verstehe. 

Als mir die Sprechstundenhilfe das Rezept gibt, frage ich sie, ob sie mir einen Optiker in der Gegend empfehlen kann. 

„Nein, das tut mir leid. Wissen Sie, ich habe selber keine Brille. Ich kann ihnen da leider keinen Rat geben. Vielleicht zu Fielmann in der Innenstadt? Oder irgendeine andere von diesen Ketten. Da sind sie immer gut beraten… „

Gut, dass wir drei Monate lang auf diesen Termin gewartet haben. Vielleicht suche ich beim nächsten Mal einen Arzt, bei dem man schneller Termine kriegt. 

Kann mir jemand von Euch vielleicht einen guten Optiker empfehlen in Leipzig? Wenigstens das?

9 Kommentare:

Gabriela hat gesagt…

Och Amelie, entschuldige, dass ich jetzt lache. Du schreibst das so super, so entlarvend klar. Lola sieht Dinge, von denen der gescheite Herr Doktor keine Ahnung hat, da kann ihm auch keine Brille helfen. Einen Optiker kann ich dir nicht empfehlen, aber du, behalte du deinen klaren Blick! Ich wünsche euch, dass ein wirklich guter Augenarzt euch findet!
Herzlich
Gabriela

Anonym hat gesagt…

Hallo!
Ich bin schon lange stille Leserin hier - und heute wollte ich dann doch mal etwas schreiben. 2 meiner 3 Kinder tragen auch Brille. Ich denke mal der Beschreibung nach ist Lola weitsichtig und nicht kurzsichtig ( da wären die werte negativ). Und auch wenn der Arzt ansonsten eher nicht so der beste zu sein scheint, hat er recht wenn er sagt, dass die Kinder diese fehlsichtigkeit (noch) gut kompensieren können. Mein Sohn hat mit +8 und +7 Dioptrien gestartet und mir war vorher auch nichts aufgefallen! Außer, dass er irgendwann ein wenig schielte... Die Brille hilft ihm sehr. Meine Tochter hingegen hat +2,5 und +1,75 und setzt ihre Brille ständig ab, weil sie auch ohne gut sieht. Ich denke, Lola wird schon merken wie viel ihr die Brille bringt und sie dann auch tragen (oder nicht :-) ). Ich kann dir noch folgende Tipps geben: bitte den Augenarzt beim nächsten Mal beim Sehtest statt zahlen oder Symbole das "E" zu benutzen. Da ist dann auf der Tafel ein E abgebildet, dass entweder nach oben, nach unten nach rechts oder nach Links zeigt. Unser Augenarzt nennt das für die kleineren ein Tischchen mit drei Beinen. Das Kind muss dann nur mit der Hand zeigen in welche Richtung die Beine zeigen. Oder es bekommt selbst ein "E" in die Hand und zeigt es, so wie es das sieht. Das hat bei uns immer gut funktioniert! Bei einem Optiker würde ich dir keine große Kette empfehlen. Beratung und Qualität sind dort sicher gut, aber wir mussten am Anfang ziemlich oft zum Optiker, weil die Brille nachgestellt werden musste oder etwas kaputt war. Und dann wartet man dort oft seeeeeehr lange.
Übrigens kannst du sehr stolz auf Lola sein, dass sie so still gehalten hat bei den Augentropfen. Die brennen nämlich ganz schön. Meine machen da immer Theater! Tapferes Mädchen!
Viele Grüße,
Tanja

Alexandra hat gesagt…

Liebe Amelie,

wir sind mit Marlene seit fast drei Jahren am Abklären, was sie nun hat mit den Augen hat. Klar ist, dass sie eine Brille braucht, um ihre Augen zu entlasten, aber unklar ist, ob sie beide Augen gleich nutzt (genauer habe ich das als Laie nicht verstanden).
Zwei Infos für Euch: Es gibt bessere Augenärzte! Das muss nicht unbedingt ein spezieller Kinderaugenarzt sein, aber gut ist, wenn es eine Orthoptistensprechstunde gibt, die sind noch mal anders auf Kinderfehlsichtigkeit gebrieft. Die Leipziger Uniklinik hat sowas auf jeden Fall. Wir waren zuerst in der Unfallklinik Marzahn in Berlin und haben uns dann dort einen Arzt in unsere Nähe empfehlen lassen. Bei Marlene wollte die Ärzti am Anfang immer die Symbole erklären, aber damit war die Sache dann für Marlene erledigt und sie hat nicht eingesehen, warum sie das dann noch mal sagen sollte... Jetzt starten wir immer direkt, aber es sind einfache Bilder, die ich auch schon von mir als Kind kannte: Schlüssel, Tasse, Blume. Und die Ärztin bemüht sich SEHR, MArlene zu verstehen. Also, auch wenn es erst mal Aufwand ist, sucht Euch jemand besseres!
Und 2.: Fielmann ist tatsächlich nicht so schlecht, ABER ich empfehle einen Optiker in der Nähe zu nehmen. Wir waren am Anfang, da war Marlene 2 1/2 ungefähr drei mal pro Woche beim Richten bei einem Optiker um die Ecke. Seit unserem Umzug wohnen wir quasi neben Fielmann und fühlen uns dort auch sehr gut aufgehoben. Ich fand das beim Spezialisten auch irgendwann zu teuer, bei Fielmann läuft jede Zerstörung unter Garantie ;-)
Toitoitoi,

Alexandra

Martina von Jolinas Welt hat gesagt…

Man kann die Fehlsichtigkeit auch feststellen ohne, dass das kinmd etwas sagt, man muss es nur können looool, was ein Stümper.
Suche dir einen Augenarzt bei dem eine Sehschule dabei ist, sprich eine Orthoptistin. Bei Jolina wird gemessen ohne dass sie was sagen muss, wie sonst könnten auch schon Säuglinge Brillen bekommen?
Und natürlich braucht man bei Kurzsichtigkeit auch in der schule eine brille um zB an die tafel zu schauen.
Kinder haben die Fähigkeit ganz kurz scharf zu stellen, sehen dann was sie sehen müssen und lassen wieder nach, in der Schule oder dinge die man länger ansehen muss funktionieren dann nicht.
Bei der Brille habt ihr glaube ich Glück, Lola hat ja eine Nase, nicht wie Jolina, die eine Specs4Us trägt, die speziell für Menschen mit DS sind und der Generalimporteur war auch in Velbert, da hättet ihr mal schauen können.
LG
Martina

Elisabeth J.-S. hat gesagt…

Gabriela hat die Worte gefunden, die mir durch den Kopf gingen!
Abklären würde ich das auch weiter lassen, aber bei einem Augenarzt mit Kindersehschule.
Der Herr Doktor ist, wie so viele Augenärzte, für mein Gefühl nicht gut. Ich hab selber schon immer eine Brille, zwei meiner Kinder auch .... leider hab ich selten einen guten Augenarzt/ärztin gefunden. Die sind auch hier in der Münchner Gegend sehr rar, und wenn es sie gibt wartest Du lange auf einen Termin.
Behalte Deine Geduld, bleib weiter so ruhig. Ja, den Optiker würde ich auch in der Nähe suchen, wir mussten sehr, sehr oft dort hin weil Kind und Brille = aufwendig!
liebe Grüsse
Elisabeth

Anonym hat gesagt…

Hallo Amelie, geht mal zum Optiker "Goldschmidt" am Waldplatz; die Fehlsichtigkeitsmessungen dort sind sehr präzise. :-) Alles Liebe für euch!

amelie hat gesagt…

Vielen lieben Dank Euch allen, für die schönen und hilfreichen Kommentare. Ja, der Augenarzt war wirklich nicht besonders gut. Aber mit den 'objektiven' Werten werden wir jetzt hoffentlich einen guten Optiker finden. Wir haben einen direkt um die Ecke, da schauen wir uns dann mal die Modelle an und haben dann hoffentlich mehr Glück mit der Feineinstellung. und nicht zu hohe Reparaturkosten... Spec4us Modelle können wir uns auch zuschicken lassen, das hab ich in Velbert schon erfragt. Alles liebe, Amelie

kiki-s hat gesagt…

Als stiller Leser muss ich mich nun doch mal völlig verschreckt zu Wort melden: Ich würde unbedingt einen Augenarzt aufsuchen, der mit einer Orthoptistin zusammenarbeitet. Ich habe das mit beiden Kindern immer bis zum 6.-7. Lebensjahr so gemacht, erst ab diesem Lebensalter hat unsere Augenärztin die Kinder zur Untersuchung "übernommen". Schau mal auf den Seiten des Berufsverbandes der Orthoptistinnen, da gibt es eine Suchfunktion.
LG Kerstin

Roberto hat gesagt…

Irgendwie haben wir wohl alle ähnliche Erfahrungen gemacht. Und wenn man wie wir dann auch noch neu in einer Stadt ist, dann wird es noch schwerer. Beim ersten mal geht man zum nächstbesten. Beim zweiten mal macht man sich die Mühe im Internet zu suchen. lieber 5 Minuten mit der S-Bahn, als stundenlang trotz Termin im Wartezimmer