Donnerstag, 24. März 2016

Lydia Schmieder: 'Leben mit einem beeinträchtigten Kind'

Beim Recherchieren im Internet bin ich gerade zufällig auf ein wissenschaftliches Fachbuch gestossen, in dem mein Buch 'Lolas verrückte Welt'  im Rahmen einer entwicklungspsychologischen Untersuchung verwendet wurde.

http://www.socialnet.de/rezensionen/18846.php

Lydia Schmieder von der Universität Hildesheim hat für ihre Masterarbeit 18 Erfahrungsberichte von Eltern behinderter Kinder untersucht, die in den Jahren 2008 - 2014 erschienen sind. Und sich angeschaut, wie die Eltern mit dem Wendepunkt in ihrem Leben durch die Geburt eines behinderten Kindes umgegangen sind und welche 'psychologischen Bewältigungsstrategien' sie für sich gefunden haben.

Lydia Schmieder's Vorgehen und die Qualität ihrer Masterarbeit wurden als so herausragend bewertet, dass ihre Arbeit in der Reihe 'Bestmasters' im Springer Verlag veröffentlicht wurde!

Das Buch richtet sich vor allem an Dozierende und Studierende im Fachgebiet Entwicklungspsychologie, aber auch Praktiker im Umgang mit Eltern beeinträchtigten Kinder.

Eine ausführliche Rezension findet sich auf socialnet.de  und hier kann man das Buch als pdf  sogar herunterladen.

Hier noch ein Zitat aus dem Schlusskapitel, das den Wert des "expressiven Schreibens" betont, um solch ein einschneidendes Ereignis wie die Geburt eines Kindes mit Behinderung gut zur verarbeiten und in das eigene Leben sinnvoll zu integrieren. In dem die Autorin anregt, Eltern stärker dazu anzuhalten, das Schreiben als 'Therapeutikum' für sich zu nutzen!

"Diese Überlegungen und entsprechende erste Forschungsbefunde deuten das Potential des gezielten Einsatzes von expressivem Schreiben in der Praxis an (Horn & Mehl,2004). Im Rahmen der narrativen Psychotherapie beispielsweise liegt ein Schwerpunkt darin, individuelle, bedeutungsvolle und mit der erlebten Realität kompatible Erzählungen belastender Ereignisse und des Lebens im Allgemeinen zu generieren. Aber auch erste Untersuchungen zu expressivem Schreiben im Internet legen nahe, dass dieses positive Effekte auf Störungssymptome und das Wohlbefinden haben kann. Eine Anwendung dieser Überlegungen und ersten Befunde auf die Stichprobe der Eltern beeinträchtigter Kinder erscheint vielversprechend: Durch weitere Untersuchung sollte exploriert werden, inwieweitdie Befunde zum klassischen Schreib-Paradigma auch auf die besondere Stichprobe der Eltern beeinträchtigter Kinder übertragbar ist. Hiermit eröffneten sich Handlungs- und Interventionsmöglichkeiten in verschiedenen Kontexten: Zum einen könnten die Eltern in Kursen begleitet und angeleitet werden, eigene Gedanken und Gefühle in Bezug auf das Leben mit dem beeinträchtigten Kind niederzuschreiben. Zum anderen könnten die Potentiale des expressiven Schreibens im Internet ausgebaut werden: Neben einem Austausch von Eltern in entsprechenden Foren sind Portale denkbar, in denen die Eltern auch Rückmeldungen und individualisierte Instruktionen durch Therapeuten erhalten. Dies erwies bereits positive Effekte auf Symptome und Wohlbefinden bei Patienten Posttraumatischer Belastungsstörungen (vgl. Horn & Mehl, 2004)."(Schmieder, S. 111 f.)

Montag, 21. März 2016

Alles Gute zum Down-Syndrom Tag!!!!

Auch wenn er schon fast vorbei ist, trotzdem noch allen Menschen mit 3 mal 21 Chromosomen meinen allerherzlichesten Glückwunsch!

Und natürlich besonders Dir, Lola!!!

Zu deinem Extra Packen Witz, Eigensinn und unerschütterlicher Ehrlichkeit, die Du besitzt.

Zu Deiner Fähigkeit, ganz im Moment aufzugehen und an den einfachsten Dingen immer wieder neu Freude zu finden.

Zu Deiner Unangepasstheit, Deiner inneren Stärke und Deiner Fähigkeit, den Mund aufzumachen, wenn all anderen kuschen.

Deiner Begeisterungsfähigkeit, immer wieder aufs neue. Nochmal und nochmal in meine Arme zu fallen, wenn ich Dich abhole. 'Bibi & Tina' zu schauen. Am besten I, II und III, direkt hintereinander.

Für Deine Inbrunst, in der Du den Kakmann-Song laut mitgrölst.
"Wenn ich hier nicht weiterkomm,
dann geh ich durch die Wand.
(...)
ich will mehr,
noch viel mehr!!!"

Und so viel mehr.....

Deine Offenheit, deine Liebe, deinen Dickkopf, deine Fantasie, deine Spiellust, dein strahlendes Charisma, besonders auf der Bühne. Dein Strahlen überhaupt, wenn Du so richtig von einer Sache gepackt wirst....

So hart der Brocken (Dickkopf, Charakter, Unangepasstheit) auch oft ist, ich möchte keinen Moment mit Dir vermissen!!!

Und auch meinen Glückwunsch an all die, die das Glück haben, einen Menschen mit diesem Extra-Paket Humor, Eigensinn und Fantasie in der Familie oder als Freund zu haben. Es ist ein Geschenk des Universums!

Danke!

Und für Lola, hier noch der Link zu ihrem Lieblinsgsong



Mal schauen, ob wir ein Video machen können von Lola, wie sie diesen Song mitsingt! Das müsst ihr gesehen haben!!!

A new song by Pavel

Pavel kommt in die Küche. Hochrot und fiebrig, schwankend, ist er vom 'Krankenbett' aufgestanden.

"Ich hab Euch ein neues Lied mitgebracht."

Mama, ist froh, dass er überhaupt wieder gehen kann. Und dann auch noch so klar sprechen...

"Ach ja, welches denn?"

"Das darf ich nicht verraten. Das will das Lied nicht."

"Bist du denn der einzige, der das Lied kennt?"

"Ja. Denn das Lied ist gefährlich. Das dürfen nur Kinder wissen. Keine Erwachsenen."

Sonntag, 20. März 2016

Jeden Tag eine gute Tat

Ein Tag auf der Buchmesse liegt hinter mir. Ein spannendes Buch in meiner Hand, das ich schnell noch in der S-Bahn 'verschlinge'. Ausstieg 'Wilhelm-Leuschner-Platz'. Die Sonne scheint, Menschen auf Bänken, alles lacht. Mein Fahrrad wartet auf die Heimfahrt, aber ich setze mich auf eine Bank. Lache mit und beende das Buch-Kapitel. So einfach kann es sein. Manchmal.

Vertieft wache ich aus auf dem Buch und bemerke drei junge Menschen. Dunkel gekleidet. Mustern die Passanten, streben raschen Schrittes auf einen zu, verwickeln ihn in ein kurzes Gespräch. Die Passanten winken ab, streben weiter. Schon stechen sie zu auf den nächsten. Skurril wirkt das Ganze. Wie ein Tanz der Vampire. So dunkel wie die drei gekleidet sind, so ernst ihr Gesichtsausdruck.

Zeugen Jehovas, die nun in offensiver Mission sind? Politische Aktivisten? Nein. Eine Performance. Wie diese, die ich neulich bei der Galerie für Zeitgenössische Kunst gesehen habe. Die machen ein Video über die Reaktionen der Passanten auf direkte Fragen. Vielleicht zur Flüchtlingsfrage, zu anderen Formen der Diskriminierung. Wollen die Gleichgültigkeit der Menschen darstellen. Ich suche den Vorplatz nach Video-Kameras ab. Außer den Überwachungskameras über dem S-Bahn-Eingang kann ich keine entdecken.

Neben mir sitzt ein anderer unbeteiligter Sonnen-Genießer. Er scheint nichts zu bemerken. Ich fange seinen Blick. "Was machen DIE?", frage ich ihn mit geheimnisvollem Unterton. "Ist das eine Performance?"

Er zieht die Brauen hoch. "Die werben für irgendwas," sagt er achselzuckend und deutet auf ein paar weiße Aktenordner, die auf den Bänken neben uns liegen. Neben ein paar dunklen Sonnenbrillen.

"Aber doch nicht so! Indem sie direkt auf die Passanten zustechen, mit solch einem Gesichtsausdruck. Das verschreckt doch jeden! Das ist bestimmt eine Form 'versteckter Kamera'".

Mißtrauisch mustern wir nun schon zu zweit das bizarre Vorgehen der drei dunklen Gestalten, eine weiblich, zwei männlich.

Die Frau bemerkt unsere Aufmerksamkeit, wendet den Blick von den Passanten uns zu und kommt näher. Jetzt sind wir dran!

"Was macht ihr da?", frage ich offensiv. Gar keine Angriffsfläche bieten. Gleich deutlich machen, dass ich das Spiel durchschaut habe. Ich falle nicht rein auf solche Aktionen.

"Wir suchen Unterstützer für die Christoffel-Mission."

Wusste ich es doch. Irgendwelche Missionare.

"Das ist eine Organisation, die weltweit blinde Menschen unterstützt", sagt sie.

Blinde Menschen? Im Glauben, oder was ihr Augenlicht angeht? Ich muss an meine Nachbarin denken, die drei kleine Söhne hat. Und nach der Geburt des Jüngsten aufgrund einer Blutvergiftung erblindet ist.

"Ja? Meine Nachbarin ist auch blind", sage ich. Als ob mich das schützen könnte.

"Wenn Sie mögen, kann ich Ihnen mehr über die Organisation erzählen", sagt sie. Und sieht schon viel weniger streng aus.

"Ihr werbt wirklich für eine Organisation? So ganz ohne Material und Tisch und Broschüren? Indem ihr direkt auf die Leute zurennt? Das kann doch nicht klappen", sage ich. Obwohl ich immer noch nicht sicher bin, welcher Film gerade läuft.

"Ja, wir hatten heute kein Auto und mussten mit der Bahn kommen. Da war kein Platz für das ganze Material", sagt sie und lächelt entschuldigend. "Aber ich erzähle Ihnen gerne mehr."

Normalerweise sagen ich immer in diesen Situationen, dass ich ihr Engagement sehr gut finde. Aber leider schon Mitglied und Unterstützer mehrerer Vereine bin. Und außerdem von drei Kindern, was mir weder zeitlich noch finanziell große Ressourcen lässt. Aber irgendwie will ich wissen, ob es stimmt, was sie behauptet. Oder am Ende doch nur eine große Plastikente aus dem Ordner in mein Gesicht springt. Und nicke zustimmend.

Sie holt den Ordner von der Bank und setzt sich neben mich. Öffnet die erste Seite. Ein Bild von einem dunkelhäutigen Kind mit Augenverband erscheint. Ohne Ente.

Dann erklärt sie mir, wie sich ihre Organisation weltweit für von Erblindung bedrohte Menschen einsetzt. Medikamente gibt, Operationen vornimmt. Kleine Eingriffe mit großer Wirkung. Zeigt mir Bilder, Zahlen, Tabellen. Ich lese Werbesprüche, denen ich kaum Glauben schenken kann. Schon 50€ schenken einem Menschen sein Augenlicht.

"So wenig? Wie kann eine Operation so günstig sein?" frage ich.

"Durch das unentgeltliche Engagement von 'Ärzte ohne Grenzen'. Die ihre Arbeit nicht in Rechnung stellen", sagt sie und lächelt.

So viele Menschen auf der Welt leisten so viel für andere. Denke ich. Aber die will mich doch nur rumkriegen. Denkt die andere Seite.

"Und warum macht ihr mit einem so grimmigen Gesichtsausdruck Werbung für eine so gute Sache?", frage ich. "Ihr habt gerade die Leute angeguckt, als wolltet ihr sie lynchen, wenn sie nicht direkt stehen bleiben."

"Ach", sagte sie und der letzte Ernst fällt aus ihrem Gesicht. "Weil heute einfach der Wurm drin ist. Von Anfang an ist es nicht gelaufen. Wir haben überhaupt nichts hingekriegt heute. Den ganzen Tag. Obwohl die Sonne scheint, Massen an Leuten hier freundlich in der Sonne saßen. Aber niemand wollte uns unterstützen... jetzt machen wir noch eine Extra-Überstunde, in der Hoffnung, wenigstens noch ein paar Unterstützer zu gewinnen."

"Na, so wie ihr die Leute attackiert habt, wundert mich das nicht", sage ich und lache sie an.

"Wirklich? War es so schlimm?", sagt sie und schüttelt seufzend den Kopf. "Ich weiß einfach nicht, was heute los ist. Keine Ahnung. An anderen Tagen läuft es so gut. Aber heute... . Und ich bin die Koordinatorin. Bin verantwortlich, dass alles läuft. Keine Ahnung, wie ich das meinem Chef erklären soll."

"Den Stress hat man Euch echt angesehen. Dass ihr jetzt UNBEDINGT jemanden ansprechen wollt. Mit solch einem Druck, dass alle gleich weiter wollten. Wie es so ist, wenn man unbedingt etwas will...", sage ich und muss an meine Versuche denken, meine Selbständigkeit aufzubauen. Je krampfhafter ich mich bemühe, desto mehr verschlossene Türen finde ich.

Aber jetzt scheint die Sonne. Ein schöner Tag auf der Buchmesse liegt hinter mir. Vor mir sitzt eine verzweifelte junge Frau, die sich für blinde Menschen einsetzt. So wie viele andere auf der Welt. Für Menschen, wie meine Nachbarin. Damit sie nicht das Augenlicht verlieren. Und die Sonne scheint. Und heute bin ich nur durch sperrangelweite Türen gerannt.

"Was ist denn der Mitgliedsbeitrag?", frage ich.

"6 Euro monatlich", sagt die junge Frau und guckt mich irritiert an. Als sei das das Letzte, was sie erwartet hätte. Nachdem sie mir ihre auswegslose Tagessituation samt Resignation erzählt hat.

6 Euro im Monat. Das sind zwei große Milch-Kaffee. Das geht, denke ich.

"Ich würde gern Förderer werden!", sage ich. Und bin selber überrascht über meine Entscheidung.

"Wirklich?", sagt sie. "Das gibt's doch nicht..."

"Ja, ich denke, das ist eine gute Sache."

Ungläubig schüttelt sie den Kopf. "Das hab ich ja noch nie erlebt. Das ist ja Wahnsinn", sagt sie. Und grinst plötzlich über beide Backen.

Sie füllt den Antrag aus. Ich unterschreibe. Und weiß nicht so recht, was ich da gerade gemacht habe. Aber es fühlt sich großartig an.

"Du hast meinen Tag gerettet. Danke!!!", sagt sie zum Abschied und strahlt mich an.

"Das freut mich", sage ich und fühle Kribbeln im ganzen Körper. Steige auf mein Fahrrad und fahre in der lauen Frühlingsluft nach Hause. So einfach kann sich Glück anfühlen.

Vielleicht sollte ich jetzt mal googlen, was diese Christoffel-Mission eigentlich macht? Und wer dahinter steckt? Vielleicht ist es auch egal... 

meine kraft (I)

meine kraft liegt auf der strasse.
wie ein motor ohne karrosserie.
er fragt, wohin?
und heult und jault.
aber er kann nicht fahren.
ihm fehlen die räder.

und strassenkarten?
google-maps.
geo.was?
kompass? das konnte ich doch mal.
ich brauch doch eigentlich nur eine richtung!

lass mich gehen.
vertrau dir.
schreit es in mir.
es wird dich führen.

aber der wagen muss doch blitzen.
die koordinaten klar sein.
kommt die antwort.

klares ziel.
hoher anspruch.
reinhaun.
das kannst du.

bin ich immer noch der hamster von gestern?

nein, das macht spass.
sagt die lerche.

echt?
sagt die krähe.
und hackt.

ich weiß auch nicht.

meine jahre verrinnen.
vielleicht tun sie das
so oder so.

ich wollte,
sie hätten einen namen.