Die vergangenen Wochen zu Hause mit drei Kindern haben ihre Spuren hinterlassen, was meine Belastbarkeit angeht. Obwohl der Alltag durchaus zu bewältigen ist, was die Abfolge der Handgriffe angeht, ist es vor allem die Unsicherheit im Außen, die mir meine geistige Energie raubt. So dass ich mich den Kindern und ihren täglichen Herausforderungen nicht mehr so bewusst und präsent widmen kann wie sonst. Im Kopf oft woanders bin und überlege, wo man nicht überall Hilfe her organisieren könnte und wie man es bewirken könnte, dass auch Greta endlich wieder in die Schule gehen kann. Um ihre Freunde zu sehen, sich an denen zu reiben, statt an mir, ihr Grundbedürfnis nach ihren Peers auszuleben, was für eine 14-jährige eigentlich wichtiger ist als Wasser und Brot zusammen.
Keine leichte Sache: gleichzeitig auf die vielen forschenden Fragen des Siebenjährigen angemessen zu antworten und mir seine detaillierten Geschichten bzw. Baupläne über den Pool mit Unterwasserrutsche, den er gerade im Garten baut, anzuhören. Auf Lolas Wünsche nach gemeinsamem Lesen in ihrem Leselernbuch einzugehen und immer wieder ihre Maschen aufzunehmen, die sie beim Stricken hat fallen lassen (als Waldorfschülerin kann sie das leider besser als ich es je konnte). Und bei Dauerbeschallung durch Popsongs von Greta, ihren meist patzigen Bemerkungen und ur-plötzlichen Abgängen, immer ruhig und respektvoll zu bleiben.
Und gestern mittag ist es plötzlich mit mir durchgegangen. Obwohl alle gerade friedlich und gut gelaunt im Garten saßen. Doch ich hatte es nicht geschafft, die Tortellini abzugiessen! Weil ich kein Abtropfsieb hatte. Da lagen sie, diese warmen, frischen, aufgequollenen Tortellini im heissen Sud im Topf und mir fiel keine Möglichkeit ein, wie ich sie da raus bekommen sollte. Alles viel zu heiss und kochend, und der Topfdeckel fehlte, den ich hätte benutzen können. Und plötzlich ist eine Leitung durchgebrannt. Ich fühlte mich einfach hoffnungslos überfordert und hab nur noch lauthals rumgeschimpft, in Tiraden den Kindern Vorwürfe an den Kopf geworfen. Außer Kontrolle. Für wenige Momente, doch es hat gereicht.
Nachdem ich mich im Nachgang bei allen entschuldigt hatte, waren die Kinder wieder halbwegs versöhnt und beruhigt. Doch am Abend machte Pavel den Vorschlag, dass wir doch wieder eine Strichliste einführen sollten. Und ich bei jedem Wutanfall einen Strich bekomme. Und wenn ich 10 Striche hab, dann gibt's eine Strafe.
So eine Liste hatten wir eine Zeitlang, für alle von uns, wo man eben bei jedem 'Vergehen' einen Strich kriegt. Ursprünglich war das die 'Nö-Liste', wo Lola für jedes 'Nö' einen Strich bekam. Um ihren Widerspruchsgeist etwas zu bändigen. Und es hat erstaunlich gut funktioniert bei ihrer Selbstregulierung, auch wenn ich sonst gar nicht der Fan von solchen Strafsystemen bin. In dieser Liste gab es neben dem Eintrag 'Nö' natürlich auch noch andere Rubriken, wie Motzen, Trödeln, Unterbrechen. Halt die verschiedenen Spezialbaustellen jedes Familienmitglieds.
Und damit die Liste funktioniert, braucht es natürlich auch eine kleine 'Strafe', wenn das Soll von 10 Strichen voll ist. Die doch so 'schmerzlich' ist, dass man sich lieber zusammen reisst.
Greta erklärte sich bereit, dass sie bei 10 Strichen 2 Tage kein Netflix schauen darf. Was als Serienjunkie gar nicht so leicht ist. Bei mir machte sie den Vorschlag, dass ich zwei Tage nicht rauchen dürfe. Was ich unangemessen schwer fand, doch als Anreiz wahrscheinlich gut funktioniert. Lola sollte zwei Tage kein Playmobil mehr spielen dürfen, überlegten wir, was sie aber so furchtbar fand, dass sie gleich einen kleinen Schreianfalll bekam. Also, als 'Strafe' auch gut geeignet. Pavel erklärte freudig, er könne dann ruhig auch zwei Tage keine Filme mehr schauen (zur Zeit abends eine Folge 'Schlümpfe'). Wobei es mir erschien, dass ihm das zu leicht fallen würde.
'Nein, ich finde, du darfst dann zwei Tage nichts lesen", meinte ich. Worauf er mich vollkommen entsetzt anstarrte, heftigst mit dem Kopf schüttelte, als hätte ich etwas gänzlich Unvorstellbares, Unmögliches, vollkommen Absurdes und zutiefst Entsetzliches gesagt. "Nein, Mama. Das geht nicht. DAs darfst Du nicht. Das KANNST du nicht machen! Dann darfst du 8 Wochen nicht rauchen."
Denn wenn die Corona-Krise eines geschafft hat, dann: ihn zum echten Bücherwurm zu machen. Er hat angefangen, einfach alle Bücher im Regal durchzulesen. Drei Fragezeichen, Räuber Hotzenplotz, 5 Bände Harry Potter, gerade sogar 'Emil und die Detektive' von Erich Kästner. Stundenlang, verschwindet er in seinen Welten, auf dem Bett liegend, selbst unter der Decke mit Taschenlampe.
Nein, ihm das Bücher-Lesen zu verbieten, das konnten und durften wir ihm nicht 'antun'. Das war unverhältnismäßig hart. Das hatte ich verstanden. Einem kleinen Tode gleich. Also doch kein Film mehr schauen. Das war zu überleben.
Samstag, 23. Mai 2020
Freitag, 22. Mai 2020
Verrückte Zeiten
Mein Leben ist ver-rückt. Von einem Tag auf den Anderen. Wie ein Schlag vors Gesicht. Doch die Wunde, die es in mein Leben gerissen hat, die begreife ich erst jetzt, langsam.
Ich hatte schon lange nichts hier im Blog geschrieben. Ab und zu ein paar Bilder und Eindrücke, aber nichts wirklich Wichtiges, über mich oder Lola. Mir war der Antrieb verloren gegangen. Das große Wofür. Mein Leben war reich und voll ,und es wollte gelebt werden. Und Lola und das Leben mit ihr war zum Alltag geworden, zu einem Teil meines Lebens, einer von vielen. Doch kein Teil, der mehr solche Aufmerksamkeit von mir bekommen hätte wie früher, in ihren ersten Lebensjahren.
Und die Blogs, die es gab, mickerten vor sich hin. Veraltet, überkommen, von kaum jemanden gelesen. Die neuen, die aus dem Boden schossen, waren eher Life-Style-Magazine oder Ratgeber voller Pop-up Werbung und heimlicher Hinweise auf zu kaufende Produkte. Alles in Hochglanz, in verschiedenen Rubriken. Ich wusste beim Lesen nicht mehr, wo ich anfangen oder aufhören sollte. Man hüpfte so durch die Seiten, und ich fühlte mich verloren. Alles in Happen, die kein Gesicht mehr hatten, keine logische Folge, kein Vorher und Nachher.
Und Facebook wurde wichtiger, Twitter, Instagram. Kleine Stories, die da einen Tag stehen und wieder Verschwinden. Einblicke in das Leben der Menschen, das sich Kaleidoskop-artig vor meinem Auge veränderte, wenn ich am nächsten Tag wieder kam. Eine Wirklichkeit, die ständig ihre Form wandelte. Voller Hashtags, deren Wert ich nicht verstand. Ich glaube, ich bin alt geworden, so dachte ich. Mir geht das zu schnell, nach dem Slippen durch fremde Stories war ich verwirrt und verunsichert. Nicht wie einem guten Buch, wo es einen Spannungsbogen gibt, eine langsame Entwicklung, dann einen Höhepunkt und dann das dramatische oder auch versöhnliche Ende. Das traurig macht, oder auch befriedigt. Dieses kathartische Moment.
Nein, im Netz in den sozialen Netzwerken surfen war wie ein Dauerfeuer, ohne Plot und Versöhnung. Bruchstücke von Geschichten ohne Zusammenhang. Wie ein Radio, dass ständig Hits dudelt, denen man kaum mehr lauscht. Dauer mediale Berieselung durch eine Welt in Stücken. Von der auch jeder ein anders Stück sieht, weil sich ja jeder willkürlich durch andere Seiten scrollt. Und niemand je in der gleichen Reihenfolge liest.
Ich habe Facebook dann höchstens genutzt, um Lesungen oder Workshops von mir zu bewerben. Doch selber fast nie etwas gepostet, oder gar die Posts der anderen zu lesen. Mich bei Instagram und twitter auch nie angemeldet, und all den anderen Plattformen, deren Namen ich nicht einmal weiß. Und ich habe nie etwas vermisst. Ich lebte in meiner analogen Welt, las meist eine lokale und eine überregionale Tageszeitung, die Süddeutsche, um mich zu informieren. Und lebte mein Leben, in vertrauten Gleisen. Meist zufrieden, mit dem Alltag der Kinder beschäftigt, gab meine Schreibworkshops, hielt ab und zu Lesungen aus 'Lolas verrückter Welt' und gab Vorträge.
Die größte Herausforderung meines Lebens bestand in den letzten Jahren aus den üblichen Reibereien in einer Partnerschaft, die manchmal auch zu Grabenkämpfen wurden. Und oft auch eine Last darstellten, vor allem weil ich mich nicht entscheiden konnte. Soll ich gehen oder bleiben? Diese Ambivalenz ertragen, das war das schwerste. Doch die Probleme war meist irgendwie lösbar, auch wenn sie mir in akutem Momenten oft unlösbar schienen. Alles in allem war ich glücklich und zufrieden, wenn mich mal einer fragte. Vor allem, weil ich endlich einen Beruf gefunden hatte, der mich erfüllt. Wo die Arbeit sich nicht wie Arbeit anfühlte, sondern wie Freizeit. Und mehr Energie gab, als sie nahm, wie die vielen anderen Tätigkeiten, die ich vorher ausübt hatte. Auch wenn sie prestigereicher und meist auch besser bezahlt waren. Ich hätte nicht zurückgewollt. Meine Arbeit erfüllte mich mit Sinn. Das Leben mit den Kindern auch. Es war alles rund und gesund.
Bis von einem Tag auf den anderen meine Welt zusammenbrach. Eigentlich gar nicht meine persönliche, sondern gefühlt die gesamte Welt. Um mich herum plötzlich wie ein Kartenhaus zusammenfiel, die Welt, in der ich glaubte zu leben und sicher zu sein. Wo nichts mir etwas anhaben kann. Wo alles möglich ist, wenn ich diese Vision nur klar in mir trage. Wo ich sicher und geborgen bin, auch wenn ich mich in meiner Beziehung vielleicht nicht immerzu geborgen fühlte. Die Welt da draussen, die geschützte Blase der Bundesrepublik, hielt mich immer noch sicher umschlossen. Eine Welt, in der ich frei war und meinen Weg gehen konnte, wenn ich unzufrieden war. Eine Welt, wo ich meine Meinung sagen konnte, meinen Beruf frei auswählen, die Stadt wechseln, meinen Lobbies nachgehen, Tango tanzen und meine Freunde besuchen, überall auf der Welt, wenn ich das Geld hätte ausgeben wollen.
Schon der Auftakt für die Veränderung warf mich emotional aus der Bahn. Eine SMS meiner Mutter, die sich eigentlich selten bei mir meldet. "Ob ich schon von DEM Virus gehört hätte. Wie es uns denn ginge gesundheitlich? Dass wir uns ja jetzt so bald nicht mehr sehen könnten. Erst wenn eine Impfung gefunden sei. Sie ja gerne unterstützen würde, aber leider würde das nicht gehen... Ob wir schon Klopapier besorgt hätten und Vorräte für zwei Wochen? Und ich mir zur Sicherheit schonmal Geld in kleinen Scheinen besorgen solle, für alle Fälle. Denn die Quarantäne würde kommen, die Schulen würden schließen, schon bald. Und ja, sie glaube, das würde so schlimm werden wie seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr." Tagelang Bombardements mit SMS, unvermittelt.
Ich versuchte zu beschwichtigen, empfand ihre SMS als hysterisch, überzogen, fast wahnhaft, schüttelte permanent den Kopf und versuchte zu ergründen, was in sie gefahren sein könnte. Fernab lebend von auf mich einschlagenden News im Netz oder Fernsehen. In meiner alten Realität lebend. Ja, da war dieser Virus in China ausgebrochen, die Chinesen hatten zur Eindämmung ganz Wuhan abgeriegelt. Chinesische Methoden halt, wie man das in einer Diktatur so machen kann. Ab und zu ein paar Nachrichten über Corona im Radio, die ersten Bilder aus Bergamo von Intensivstationen, die Nachrichten erzählten von einer Quarantäne in Heinsberg, doch viele Virologen, auch Wieler vom Robert-Koch-Institut, sprachen von einer 'mittelschweren Grippe'. Die besonders alte und schwerkranke menschen trifft und sehr schnell zu Lungenversagen führt. Vor allem in Pflegeheimen grassierte und dort bei extrem vielen zum Tod führte, vor allem, weil die Krankenhäuser schnell überlastet waren. Ja, man solle am besten auch hier in Deutschland Abstand halten, sich nicht mehr die Hände schütteln
Erst als ich am 12. März im Radio hörte, dass die Stadt Halle eine Ausgangssperre verhängte und mich die Absage meiner Lesung in Halle am 21. März beim Jubiläum des Down-Syndrom Halle e.V. erreichte, begann mein Herz zu rasen. Ich stand an der Tankstelle, checkte aus Langweile meine Mails, da las ich die Absage. Und konnte von einem Moment auf den Anderen nicht mehr klar denken. Wie ein Wirbelsturm der Gefühle, mein Puls bis zum Hals, die Brust verengt, mein Atem flach, die Gedanken wirbelten. Warum, wieso Halle? Der Bürgermeister, wie konnte er? Gerade der? Was für ein Pech. Dass nun ausgerechnet Halle so eine blöde Quarantäne verordnete, wo es in ganz Sachsen-Anhalt die wenigsten Infektionen mit dem Virus gab. Ich brauchte lange, an dem Abend, um mich wieder zu beruhigen, mir gut zuzureden. Die Kinder entspannt ins Bett zu bringen, während in mir die Fragen wirbelten. Auch, ob mein Schreibworkshop zum Biografischen Schreiben am nächsten Wochenende in Dresden noch würde stattfinden können. Und was das denn heißen würde, wenn jetzt alle meine Termine ausfallen...
Am nächsten Tag, Freitag dem 13., Ironie der Geschichte, trudelten den ganzen Tag im Viertelstundentakt die Verordnungen ein, wo und ab wann Schulen geschlossen werden würden, Kindergärten, Spielplätze, Geschäfte, Unternehmen. Während ich nach Dresden fuhr, um eine Gruppe von Menschen zwei Tage lang schreibend zu begleiten, Halt und Rahmen gebend, ihre Geschichten aufzuschreiben. Und in mir ein Chaos der Gefühle, Ängste, Herzrasen, fast einer Panikattacke gleich. Langsam atmen half ein wenig. An der Rezeption des Hotels blieb ich vorsichtshalber auf Abstand, wollte den Zimmerschlüssel kaum berühren, den der Portier mir über die Theke schob. Gewitterstimmung in mir. Am nächsten Morgen sah ich die Spaziergänger an der Elbe bei schönstem Wetter schlendern, wie durch ein Milchglas, in einer fremden Welt, auf einem Bildschirm. Als habe ich nicht mehr die Möglichkeit, mich dazu zu gesellen. War nicht schon Ausgangssperre? Und was hiess das eigentlich?
Ich begleitete die TeilnehmerInnen meines Workshops gut und sicher beim Schreiben, so glaube ich. Im Kontext des Workshops war ich fokussiert, konnte zuhören und mitfühlen, doch kaum nach dem Seminar schoss mein Puls wieder hoch. Ob ich einkaufen sollte hier in Dresden, ich hatte von leeren Regalen gehört in Leipzig, alles ausverkauft. Auch wenn ich den Nachrichten kaum Glauben konnte. In Dresden waren die Regale voll, wenigstens das. Unschlüssig stand ich und wusste nicht, ob ich nun vorsorgen und 'hamstern' sollte oder nur einen knappen Einkauf des Nötigen. Ich entschied mich für das Nötige.
Ich merke, dass ich müde werde beim Schreiben. Abschweife, irritiert bin. Und ich merke auch, dass ich das alles aufschreibe, wie eine chronologische Aufzeichnung, fast minutengenau, obwohl ich sonst nie so schreibe. Wie bei menschen, die über schwere Erfahrungen schreiben, und auch plötzlich eher in einen Berichtsstil verfallen, wo sie sonst ausgesprochen gut Formulierungen und Bilder nutzen, bei schweren Lebensereignissen ähneln die ersten Texte eher Berichten. Und so merke ich gerade, erst im Schreiben, wie heftig diese ersten Tage für mich waren, angsteinflössend in einer Weise, wie ich es noch nie in meinem Leben erlebt habe. Und vor allem, dass ich diese Angstgefühle seither mit mir herum trage. Immer in Alarmbereitschaft. Nie mehr aus dieser Mischung aus Panik und Schockstarre herausgekommen bin, die mich gerade bei vielen Anlässen, unwichtigster Natur erfassen kann.
Und warum schreibe ich das dann hier? Gerade hier? Ich weiß es nicht. Ich weiß, dass Schreiben hilft, Aufschreiben, Bannen, Festhalten und dem Ausdruck zu verleihen, was uns beschäftigt, ängstigt, schmerzt. Damit diese schwere, vielleicht sogar traumatische Erfahrung, dieser heftige EINDRUCK, einen AUSDRUCK findet. So habe ich es gelernt, in der Poesie- und Bibliotherapie - Weiterbildung bei Ilse Orth. Die ich selber an meine Klienten weitergebe. Doch nichts davon konnte ich in den letzten Monaten beherzigen, umsetzen. Mein Schreiben drehte sich um alles andere, um die Corona-Krise, meine politische Meinung, Lösungen zu finden, Ursachen zu Erforschungen, Spaltungen zu verhindern, aufmerksam zu machen, doch nicht um mich. Nicht um diese ersten Momente der Schockstarre. Und ich weiß auch jetzt nicht, warum sie sich so aufgedrängt haben, wie ein Bildstrom. Sie zu nennen und zu bannen. Und vielleicht morgen weiter zu machen. Denn jetzt bin ich müde, erschöpft, erschlagen, doch seltsamerweise auch ruhiger, als in all den letzten Wochen. Wie lang wird es halten?
Ich werde morgen weiterschreiben. Vielleicht ist es das, was ich brauche. Wieder brauche. Um das Kreisen in meinem Kopf zu bannen, das mich seit diesen Tagen im März nicht loslässt, als würde ich permanent mit mir selber sprechen, formulieren versuchen, eine Form finden für diese Ereignisse, die ja auch nicht nachlassen und nicht besser werden und mir jeden Tag neu den Boden unter den Füßen wegreissen, zumindest im Kopf. Und vielleicht ist das ja auch alles nur im Kopf. Und wir entscheiden doch selbst, in welcher Realität wir leben. Nicht nur in der virtuellen, sondern auch in der analogen. Je nach Erwartung, je nach Brille, je nach Angstpegel. Und schreibend, so merke ich gerade, muss ich meinen erstmal runter bringen, bevor ich weiter über diese Welt und das, was mit uns passiert, nachdenken kann. Und hier auch schreiben.
Und vielleicht setzt sich jemand anders ja auch hin, und schreibt über die Erfahrungen dieser Tage des Ausnahmezustandes, die anhalten. Über die Angst dieser Tage, vielleicht auch die Wut. Und natürlich auch die Freude und alle die schönen und leuchtenden Seiten, immer noch. Wenn die Milchglasscheibe endlich wieder durchsichtig geworden ist und mein Herz wieder erreicht. Morgen.
Ich hatte schon lange nichts hier im Blog geschrieben. Ab und zu ein paar Bilder und Eindrücke, aber nichts wirklich Wichtiges, über mich oder Lola. Mir war der Antrieb verloren gegangen. Das große Wofür. Mein Leben war reich und voll ,und es wollte gelebt werden. Und Lola und das Leben mit ihr war zum Alltag geworden, zu einem Teil meines Lebens, einer von vielen. Doch kein Teil, der mehr solche Aufmerksamkeit von mir bekommen hätte wie früher, in ihren ersten Lebensjahren.
Und die Blogs, die es gab, mickerten vor sich hin. Veraltet, überkommen, von kaum jemanden gelesen. Die neuen, die aus dem Boden schossen, waren eher Life-Style-Magazine oder Ratgeber voller Pop-up Werbung und heimlicher Hinweise auf zu kaufende Produkte. Alles in Hochglanz, in verschiedenen Rubriken. Ich wusste beim Lesen nicht mehr, wo ich anfangen oder aufhören sollte. Man hüpfte so durch die Seiten, und ich fühlte mich verloren. Alles in Happen, die kein Gesicht mehr hatten, keine logische Folge, kein Vorher und Nachher.
Und Facebook wurde wichtiger, Twitter, Instagram. Kleine Stories, die da einen Tag stehen und wieder Verschwinden. Einblicke in das Leben der Menschen, das sich Kaleidoskop-artig vor meinem Auge veränderte, wenn ich am nächsten Tag wieder kam. Eine Wirklichkeit, die ständig ihre Form wandelte. Voller Hashtags, deren Wert ich nicht verstand. Ich glaube, ich bin alt geworden, so dachte ich. Mir geht das zu schnell, nach dem Slippen durch fremde Stories war ich verwirrt und verunsichert. Nicht wie einem guten Buch, wo es einen Spannungsbogen gibt, eine langsame Entwicklung, dann einen Höhepunkt und dann das dramatische oder auch versöhnliche Ende. Das traurig macht, oder auch befriedigt. Dieses kathartische Moment.
Nein, im Netz in den sozialen Netzwerken surfen war wie ein Dauerfeuer, ohne Plot und Versöhnung. Bruchstücke von Geschichten ohne Zusammenhang. Wie ein Radio, dass ständig Hits dudelt, denen man kaum mehr lauscht. Dauer mediale Berieselung durch eine Welt in Stücken. Von der auch jeder ein anders Stück sieht, weil sich ja jeder willkürlich durch andere Seiten scrollt. Und niemand je in der gleichen Reihenfolge liest.
Ich habe Facebook dann höchstens genutzt, um Lesungen oder Workshops von mir zu bewerben. Doch selber fast nie etwas gepostet, oder gar die Posts der anderen zu lesen. Mich bei Instagram und twitter auch nie angemeldet, und all den anderen Plattformen, deren Namen ich nicht einmal weiß. Und ich habe nie etwas vermisst. Ich lebte in meiner analogen Welt, las meist eine lokale und eine überregionale Tageszeitung, die Süddeutsche, um mich zu informieren. Und lebte mein Leben, in vertrauten Gleisen. Meist zufrieden, mit dem Alltag der Kinder beschäftigt, gab meine Schreibworkshops, hielt ab und zu Lesungen aus 'Lolas verrückter Welt' und gab Vorträge.
Die größte Herausforderung meines Lebens bestand in den letzten Jahren aus den üblichen Reibereien in einer Partnerschaft, die manchmal auch zu Grabenkämpfen wurden. Und oft auch eine Last darstellten, vor allem weil ich mich nicht entscheiden konnte. Soll ich gehen oder bleiben? Diese Ambivalenz ertragen, das war das schwerste. Doch die Probleme war meist irgendwie lösbar, auch wenn sie mir in akutem Momenten oft unlösbar schienen. Alles in allem war ich glücklich und zufrieden, wenn mich mal einer fragte. Vor allem, weil ich endlich einen Beruf gefunden hatte, der mich erfüllt. Wo die Arbeit sich nicht wie Arbeit anfühlte, sondern wie Freizeit. Und mehr Energie gab, als sie nahm, wie die vielen anderen Tätigkeiten, die ich vorher ausübt hatte. Auch wenn sie prestigereicher und meist auch besser bezahlt waren. Ich hätte nicht zurückgewollt. Meine Arbeit erfüllte mich mit Sinn. Das Leben mit den Kindern auch. Es war alles rund und gesund.
Bis von einem Tag auf den anderen meine Welt zusammenbrach. Eigentlich gar nicht meine persönliche, sondern gefühlt die gesamte Welt. Um mich herum plötzlich wie ein Kartenhaus zusammenfiel, die Welt, in der ich glaubte zu leben und sicher zu sein. Wo nichts mir etwas anhaben kann. Wo alles möglich ist, wenn ich diese Vision nur klar in mir trage. Wo ich sicher und geborgen bin, auch wenn ich mich in meiner Beziehung vielleicht nicht immerzu geborgen fühlte. Die Welt da draussen, die geschützte Blase der Bundesrepublik, hielt mich immer noch sicher umschlossen. Eine Welt, in der ich frei war und meinen Weg gehen konnte, wenn ich unzufrieden war. Eine Welt, wo ich meine Meinung sagen konnte, meinen Beruf frei auswählen, die Stadt wechseln, meinen Lobbies nachgehen, Tango tanzen und meine Freunde besuchen, überall auf der Welt, wenn ich das Geld hätte ausgeben wollen.
Schon der Auftakt für die Veränderung warf mich emotional aus der Bahn. Eine SMS meiner Mutter, die sich eigentlich selten bei mir meldet. "Ob ich schon von DEM Virus gehört hätte. Wie es uns denn ginge gesundheitlich? Dass wir uns ja jetzt so bald nicht mehr sehen könnten. Erst wenn eine Impfung gefunden sei. Sie ja gerne unterstützen würde, aber leider würde das nicht gehen... Ob wir schon Klopapier besorgt hätten und Vorräte für zwei Wochen? Und ich mir zur Sicherheit schonmal Geld in kleinen Scheinen besorgen solle, für alle Fälle. Denn die Quarantäne würde kommen, die Schulen würden schließen, schon bald. Und ja, sie glaube, das würde so schlimm werden wie seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr." Tagelang Bombardements mit SMS, unvermittelt.
Ich versuchte zu beschwichtigen, empfand ihre SMS als hysterisch, überzogen, fast wahnhaft, schüttelte permanent den Kopf und versuchte zu ergründen, was in sie gefahren sein könnte. Fernab lebend von auf mich einschlagenden News im Netz oder Fernsehen. In meiner alten Realität lebend. Ja, da war dieser Virus in China ausgebrochen, die Chinesen hatten zur Eindämmung ganz Wuhan abgeriegelt. Chinesische Methoden halt, wie man das in einer Diktatur so machen kann. Ab und zu ein paar Nachrichten über Corona im Radio, die ersten Bilder aus Bergamo von Intensivstationen, die Nachrichten erzählten von einer Quarantäne in Heinsberg, doch viele Virologen, auch Wieler vom Robert-Koch-Institut, sprachen von einer 'mittelschweren Grippe'. Die besonders alte und schwerkranke menschen trifft und sehr schnell zu Lungenversagen führt. Vor allem in Pflegeheimen grassierte und dort bei extrem vielen zum Tod führte, vor allem, weil die Krankenhäuser schnell überlastet waren. Ja, man solle am besten auch hier in Deutschland Abstand halten, sich nicht mehr die Hände schütteln
Erst als ich am 12. März im Radio hörte, dass die Stadt Halle eine Ausgangssperre verhängte und mich die Absage meiner Lesung in Halle am 21. März beim Jubiläum des Down-Syndrom Halle e.V. erreichte, begann mein Herz zu rasen. Ich stand an der Tankstelle, checkte aus Langweile meine Mails, da las ich die Absage. Und konnte von einem Moment auf den Anderen nicht mehr klar denken. Wie ein Wirbelsturm der Gefühle, mein Puls bis zum Hals, die Brust verengt, mein Atem flach, die Gedanken wirbelten. Warum, wieso Halle? Der Bürgermeister, wie konnte er? Gerade der? Was für ein Pech. Dass nun ausgerechnet Halle so eine blöde Quarantäne verordnete, wo es in ganz Sachsen-Anhalt die wenigsten Infektionen mit dem Virus gab. Ich brauchte lange, an dem Abend, um mich wieder zu beruhigen, mir gut zuzureden. Die Kinder entspannt ins Bett zu bringen, während in mir die Fragen wirbelten. Auch, ob mein Schreibworkshop zum Biografischen Schreiben am nächsten Wochenende in Dresden noch würde stattfinden können. Und was das denn heißen würde, wenn jetzt alle meine Termine ausfallen...
Am nächsten Tag, Freitag dem 13., Ironie der Geschichte, trudelten den ganzen Tag im Viertelstundentakt die Verordnungen ein, wo und ab wann Schulen geschlossen werden würden, Kindergärten, Spielplätze, Geschäfte, Unternehmen. Während ich nach Dresden fuhr, um eine Gruppe von Menschen zwei Tage lang schreibend zu begleiten, Halt und Rahmen gebend, ihre Geschichten aufzuschreiben. Und in mir ein Chaos der Gefühle, Ängste, Herzrasen, fast einer Panikattacke gleich. Langsam atmen half ein wenig. An der Rezeption des Hotels blieb ich vorsichtshalber auf Abstand, wollte den Zimmerschlüssel kaum berühren, den der Portier mir über die Theke schob. Gewitterstimmung in mir. Am nächsten Morgen sah ich die Spaziergänger an der Elbe bei schönstem Wetter schlendern, wie durch ein Milchglas, in einer fremden Welt, auf einem Bildschirm. Als habe ich nicht mehr die Möglichkeit, mich dazu zu gesellen. War nicht schon Ausgangssperre? Und was hiess das eigentlich?
Ich begleitete die TeilnehmerInnen meines Workshops gut und sicher beim Schreiben, so glaube ich. Im Kontext des Workshops war ich fokussiert, konnte zuhören und mitfühlen, doch kaum nach dem Seminar schoss mein Puls wieder hoch. Ob ich einkaufen sollte hier in Dresden, ich hatte von leeren Regalen gehört in Leipzig, alles ausverkauft. Auch wenn ich den Nachrichten kaum Glauben konnte. In Dresden waren die Regale voll, wenigstens das. Unschlüssig stand ich und wusste nicht, ob ich nun vorsorgen und 'hamstern' sollte oder nur einen knappen Einkauf des Nötigen. Ich entschied mich für das Nötige.
Ich merke, dass ich müde werde beim Schreiben. Abschweife, irritiert bin. Und ich merke auch, dass ich das alles aufschreibe, wie eine chronologische Aufzeichnung, fast minutengenau, obwohl ich sonst nie so schreibe. Wie bei menschen, die über schwere Erfahrungen schreiben, und auch plötzlich eher in einen Berichtsstil verfallen, wo sie sonst ausgesprochen gut Formulierungen und Bilder nutzen, bei schweren Lebensereignissen ähneln die ersten Texte eher Berichten. Und so merke ich gerade, erst im Schreiben, wie heftig diese ersten Tage für mich waren, angsteinflössend in einer Weise, wie ich es noch nie in meinem Leben erlebt habe. Und vor allem, dass ich diese Angstgefühle seither mit mir herum trage. Immer in Alarmbereitschaft. Nie mehr aus dieser Mischung aus Panik und Schockstarre herausgekommen bin, die mich gerade bei vielen Anlässen, unwichtigster Natur erfassen kann.
Und warum schreibe ich das dann hier? Gerade hier? Ich weiß es nicht. Ich weiß, dass Schreiben hilft, Aufschreiben, Bannen, Festhalten und dem Ausdruck zu verleihen, was uns beschäftigt, ängstigt, schmerzt. Damit diese schwere, vielleicht sogar traumatische Erfahrung, dieser heftige EINDRUCK, einen AUSDRUCK findet. So habe ich es gelernt, in der Poesie- und Bibliotherapie - Weiterbildung bei Ilse Orth. Die ich selber an meine Klienten weitergebe. Doch nichts davon konnte ich in den letzten Monaten beherzigen, umsetzen. Mein Schreiben drehte sich um alles andere, um die Corona-Krise, meine politische Meinung, Lösungen zu finden, Ursachen zu Erforschungen, Spaltungen zu verhindern, aufmerksam zu machen, doch nicht um mich. Nicht um diese ersten Momente der Schockstarre. Und ich weiß auch jetzt nicht, warum sie sich so aufgedrängt haben, wie ein Bildstrom. Sie zu nennen und zu bannen. Und vielleicht morgen weiter zu machen. Denn jetzt bin ich müde, erschöpft, erschlagen, doch seltsamerweise auch ruhiger, als in all den letzten Wochen. Wie lang wird es halten?
Ich werde morgen weiterschreiben. Vielleicht ist es das, was ich brauche. Wieder brauche. Um das Kreisen in meinem Kopf zu bannen, das mich seit diesen Tagen im März nicht loslässt, als würde ich permanent mit mir selber sprechen, formulieren versuchen, eine Form finden für diese Ereignisse, die ja auch nicht nachlassen und nicht besser werden und mir jeden Tag neu den Boden unter den Füßen wegreissen, zumindest im Kopf. Und vielleicht ist das ja auch alles nur im Kopf. Und wir entscheiden doch selbst, in welcher Realität wir leben. Nicht nur in der virtuellen, sondern auch in der analogen. Je nach Erwartung, je nach Brille, je nach Angstpegel. Und schreibend, so merke ich gerade, muss ich meinen erstmal runter bringen, bevor ich weiter über diese Welt und das, was mit uns passiert, nachdenken kann. Und hier auch schreiben.
Und vielleicht setzt sich jemand anders ja auch hin, und schreibt über die Erfahrungen dieser Tage des Ausnahmezustandes, die anhalten. Über die Angst dieser Tage, vielleicht auch die Wut. Und natürlich auch die Freude und alle die schönen und leuchtenden Seiten, immer noch. Wenn die Milchglasscheibe endlich wieder durchsichtig geworden ist und mein Herz wieder erreicht. Morgen.
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