Wir haben einen freien Tag, mitten in der Woche. Und wollen die neue
europäische Kulturhauptstadt Chemnitz 2025 besuchen. Ich bin voller
Vorfreude. Um Kulturhauptsstadt zu werden, wird die Stadt sicher einiges
zu bieten haben.
Ich habe von einem Garagen Projekt gehört. Eine
Fotografin hat 143 Menschen mit Garagen aus DDR Zeiten interviewt,
fotografiert, ihre Lebensläufe und die Bedeutung der Garagenkultur in
der DDR - und heute - erinnert. Die Bilder sollen in der ganzen Stadt an verschiedenen
Orten ausgestellt sein. Ich halte es für eine tolle Idee, auf die Weise
diese vielversprechende Stadt zu erkunden.
Um 9 Uhr stehen wir
am Hauptbahnhof in Chemnitz. Bereit für eine Ortserkundung. Die Sonne
scheint. Ich erwarte gelbe Pfeile, ähnlich denen auf dem Jakobsweg, von
Garagenfoto zu Garagenfoto. Aber wir finden nur eine menschenleere
Innenstadt mit Gebäuden aus DDR-Zeiten. Den eingerüsteten 'Nischl', die Büste
von Karl-Marx. Und ich fühle mich zurückversetzt in meine Studienzeit in Ost-Berlin in den neunziger
Jahren.
Vor der Hartmann-Fabrik, dem Informationszentrum für Chemnitz 2025, treffen wir zwei ältere
Damen. Die darüber schimpfen, dass es doch hier in der Stadt überhaupt
nichts zu sehen gibt.
"Nur ein totes Pferd", sagt eine und deutet auf ein Reiterdenkmal mit einem schlafenden Pferd.
"Und
da drüben, den deutschen Pleitegeier", sagte ihre Freundin und deutet
auf eine goldene Skulptur im neu angelegten Skulpturenpark.
Lokalpatriotimsus und Stolz auf die eigene Heimatstadt sehen anders
aus.
Mein Freund ist dankbar für das Gespräch, ich
bin schon jetzt ernüchtert. Nur die Vorfreude auf die spannende
Garagenausstellung hält mich in der Geraden.
Im Infozentrum im
Hartmann-Palast erhalten wir einen Flyer mit den Adressen der 33
Ausstellungsorte. Wir entscheiden uns für drei auf dem Kassberg.
"Größtes geschlossenes Gründerzeitviertel in Euopa", erklärt mir die Dame am
Schalter mit leuchtenden Augen. Wir stapfen los und stärken uns mit
Zimtschnecken und Espresso in einer 'Bakery'.
Der erste Ausstellungsort in
einem Designladen ist geschlossen. Im zweiten Ausstellungsort, einem
Wolladen, finden wir die Bilder kaum zwischen den Auslagen im
Schaufenster. "Die passten nicht in mein Farbkonzept", erklärt die
Ladenbesitzerin. Drum hab ich sie überhängt." Sie zeigt auf ein Foto mit
einer Dame im pinken Pulli. "Nur die passte gut, die darf da oben
hängen". Unter dem Foto hängt ein selbstgestrickter Pulli in
Pastellrosa, das Foto wirkt wie eine Strickanleitung. Von Garagen und
deren Bedeutung erfahren wir nichts.
"Wolle komme von
wollen", erklärt die Ladenbesitzerin. Und deutet auf drei liegen geblieben Wollknäuel.
"Die mussten erst ein Jahr hier liegen, bevor ich plötzlich wusste, wozu
sie gemacht sind."
Im dritten Laden, einer Buchhandlung,
hängen die Fotos eingequetscht am Eingang. Wir trauen uns nicht, nach
ihrer Bedeutung zu fragen. Im Regal über Chemnitz finde ich einen
Stadtführer 'Glücksorte in Chemnitz'. Ich kaufe ihn mir und
blättere ihn auf der Rückfahrt im Zug durch. Und schaue mir die Orte an,
wo wir heute noch ein paar Glücksmomente hätten finden können. Und andere
vor uns auch schon. Es muss sie geben, daran glaube ich.
Und
vielleicht entdecken die Chemnitzerinnen irgendwann auch noch, wofür
ihre Stadt gemacht ist. Nicht dass das sächsische Chemnitz am Ende auf
Hochdeutsch 'komm nicht' bedeutet.
Nachtrag: Nachdem wir übrigens unsere Suche nach weiteren Garagenfotos aufgegeben haben, waren wir noch in einer sehr beeindruckenden Otto-Dix Ausstellung im Museum Gunzenhauser und Kuchen essen im Cafe Julius im Schocken. Und allein dafür hat sich der Besuch schon gelohnt. Drum: auf nach Chemnitz!