Freitag, 31. Oktober 2008

Aller anfang...

Ob es mich zerrissen hat, direkt nach der Geburt ohne Kind zu sein, fragte mich Gabriela auf meinen Post 'Mandelförmige Augen' hin. Nein, es hat mich nicht zerrissen... Aber ich glaube, das war vor allem dem körpereigenen Hormoncocktail zu verdanken, den man bei einer Geburt verabreicht bekommt. Wären diese fantastischen Geburtshormone, dieser unglaubliche Endorphin-Kick nicht gewesen, ich wäre wahrscheinlich an die Decke gegangen, hätte die leidigsten Diskussionen mit den Ärzten geführt, vielleicht sogar Lola aus dem Inkubator wieder raus gefordert. Vielleicht hätte ich so lange darauf bestanden, dass sie mich schliesslich hätten gehen lassen... Aber irgendwie war ich plötzlich so anders. Es war da eine Ergebenheit in mir, wie ich sie nicht kenne von mir. Nicht im Normalzustand. Ich fühlte mich wie in einem Strom. Ich wurde einfach mitgerissen. Versuchte gar nicht, dagegen anzukämpfen... Ich weiss nicht, woran es lag. Vielleicht an der Geburt, die einen ja auch mitreisst, gegen den eigenen Willen. Man hat einfach keine Macht darüber. Man merkt plötzlich, dass man nur ein winzig kleiner Teil ist von einem riesengrossen Ganzen. Ein kleines Rädchen. Und wird mitgerissen. Das einzige, was man tun kann, ist: Mitgehen. Loslassen. Sich ergeben... Und dann geht alles von alleine... Und in diesem Zustand war ich nach Lola's Geburt. Gelassen, ergeben, wie selten in meinem Leben... Die Dinge hatten ihren Lauf genommen und ich schaute zu... Aber vielleicht lag es auch daran, dass schon in der Woche vor Lola's Geburt so manches anders gekommen war, als ich es mir ausgemalt hatte. Schon da hatte ich vielleicht angefangen hinzunehemen, dass die Dinge nicht immer so laufen, wie ich mir das vorstelle...

Denn eigentlich sollte Lola im Geburtshaus geboren werden, so wie Greta auch. Aber zwei Tage vor der Entbindung hat Johanna, meine Hebamme, Bedenken angemeldet, weil die Herztöne immer so niedrig waren, meist unter 110 ppm, und mich zur Ärztin geschickt, weil ich bis dahin eigentlich nur einen Ultraschall gemacht hatte. Und die Ärztin hat auch prompt registriert, dass das Kind sehr klein sei (Lola hatte bei der Geburt 42 cm und 2648gr), sehr wenig Fruchtwasser habe und demzufolge eine Geburt im Geburtshaus mit Risiken sei. Und meinte, dass der Widerstand zwischen dem kindlichen Kreislauf und dem meinen erhöht sei, keine Ahnung, was sie genau damit meinte, sie ist TCM - Ärztin. Und ich solle doch versuchen, innerlich mit dem Kind Kontakt aufzunehmen, eine Verbindung herzustellen, wenn auch erstmal nur in Gedanken. Ganz bei dem Kind zu sein. Und Johanna, meine Hebamme meinte, dass ich in zwei Tagen nochmal zur Ärztin solle und wenn die Werte dann besser seien, dann könne ich in's Geburtshaus. Bis dahin solle ich mir endlich Zeit für das kleine Mädchen in meinem Bauch nehmen, die Zeit, die ich ihr die ganze Zeit der Schwangerschaft nicht gegeben habe. Zwischen Greta, der Doktorarbeit, der Verteidigung, dem Tango...

Und so lag ich also zwei Tage auf dem Bett, habe ganz viel meditiert, mit diesem kleinen Wesen in mir Kontakt aufgenommen, gesprochen, es gestreichelt, mich ihr plötzlich ganz nah gefühlt... und habe meine Geburtswehen für Senkwehen ausgegeben, habe ganz viel wehenhemmenden Beruhigungstee getrunken, meinen Bauch mit wehenhemmenden Ölen eingerieben und weiter meditiert... bis ich eigentlich nur noch 'getönt' habe und zu Ricardo meinte, dass das doch eher Geburtswehen seien. Und da war dann die Idee mit dem Geburtshaus gestorben. Und ich dachte, nur schnell in die Klinik. Mit dem Taxi, schnell noch Greta mitten in der Nacht, halb schlafend bei Annette, ihrer Tagesmutter, vorbeigebracht.

Und kaum sind wir im Krankenhaus, ist Lola auch schon geboren. Im Vorzimmer, wo man das CTG misst, quasi während der Anamnese. Und so schnell wie sie draussen ist, haben sie sie auch schon weggenommen. Und die Nabelschnur einfach durchgeschnitten, die man bei Greta bestimmt eine Stunde hat auspulsieren lassen und die dann Ricardo durchschnitten hat. Und haben sie sie in ein Tuch gehüllt und mir dann erst gegeben, weil es sonst zu kalt ist, denn wir sind ja nur im Vorzimmer. Und ich möchte ihre Haut spüren, ihren kleinen Körper sehen. Aber ich sehe nur das steife Krankenhaushandtuch-Bündel und manchmal gucken mich ihre ulkigen Augen von schräg unten an... Und ich versuche einen geraden Blick zu erhaschen, irgendwie guckt sie so schief und ins nirgendwo, Greta's Blick als Neugeborenes sah ganz anders aus. Und da ist sie schon wieder weg, weil sie sie messen und anziehen müssen.

Und ich bleibe mit Ricardo in dem Vorzimmer zurück, auf der CTG-Liege. Und ich wir warten und warten und warten. Und ich verschicke schonmal SMS an meine Mutter und die engsten Freunde, dass Lola es doch schon eilig gehabt habe und rausgerannt kam heute nacht. Und klein sei, aber pumperlgsund. Denn so sah sie aus. Kräftig und gesund. Und plötzlich kommen die Schwestern wieder, ohne Lola, denn die ist wohl plötzlich ganz blau und hat nicht genug Sauerstoff im Blut und muss ins Wärmebett. Und ich frage, ob sie denn nicht auch mal auf meiner Brust liegen könnte, die sei auch ganz warm. Aber nein, das sei zu riskant, vielleicht habe sie ein Herzproblem, man müsse dass die ganze Zeit überprüfen. Und weg sind sie wieder und Lola auch. Und wir warten und warten und warten...

Jetzt, wo ich mich wieder daran zurückerinnere, hat es mich doch vielleicht zerrissen. Aber es war ja nicht nur einfach, dass sie nicht mehr bei mir war, dass wir in dem schönen Familienzimmer zu zweit im Bett lagen, Ricardo und ich. Neben uns tonnenweise Babywindeln und Höschen. Und draussen im Flur hastige Schritte und Babyschreie. Sondern da draussen lag Lola in diesem Bettchen und sah irgendwie tatsächlich so aus, als habe sie Down-Syndrom, diese komischen Augen, diese kleine Stupsnase. Die Kommentare der Hebammen. Die komischen Blicke der Ärztin. Ricardo wollte davon nichts wissen, nichts sehen. Tat es ab. Legte sich schlafen. Und da habe ich tief in mich hineingefragt. Sag mal, was glaubst du wirklich? Wenn du einfach ehrlich bist? Und da wusste ich, dass sie Down-Syndrom hat. Mit einer Sicherheit, einer Klarheit, die man vielleicht nur kurz vor dem Sterben hat. So etwa hab ich mir das immer vorgestellt, wenn man von einem Haus springt und man während des Fluges im Zeitraffer das ganze Leben erfasst. So ein Moment war das. Alles ganz deutlich stand es da, war ganz klar, sie hat Down Syndrom. Und mir war so schlecht... Ich wollte einfach nur aufwachen, aufwachen, sie neben mir im Bett liegen sehen, ihren Atem spüren, ihre kleine Nase streicheln. Wollte mit ihr nach Hause gehen, dass morgen die Sonne scheint und alle vorbei kommen und Blumen bringen. Und das Haus nach Neugeborenem riecht. Und ich wollte einfach nur, dass es nicht wahr ist. Wollte aufwachen... Aber dieses Gefühl der Erleichterung, dass man hat, wenn man nach dem Aufwachen merkt, dass die Zähne noch alle da sind, das kam nicht...

Da waren nur immer diese Schritte auf dem Gang. Und immer wieder die Tür, die Kinderärztin, die irgendwas von Herzfehler erzählte. Oder eine bakterielle Infektion. Sie war so jung wie ich selber und ich wusste, dass sie keine Ahnung hatte. Aber gerade deswegen konnte ich nichts machen, denn sie war ja so jung. Und sie war ja nur der Notdienst, mitten in einer Samstagnacht. Und ich wollte mich nicht mit ihr streiten, sie war irgendwie symapthisch... Und dann kam schliesslich die Ambulanz und der begleitende Arzt, der fragte mich, ob ich noch ein Foto machen wolle, als würde ich sie nie wieder sehen. Und sagte was vo einem genetischem Test. Und gab zu, dass sie einige Indikatoren für Trisomie 21 habe, auf mein Nachfragen hin. Und schon war Lola weg. Und ich tot müde und ich wusste, dass ich jetzt nicht hinterherkann. Denn sie steckt in diesem Glasbett, da kann ich gar nicht ran. Und ich kann einfach nicht kurz nach der Geburt auf harten Stühlen auf irgendeiner intensivstation in der uniklinik sitzen. Und so bin ich wieder zurück ins Zimmer und habe das Licht endlich ausmachen können und die Augen zugemacht...

Und da war plötzlich dieses Gefühl, ganz stark und gross und einfach. So einfach wie nur die Wahrheit einfach sein kann. Dass es gut so ist wie es ist...

(und da hört man nächtliches schreiben auf, aber so viel mehr ist in mir, was ich noch schreiben werden, wenn ich die worte finde...)

3 Kommentare:

Gabriela hat gesagt…

Oh Amelie
ich habe keine Zeit jetzt zum Schreiben, muss in die Küche. Aber lass dich in den Arm nehmen. Ich kann jedes Wort, jede Sekunde nachempfinden, oh, und es war und ist so intensiv, wie man sich das Leben nur wünscht, und doch so anders und doch richtig.
Danke dir!
Gabriela

Anonym hat gesagt…

Ce texte me renvoie à beaucoup de souvenirs d'hôpital... C'est beau et triste à la fois, c'est vrai.
Je t'embrasse bien fort.
A.

Karin hat gesagt…

hallo amelie!
fast genau 10 jahre später bin ich gestern zufällig auf deinen blog gestoßen und lese ihn seither mit großem interesse, aber auch ziemlich gemischten gefühlen...
dieser lange text über die geburt und die zeit unmittelbar danach könnte fast genau so von mir kommen... und ich muss gestehen, das verursacht auch jetzt, fast ein jahr nach der geburt meines sohnes mit extra-ausstattung, soetwas wie einen flashback und mir rinnen die tränen...
danke für diesen text, er trifft es auch für mich ziemlich genau auf den punkt...
hoffe, euch geht es gut! freue mich, dass ihr noch ein drittes kind bekommen habt, wie ich in dem film "eine welt ohne behinderung" gesehen habe!
alles liebe und gute euch und vor allem lola!!
karin :-)