Sonntag, 5. Oktober 2008

"Lotta kann fast alles"

Meine Freundin Rebekka aus Wuppertal hat mir den Link zu einem sehr schönen Artikel von Arno Geiger geschickt, der im Juli diesen Jahres in der NZZ erschienen ist. Hier einige Zitate daraus:

"Lotta ist elf und klein für ihr Alter, sie liebt ihre Eltern, Theaterleute in Wien, sie Schweizerin, er Deutscher. Sie liebt ihre Schwestern, die eine älter, die andere jünger, und sie liebt Pferde. Lotta ist eine gute Beobachterin, sie hat einen pointierten Wortwitz. Sie geht gern ins Kaffeehaus, liest viel, hört gern Musik, spielt Klavier und mag Shakira. Oft wird sie unterschätzt, wegen ihrer Grösse, vor allem aber, weil sie das Down-Syndrom hat.

Auch darüber wissen die meisten Leute wenig – und meistens nichts Positives. Eindrücke aus der Vergangenheit, als Menschen mit Down-Syndrom unzureichend gefördert wurden und weit hinter ihren Entwicklungsmöglichkeiten blieben, blasen einem noch heute als Vorurteile ins Gesicht. Die Leute staunen, wie viel Lotta redet, wie klug und witzig sie ist, wie fröhlich – als wäre daran etwas Ungewöhnliches.

[...]

An der Pforte der Integrations-Hauptschule, in der Lotta die zweite Klasse besucht, dreht sie sich beim Abschied nochmals um und ruft: «Papa, ich liebe dich!» Lottas Vater sagt: «Daran mussten sich ihre Mitschüler erst gewöhnen. Sie verteilt gerne Liebeserklärungen, an die ganze Welt. Gestern beim Abendessen: Ich liebe dich, Mama. Dich, Papa, auch. Lili, dich auch. Gretchen, dich auch. Und dich, Amina, auf jeden Fall. Du bist meine beste Freundin. Ich gebe dir mein Herz.»

An Zahlen ist Lotta nicht so sehr interessiert wie an Liebe. Rechnen gehört nicht zu ihren Stärken. Doch auch Lotta lebt in der Epoche der Statistiken: 90 Prozent der in der Schwangerschaft diagnostizierten Kinder mit Down-Syndrom werden abgetrieben. Die Diagnosemethoden verursachen bei etwa einem Prozent der Schwangeren eine Fehlgeburt, und da die Wahrscheinlichkeit, ein Kind mit Down-Syndrom zu bekommen, vergleichsweise kleiner ist, gehen zusätzlich zu jedem abgetriebenen Kind mit Down-Syndrom zumindest drei weitere gesunde Kinder verloren. Das schreckt die Mehrheit der Eltern nicht ab.

[...]

Als Lotta noch kleiner war, fragte ihre Mutter, was Lotta glaube, warum die Kinder starren. Und Lotta sagte: «Weil ich eine so coole Hose habe.» Diese Antwort hat Lottas Mutter sehr angerührt, und als es vor einiger Zeit eine ähnliche Situation gab, fragte sie ihre Tochter erneut, was sie glaube, warum die Kinder starren. Diesmal hat Lotta geantwortet: «Warum wohl! Weil ich anders bin. Weil ich behindert bin.»"

Hier gibt es noch einen Link zum vollständigen Artikel.

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