Freitag, 18. September 2009

Über die temporäre Liebe ...

Auf dem Weg zur Physiotherapie habe ich heute in der Straßenbahn ganz zufällig eine sehr nette Dame kennengelernt. Warum ich sie überhaupt angesprochen habe, ich weiß es nicht. Sie saß neben mir, um die 50 Jahre alt, mit einem freundlichen ruhigen Gesicht. Vor ihr ein Kinderwagen mit einem Säugling. "Sie sind aber nicht die Mutter, oder?", meinte ich zu ihr. Keine Ahnung woher der Impuls kam, ihr diese Frage zu stellen. Irgendwie sah sie auch nicht aus wie die Oma, aber auch nicht wie eine Tagesmutter, denn die haben immer mehrere Kinder. "Nein, ich bin die Pflegemutter.", sagte sie und lächelte liebvoll in den Wagen hinein. Ich verstand nicht. Was ist das, eine Pflegemutter. Und sie erklärte mir, dass kleine Kinder, die zur Adoption freigegeben sind, aber noch keine Adoptivfamilie gefunden haben, seit einigen Jahren vom Jugendamt eine Pflegefamilie bekommen. Anstatt Kinderheim. Sie behält die Kinder eine Zeitlang, manchmal zwei Monate, manchmal mehr als ein Jahr, denn die Mühlen der Bürokratie mahlen langsam in komplizierten Fällen.

Auf dem Rückweg von der Physiotherapie habe ich die Dame dann wieder in der Tram getroffen. Wir haben uns gesehen und uns sofort zusammengesetzt, um unser Gespräch vom Vormittag fortzusetzen. Da sah sie dann auch Lola zum ersten Mal richtig und erzählte sie mir von ihrem letzten Pflegekind Friedrich. Der auch Down-Syndrom hat. Sie hat ihn bei sich gehabt bis er fast 2.5 Jahre alt war. Dann hat er eine Adoptivfamilie gefunden, die auch schon einen eigenen Sohn mit Down-Syndrom hat, mittlerweile 20 Jahre alt. Die beiden sind ein Herz und eine Seele. Sie habe immer noch Kontakt mit der Adoptivfamilie und dürfe Friedrich ab und zu sehen, denn ein Stück weit ist er ja auch ihr eigenes Kind. Das Jugendamt sagt zwar, sie sollen die Kinder nicht zu stark an sich binden, aber das sei gar nicht möglich. Im Gegenteil. Viele Kinder erfahren in diesen ersten Monate in der Pflegefamilie zum ersten Mal, was Liebe und Vertrauen sind, etwas was sie bis dahin nicht haben durften und was manche niemals erleben dürfen. Und wenn ein Kind einmal gelernt habe, sich zu binden, dann könne es auch wieder eine neue Bindung aufbauen. Hauptsache, es hat einmal diese Urvertrauen gespürt.

Wieviele Kinder hat diese Frau in ihrem Herzen? Wieviel Liebe und Kraft hat sie schon verschenkt? So schwer auch jeder Abschied wieder fällt... Was für ein Glück hatte Friedrich, mit so einer 'Mama' seine ersten Jahre verbringen zu dürfen. Und nun voller Vertrauen in die Welt in seiner neuen Familie groß zu werden.

2 Kommentare:

Maria hat gesagt…

...da fehlen mir fast die Worte - eine tolle Begegnung hattest Du! Ich stelle mir das "wieder hergeben" sehr schmerzhaft (für beide) vor, selbst wenn man weiss, dass es so ist. Aber wahrscheinlich ist der Zugang einfach anders, wenn man sich für so einen Weg entscheidet. Anderseits ist es sicher ein schönes Gefühl, seine Liebe an jemanden geben zu können, der sie dringend braucht.
Danke für diese besondere Geschichte!
Liebe Grüße
Maria

Hallo! Ich bin Leander. hat gesagt…

Das ist wirklich eine besondere Frau, die ihr da getroffen habt. Sie schenkt so viel Liebe und Zuneigung und gibt die Kinder dann in liebevolle Familien weiter. Solche Begegnungen lassen mich wieder an das Gute glauben. DANKE, für´s erzählen!
LG,
Sabine