Freitag, 22. November 2024

Meine Büchersucht

Heute Schnee, auch in Leipzig. Zumindest ein paar feine Flocken, die um die Mittagszeit vor meinem Fenster langtrieben. Und ich wollte doch eigentlich mit dem Fahrrad in die Stadt fahren, um mir bei Hugendubel das gestern erwähnte Buch von Hannes Ringelstädter, "Ein Steinpilz für die Ewigkeit' zu kaufen. Und jetzt das!

Egal, nach drei Stunden am Rechner und leichten Nackenkrämpfen vielleicht eine gute Abwechslung. Frische Luft. Und die ideale Gelegenheit, endlich meine neue olivgrüne Riesendaunenjacke auszuprobieren, die ich mir in einem Anfall selber zum Geburtstag gekauft habe (ja, ich kaufe mir seit ein paar Jahren selber Geschenke, da braucht man nicht ewig hoffen, ob auch das richtige dabei ist). Beim Kauf erschien sie mir ideal, ultradick und wunderbar kuschelig gegen die Winterkälte. Aber bei den milden Temperaturen der letzten Wochen fragte ich mich, ob dieses fette Jackenmonster nicht doch ein Fehlkauf war. 

Doch für heute war sie perfekt. Und eingepackt wie ein Michelinmännchen strampelte ich auf dem Rad ins Zentrum, auch ohne Lola. Voller Vorfreude auf ein Stündchen oben im Cafe bei Hugendubel: schonmal im Buch schmökern, dabei einen heißen Kakao trinken und mir endlich ein bisschen Müßiggang gönnen. Von dem ich ständig träume, ihn allen empfehle, ihn aber nie realisiere. Heute aber!

Im Buchladen empfing mich wohlige Wärme, der süssliche Geruch von frisch gedruckten Büchern und die bekannte Rolltreppe, die leise zu den Neuerscheinungen nach oben surrte. Und dieses Gefühl von Nachhause kommen und Abenteuer zugleich, das mich immer befällt, wenn ich eine Buchhandlung betrete. Soviele Tore in andere Welten, hinter all diesen Buchdeckeln. Und ich so neugierig, welche ich diesmal öffne. Denn fast immer entdecke ich etwas Neues, Ungeplantes. 

So auch diesmal. Denn die freundliche Buchhändlerin mit dem dunklen Zopf und der nach oben geschwungenen Brille teilte mir entschuldigend mit, dass das Buch von Ringelstädter leider gerade nicht vorrätig sei, warum auch immer. Ausverkauft? Oder doch nicht so bekannt. 

Schade, dachte ich. Ich hatte es mir so schön ausgemalt, beim Kakao im Buch zu lesen. Über seine Beziehung zu seinem Vater, dessen Sterben, und auch in mein Thema nochmal einzutauchen, auf humorvolle Weise. Und stand etwas enttäuscht und unschlüssig vor ihr. Als könne sie das Buch vielleicht doch noch hervorzaubern.

Da fiel mein Blick auf die Bücher von Diogenes. Zuoberst Benedict Wells: "Die Geschichten in uns."  Wovon mir schon mehrere Leute begeistert erzählt hatten. Teils Autobiografie, Teils Schreibratgeber, in dem er über seinen persönlichen Weg zum Schreiben spricht und über das Handwerk des Erzählens allgemein - Ähnlich wie Stephen King in seinem Buch 'Das Leben und das Schreiben', das mich beim Schreiben vom Buch über Lola so inspiriert hatte. Und wohl auch ihn.

Ich mag die Bücher von Benedict Wells, seinen Ton, auch wenn sie etwas düster sind und seine Protagonisten einsam, aber vielleicht gerade deswegen. Also die perfekte Gelegenheit, es mir beim Kakao dochmal näher anzuschauen. 

Zusätzlich griff ich mir noch schnell das neue Buch von Joachim Meyerhoff: 'Man kann auch in die Höhe fallen', das am Tisch daneben lag. Und über dessen Veröffentlichung ich noch gar nichts wusste. Über seine Zeit gemeinsam mit seiner 80jährigen Mutter, bei der er ein paar Monate verbracht hat und dadurch aus einer tiefen Lebenskrise herausfand, wie ich auf dem Cover las. Auch spannend, wie alle autobiografischen Bücher von Meyerhoff, von denen ich viele schon verschlungen habe. Und wegen ihrer Komik in der Tragik so liebe.

Erleichtert, dass ich so schnell neues 'Lesefutter' für den Cafebereich gefunden hatte, stieg ich eine Treppe höher. Und fand nach drei Anläufen auch endlich einen schönen Tisch. Der erste war am Fenster, mit Blick auf die Thomaskirche, aber leider zu hoch. Am zweiten setzten sich direkt zwei junge Frauen plaudernd neben mich, und lachten mir so laut ins Gesicht, dass ich Reißaus nehmen musste. Erst am dritten Tisch fand ich endlich die angemessen Ruhe und Behaglichkeit. Und verlor mich fast augenblicklich in der Welt von Benedict Wells. 

Er hat einen Sog, dem ich kaum widerstehen kann. Eine Genauigkeit der Sprache, der Worte, die so einfach und treffend sind. Dass es umso erstaunlicher war zu lesen, wie viele 'schlechte Bücher' er zunächst geschrieben hat, gestelzt, gekünstelt, schlecht gebaut. Bis er zu dieser Sprache fand. Und wie lange er an seinem Traum vom Schreiben festgehalten hat, gegen alle Widerstände und Ratschläge, nach Hunderten von Absagen, bis er nach vier Jahren reinem Schreiben kurz davor war aufzugeben. Und dann  endlich einen Verlag fand - Diogenes!

Niemals hätte ich die Kraft, gegen so viele Absagen und Widerstände meinen Traum zu verfolgen.  Wahrscheinlich bin ich doch viel zu glücklich, gehätschelt und behütet aufgewachsen. Alles ist mir immer zugeflogen. Und was es bedeutet, wirklich für eine Sache zu kämpfen, auch gegen Widerstände, weiß ich bis heute nicht. 

Und so wurde dieser Ausflug durchs Schneetreiben in die Buchhandlung wieder zu einem Erweckunsgerlebnis, auch wenn anders als erwartet, und natürlich konnte ich den Laden nicht verlassen, ohne die beiden Bücher mitzunehmen. 

"Also das Buch von Wells, das brauchen Sie in ihrem Bücherregal. Da haben Sie ein Leben lang Freude dran", sagte die Buchhändlerin mit der hochgeschwungenen Brille, als ich ihr mein Problem kommentierte, dass ich nie ohne zwei oder drei Bücher aus dem Laden gehen kann. Was natürlich immer eine ordentliche Geldinvestition bedeutet. "Und das neue Buch von Meyerhoff habe ich geliebt. Das können Sie dann auch wunderbar - zu Weihnachten - weiter verschenken, so mach ich das immer." 

Stimmt auch wieder, dachte ich. Und verließ so auch diesmal den Laden mit zwei Büchern, und einer Bestellung vom Buch von Ringelstädter. 

Und so habe ich den heutigen Abend vertieft in die Welt von Benedict Wells verbracht, und bisher keine Sekunde bereut, das Buch gekauft zu haben. Ich sah mich selber schon innerlich Romane schreiben, vielleicht inspiriert es mich ja doch noch dazu. (Bis dahin lese ich welche.)

Und das mit meinem Plan von neulich, doch mal weniger Geld auszugeben, das verschiebe ich auf später. Oder münze es so um für mich, dass es darum geht, das Geld bewusst auszugeben. Im Idealfall für Gutes, was mir meine Welt öffnet und mich wachsen lässt. Oder mich wärmt - wie meine dicke warme Daunenjacke, ohne die ich diese Reise in die Welt der Bücher heute erst gar nicht angetreten hätte. 

So, und jetzt muss ich weiter lesen.

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