Freitag, 22. Januar 2010

Eine Hymne an den türkischen Minibus

Als ehrgeizige junge Studentin der Volkswirtschaft habe ich mich schon früh im Studium für ein Auslandspraktikum beworben. Beim Bewerbungsgespräch wurde ich gefragt, was ich tun würde, wenn ich ein Praktikum bei einem Werkzeugmechaniker in der Türkei bekäme. Ich war etwas geschockt von dieser Aussicht, antwortete aber, dass ich mich auch darauf einlassen wollte: ich würde mich über die dortige Kultur informieren und alles dafür Nötige lernen. Das war sicher ein Testfrage in Bezug auf meine Bereitschaft, mich auf Fremdes einzustellen.

Ein paar Monate später wurde ich angerufen. Herzlichen Glückwunsch, Sie haben einen Praktikumsplatz in Adana bekommen, im Osten der Türkei. Ich war perplex. Sollte das ein Scherz sein? So ernst war meine Antwort gar nicht gemeint gewesen.

Im Juni desselben Jahres ging ich für 8 Wochen nach Adana, einer pilzartig auswuchernden Metropole der Baumwollindustrie in der Cukurova-Ebene, nicht allzu weit von der syrischen Grenze entfernt. Niemand in Deutschland kannte Adana, und kein Tourist kam je in diese Stadt. Im Viertel, wo ich wohnte, zogen manche Leute ihre Waren im Eselskarren zum Markt, ein Einäugiger sammelte den Müll in unserem Haus auf. Die Kinder begrüßten mich lauthals schreiend mit 'abla, abla' (grosse Schwester), ihre Väter saßen vor dem Haus, tranken Cai und spielten Brettspiele. Ich arbeitete in einem winzigkleinen Unternehmen der Baumwollproduktion - in der Verwaltung. Die anderen Mitarbeiter sprachen nur Türkisch. Dass beste an der Arbeit war die Klimaanlage. Anstatt zu 'arbeiten' lernte ich Türkisch aus einem Buch, was mir meine Mutter geschickt hatte.

Nach Ablauf meines Praktikums besuchte mich mein damaliger Freund. Wir trafen uns in Antalya und wollten mit dem Bus weiter zu einem beliebten Strand für jugendliche Aussteiger aus dem Westen. Laut Lonely-Planet fuhr ein 'Dolmus' (Minibus) vom Busbahnhof aus. Also fuhren wir dorthin und warteten sicher eine Stunde. Als der 'Dolmus' endlich losfuhr, gondelte er gemütlich durch ganz Antalya, hielt an vielen Ecken an, um mit Bündeln beladene ältere Frauen aufzunehmen und sie dann und wann auch wieder auszuspucken. Nach einer guten halben Stunde erkannte ich die Gegend um unser Hotel, wo wir am Morgen zum Busbahnhof aufgebrochen waren. Ich schüttelte amüsiert den Kopf. Aber mein Freund war sichtlich erregt über diesen vollkommen unsinnigen Umweg, die Langsamkeit des 'Dolmus', die ständigen Halte. Ich hatte Sorge, er würde gleich hyperventilieren. Denn klimatisiert sind diese Minibusse nicht.

Da erst merkte ich, wie mich die letzten sechs Wochen in der Türkei verändert hatten. Sechs Wochen, in denen nur selten etwas so geklappt hatte, wie von mir geplant. Wo ich bei 45 Grad Hitze am Busbahnhof stand und wartete, mich aber niemand wie verabredet abholte. Wo mitten in der Nacht, im tiefsten Anatolien, dann doch kein Anschlussbus nach Istanbul fuhr. Wo ich zusammen mit Hühnern und auf dem Boden schlafenden Kleinkindern reiste. Weil mich ein Wildfremder am Arm genommen hatte und mich in diesen Bus gesteckt hatte. Wo mich die Leute zum Essen oder auf einen Cai einluden, weil sie sahen, dass ich wartete. Wo die Pläne nicht aufgehen - und dahinter eigentlich das Leben erst anfängt.

Seinen Rückflug nach Deutschland eine Woche später hat mein Freund dann verpasst, weil der Flieger ein paar Stunden früher als ursprünglich angekündigt losging. Da grinste er nur - und wir waren glücklich, dass wir noch zwei Tage länger am Meer hatten, bis zum nächsten Flieger.

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