Montag, 25. November 2024

Meditation 'to go'

Vor einiger Zeit meldete sich ein alter Studienfreund aus 'Bonner Zeiten' bei mir. Er sei demnächst in Leipzig, zu einem Seminar zum 'holotrophen Atmen'. Ob er bei uns übernachten könne? Ja, klar.

Wir gingen gemeinsam aus. Und beim Gin Tonic erzählte er mir, dass er gerade Stress in seiner Ehe habe. Und über das Atem-Seminar eine Bewusstseinserweiterung suche. Endlich in guten Kontakt zu seinen Gefühlen und seinem Inneren kommen wollte. Vielleicht würde das ja auch seiner Partnerschaft auf die Sprünge helfen. Was 'holotrophes Atmen' dazu beitragen konnte, verstand ich allerdings nicht so ganz. 

Ich empfahl ihm einen Gestalttherapeuten, der auch tibetische Meditation anbietet. Das erschien mir vielversprechender. Um sich auch durch innere Arbeit weiter zu entwickeln. Denn oft sind es ja eigene unverarbeitete Themen, die wir in unseren Beziehungen re-inszenieren.

Über die Jahre hörten wir uns sporadisch. Ab und zu bekam ich Urlaubsfotos, auf denen die Familie unterschiedlich fröhlich wirkte.

Im Oktober lud er mich zu seinem runden Geburstag nach Berlin ein. Ich fragte mich gespannt, wie es ihm ging - auch in seiner Ehe.

Seine Frau öffnete mir strahlend die Türe und begrüßte mich herzlichst. Die jahrelange Begleitung durch den Therapeuten hatte wohl vieles in Bewegung gebracht, erfuhr ich beim Sprizz und freute mich. Vom holotrophen Atmen erzählte sie nichts. 

Mein alter Freund wirkte tiefenentspannt und fröhlich - hatten ihm die tibetischen Meditationen gut getan?

 Beim Abschied fragte er mich, ob ich am nächsten Abend auch beim Rausfeiern dabei sein wollte - in einem Berliner Club, zum 'Barfusstanz'? Er würde dort tanzen, zwischen 17 uhr und 4 Uhr. Das würde ja ein Partymarathon werden!

22 Uhr kam ich zum Club, mein 'erstes Mal' in der Berliner Clubszene. Als ich Ende der 90er Jahre in Berlin studierte, war ich nur in den Kellerbars unterwegs, aber in keinem der Clubs. Ich war von der gestrigen Party zwar noch müde, hatte keine große Tanzlust, aber ich wollte doch wenigstens einmal im Leben in einem Berliner Club gewesen sein.

Beim Einlass stellte ich brav meine Schuhe in ein Regal und betrat auf Socken den Dancefloor, einen kurzfloorigen Teppich, während mir die Türsteherin noch zuraunte, dass Rauchen im hinteren Clubabteil erlaubt sei, ansonsten aber keine anderen Drogen.

Alles voller Nebel, tanzende und zuckende Leiber aller Altersgruppen, in der Ferne das DJ-Pult. Ich fühlte mich fremd. Zum Glück tanzte gerade mein alter Freund heran, wild mit den Armen um sich rudernd, tanzte aber auch gleich wieder weg, auf dem Weg zu den Toiletten.

Als er endlich zurück kam, sagte er nur kurz, dass die anderen Freunde schon weg seien. Und warf wieder rhythmisch Arme und Beine in alle Richtungen, im Beat der Bässe. Seine Augen im Wechsel in die Ferne und ins Innere gerichtet. Blickkontakt oder gar Gespräch unmöglich. Voll im Tanzflow, wahrscheinlich seit 17 Uhr. War das seine innere Arbeit? Seine Tanzmeditation!

'Ich frag mich, wie Du das durchhälst, nach der Party gestern!", raunte ich ihm zu, in der Hoffnung auf eine Antwort. 

"Tanzen, einfach tanzen. Ganz im Hier und Jetzt! ", lachte er. Und zappelte weiter. Ich tat mein Bestes, reckte meine Arme, schüttelte meine Beine, drehte mein Becken. Versuchte, mich vom Beat mitreißen zu lassen. Keine Chance. Der Beat ergriff mich nicht. War ich zu alt?

Außer mir schien niemand vom Tanz-unmut betroffen zu sein. Überall zappelten die Arme, schlängelten sich die Leiber, fuhren die Finger wabernd auf und ab, durch den Dunst und das blitzende Licht.

"Ich frag mich, wie die alle so eine Tanzenergie aufbringen", rief ich ihm zu. "Drogen sind ja nicht erlaubt".

Er lachte. "Das sagen sie am Eingang. Aber alle nehmen hier was". Und warf sich gegen den aus der Maschine hervorquellenden Nebel. 

"Häh?", brachte ich fassungslos hervor. Als würde man mir den Vorhang meiner naiven Gutgläubigkeit wegziehen. "Hast Du denn auch was genommen?", setzte ich gegen den Beat hinterher. Und ging davon aus, dass er verneinen würde. 

"Na klar", sagte er. Die Hände in Fäusten gegen die Decke schüttelnd. "Zum Start erstmal LSD und vorhin noch MDMA." 

"MD.. was?", fragte ich. Und vergaß meine Arme und Beine zu bewegen. 

"Ecstasy", lachte er mich an und schloß wieder seine Augen, um sich wild zuckend den Bässen zu überlassen. 

Für eine Sekunde erstarrte ich. Fassungslos. Bevor ich wie maschinenhaft meinen Oberkörper zu bewegen begann. Deswegen war er so wortkarg, bewegte sich so absurd und konnte keine Sekunde mit dem Tanzen innehalten. 

Während er sich weiter um sich drehte und ins "Hier und Jetzt" schlängelte, wurden meine Bewegungen immer monotoner. Bis ich mich ernüchtert in eine Ecke der Tanzfläche zurückzog.

Das war also seine Form der Meditation. Er hatte mir von Bewusstseinserweiterung erzählt, besserem Kontakt zum Körper, zum Inneren. Über 'holotrophes Atmen'. Tibetische Meditation, hatte ich gedacht.

Wohl zu langwierig auf Dauer. Wenn man es auch mit einer Pille oder zwei haben kann. Eben - to go, oder - to dance.

Als ich mich von ihm verabschiedete, nickte er nur kurz, und tanzte zuckend weiter. Ob er sich überhaupt daran erinnern wird, dass ich da war? Wahrscheinlich nicht. Ganz im 'Hier-und-Jetzt'.

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