Donnerstag, 7. November 2024

Brache im Endstadium

Bis vor kurzem ging ich jede Woche, während Lola beim Geigenunterricht war, immer auf der 'Brache' an den S-Bahngleisen spazieren.  Ein weites unbebautes Gelände, zwischen dem MDR und dem Bayerischen Bahnhof - brach liegend seit Jahrzehnten.

Wilde Rosenhecken, Birken- und Pappelwäldchen, Rainfarn und Brombeerbüsche hatten sich dort angesiedelt, die über das Jahr zu einem blühenden und oft kaum noch durchdringlichen Urwald emporwuchsen. 

Ich streifte eine halbe Stunde hindurch, hing meinen Gedanken nach, schrieb oder fotografierte. Suchte ich der Fülle der urbanen Wildnis ein Motiv, ein Detail, einen Ausschnitt, der meinen Blick fing. Und eine Geschichte für mich erzählte. Und kam wieder bei mir an. 

Ungenutztes Land, das sich die Natur mitten in der Stadt zurück geholt hatte. In der sich selbst der Müll und die Überbleibsel von wilden Festen genauso schön machten, wie die Hagebutten der Rosen gegen den stahlblauen Februarhimmel. Wo Mensch und Natur sich selber überlassen waren. Im freien Wildwuchs. 

 Ich liebte diese Auszeiten  auf 'meiner Brache'.

 Doch jetzt ist endgültig wahr geworden, was lange auf Schildern schon angekündigt wurde: das Gelände wird neu bebaut. Klar, bestes Bauland inmitten der Metropole Leipzig. 

Und in den letzten Wochen fielen im vorderen Teil der Brache die Birken- und Pappelwäldchen, der kleine Hügel wurde planiert, die Rosenhecken abgeholzt und zerschreddert, der Rainfarn verschwand. Und nunmehr ist nur noch ein weites Feld an aufgewühlter Erde vorhanden, vor dem ich letzte Woche wie fassungslos stand. 

Doch zum Glück hat sich schon ein schmaler Trampelpfad durch die Erde gebildet, zusammengedrückt  von Menschenfüßen wie meinen, die immer noch auf die Brache gehen, zum hinteren Teil, der noch wild bewachsen und erhalten ist. 

Und so laufe ich in diesen kalten Novembertagen, in der Dunkelheit, noch immer jeden Montag und Donnerstag durch dieses Stück planierter Grosstadtwildnis. Zumindest so lange noch keine Baukräne und Laster dort stehen und Löcher ausheben. 

Denn alles ist im Wandel. Es sucht sich Räume, wächst und gedeiht, bis es vergeht oder zerstört wird, um Neuem zu weichen. Das wächst und gedeiht. Und wieder zerstört wird. Es ist der Lauf der Zeit, der Dinge, der Natur. Aus Altem entsteht Neues. Und nichts bleibt, wie es war. Doch die Natur wertet nicht.

Und in mir bleiben die schönen Momente und Bilder des vergangene Jahres, auf 'meiner Brache'. Die Erinnerung an die aufblühende und vergehende Natur, mitten in der Großstadt, die sich nun woanders einen Ort suchen wird. Und ich mir neue Wege durch den Grosstadtdschungel, um wieder aufzutanken.

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