Donnerstag, 19. Dezember 2024

Angst vor dem Test


Heute nachmittag kam die Info aus der Schule, dass Lola während der Schulzeit drei Stunden lang auf dem Gang gelegen hat. Sie habe sich verweigert, zum Test in Kunst zu gehen, obwohl der seit der letzten Woche angekündigt war. 
 
Lolas Schulhelfer hatte mir gestern schon von dem Test erzählt, zum Thema 'Stillleben', und ich hatte mich schon gefragt, wie Lola darauf reagieren würde. Und - wie mich nicht wunderte - mit 'Verweigerung'. 
 
Sprich, sie war so aufgeregt, dass sie es nicht geschafft hat, die Schwelle in den Klassenraum zu überwinden. Und leider auch kein Pädagoge dazu in der Lage war, ihr die Sorge vor dem Test zu nehmen. Und sie dazu zu animieren, einfach in den Raum zu gehen und zu malen, was sie sieht.

Es tat mir im Herzen weh zu wissen, dass sie wieder so viel Zeit in der Schule rumgelegen hat. Aufgeregt, nervös, in einer Art innerer Spannung und wenig zugänglich für Versuche der Lehrer, sie zum mitmachen zu animieren. Die roten Punkte bzw. die Aussicht, deswegen zu Hause keine Musik hören zu dürfen, halfen da wenig. 



Kaum war die Schule zuende, war sie jedoch wie ausgewechselt. Sie fuhr selbständig mit der Tram zur Physiotherapie und ging anschließend gemeinsam mit mir zum Geigen, wo es ein schönes Weihnachtskonzert ihrer Geigengruppe gab. Mehrstimmige Weihnachtslieder, und Lola fidelte begeistert mit. Von Aufregung, Verweigerung, Nervosität keine Spur. Weil sie die Stücke gut kennt und spielen kann. So kann ein Weihnachtskonzert also auch aussehen!
 

 
Auf dem Fußweg nach Hause ging sie spontan noch in den Konsum, um glutenfreies Brot für sich kaufen. "Du draussen warten, Mama. Ich kurz Brot kaufen geh." Und weg war sie.  
 
Vor einer Woche war sie zum ersten Mal überhaupt alleine einkaufen, und jetzt einfach so nochmal. Und sie brachte sich gleich noch eine Apfelschorle mit und für Pavel sein Lieblingsmüsli, das heute früh alle war! 

Und während ich am Abend zu Hause kochte, ging Lola in ihr Zimmer, breitete auf dem Boden ihre Malsachen aus - und begann zu malen.

"Mama, ich Test nachholen grade. Morgen Lina zeigen", erklärte sie mir, als ich ins Zimmer kam. 

Wie es sie doch innerlich zu quälen scheint, den Anforderungen in der Schule wieder nicht gerecht geworden zu sein. Schon beim Schulkonzert nicht, das vom Repertoire zu schwer für sie war, und nun auch nicht beim Test, wo sie es vor Aufregung nicht geschafft hat. 

Es ist wohl mal wieder Zeit für ein Gespräch mit den Pädagogen. Um gemeinsam einen Weg zu finden, wie sie auch in der Schule stärker teilhaben und ihre wachsende Selbständigkeit und Souveränität auch dort zeigen kann.

Montag, 16. Dezember 2024

Omen...

 

Heute früh hab ich mich auf den Weg gemacht zu einem Ort, von dem ich dachte, er könne vielleicht ein guter Lebensort für mich sein. Doch als ich aus der Haustüre ging, fiel dieses Bild herunter. Das Greta vor Jahren gemalt und mir zu Weihnachten geschenkt hat. Krach! In tausend Scherben. 

Ich habe es als schlechtes Omen gewertet. 

Ein bisschen Aberglaube muss sein. Sich lediglich an den harten Fakten zu orientieren, erscheint mir viel zu eindimensional. 

Das 'Bauchgefühl' hat sich später bestätigt. 

Freitag, 13. Dezember 2024

Weg mit dem alten Zeug

Die Vorweihnachtszeit ist bestimmt nicht die typische Jahreszeit für eine Ausmistaktion. Aber diese Woche hat es mich gepackt - und ich habe angefangen, einen Teil des ganzen Krempels auszumisten, der überall in der Wohnung rumlag. Auf Kisten, Truhen, jede waagrechte freie Fläche war besetzt. 

Angefangen habe ich mit dem Eingangsbereich des Flures, an der Garderobe. Ein Bereich, der einen Einfluss hat auf die Energie, mit der man nicht nur in die eigenen Wohnung hineinkommt, sondern auch durch's Leben geht. Zumindest nach 'Feng-Shui', so habe ich in einem Buch gelesen, das ich zufällig im Bücherregal fand. 

Und stapeln sich im Eingang viele Dinge und Krempel, dann kann es wohl auch zu Stagnationen im Leben kommen. Ja, lag es also vielleicht daran, dass ich seit einiger Zeit einfach nicht weiter komme?

Nichts leichter als das, dachte ich. Machte mir laute Musik an auf meinem neuen, ureigenen spotify-Account (Lola hat ja jetzt endlich einen eigenen), und begann zu räumen und zu sortieren: aufheben, wegwerfen oder abgeben. 

Und nach drei Stunden hatte ich aus einem Bereich von ca. zwei Quadratmetern (!) sieben Tüten extrahiert mit Dingen, die alle wegkonnten: entweder direkt auf den Müll oder zur Kleider - und Hausratspende. Zum Verkaufen über Kleinanzeigen fehlt mir die Muße.

Von Pavel: abzugeben in treue Hände (Gr. 140)
abzugeben in treue Hände (Gr. 140)
 

Löchrige (Lieblings-)schuhe (6 Paar), von Motten zerfressene Kuschel-Wollmützen, beim Flohmarktkauf übriggebliebene alte Kleider von Lola, ein kaputter Drucker, und und und... Ich erinner mich schon jetzt nicht mehr genau, was es alles war.

fast ungenutzte Regenjacke (Gr. 152)

Eben diese Dinge, die man lange schon nicht mehr braucht, aber an denen irgendwie doch noch das Herz hängt. Zumindest wenn man sie in die Hand nimmt, denkt man: 'ach weisst du noch, wie ich mit denen damals durch Barcelona gelaufen bin, so jung noch. Die kann ich nicht weggeben.' Und legt sie wieder in die überquellende Schuhkiste. 

Sind sie aber einmal weg, erinnert man sich gar nicht mehr daran.

Am Nachmittag war ich so euphorisiert vom Aufräumen und Loslassen, dass ich an den kommenden beiden Tagen noch weiter gemacht mit dem Flurschrank und einem Bücherregal. Und mich über jedes Stück bzw. Buch gefreut hab, das ich weggeben konnte.

Und bin tasächlich - befreit von all dem Krempel - ganz beschwingt durch die Tage geschwebt. Ein befreites Dauergrinsen auf dem Gesicht. 

Also, falls ihr auch an der Dunkelheit und dem trüben Wetter leiden solltet, und Euch nicht nach weihnachtlicher Dauergemütlichkeit ist, empfehle ich wärmstens eine kleine Ausmistaktion! 

Es macht Spass, löst Blockaden und Stagnationen, baut durch Plätzchen und Stollen zusätzlich angefutterte Kalorien ab und schafft Raum für Neues. Denn irgendwo muss der Weihnachtsmann ja hin mit seinen vielen Geschenken :-) 

Donnerstag, 12. Dezember 2024

Weihnachtskonzert ohne Lola



Gestern war Weihnachtskonzert in Lolas Schule. Mit dem Chor der 11. und 12. Klasse, dem sie angehört. Und dem Schulorchester. Herrlichster Gesang und Klang. Nur leider ohne Lola.

Sie hatte sich den gesamten Proben für das Konzert, die von Montag bis Mittwoch in der Schule stattfanden, konsequent verweigert. Sich zuerst noch nicht einmal in den Proberaum bewegt, und den späteren Proben in der Mehrzweckhalle zwar zugehört, aber keinen Fuß auf die Bühne gesetzt. Ihr Chorleiter und ihr Schulbegeleiter waren wieder mal verzweifelt. 

Da halfen auch alle roten Punkte nichts, die sie immer bekommt, wenn sie an einem Unterricht nicht teilnimmt. Sie wollte nicht singen!

Sie hat sich zwar jeden Tag unglaublich schick angezogen, ihre 'Auftrittskleidung', ein rotes Glitzerkleid und ihre hohen rosa Fellstiefel. Dazu ein elegantes schwarzues Jacket, wirklich stilvoll. Aber mitsingen: wollte sie partout nicht!

Wirklich gewundert hat es mich nicht. Denn die Klasse sang das 'Gloria' von Verdi, in Latein. Ein zutiefst berührendes Stück. Aber natürlich mehrstimmig und wirklich anspruchsvoll. Und auf meine etwas scherzhaft gemeinte Idee, sich einfach zur Klasse dazuzustellen, und den Mund an den passenden Stellen zu öffnen und zu schließen, wollte sie sich verständlicher nicht einlassen. 

Die Tage waren eine Qual für sie. Zwischen ihrem Wunsch, mit der Klasse mizusingen und ihrem schlechten Gewissen, es nicht fertig zu bringen, sich mit auf die Bühne zu stellen. Wahrscheinlich, weil sie sich doch ihrer beschränkten musikalischen Fähigekiten bewusst ist, bei solch einem Stück mizusingen. 

Und wieder tat es mir im Herzen weh zu erleben, wie sie hier in ihrer inklusiven Schule zwar dabei sein kann (könnte), aber aufgrund der hohen 'Leistungsanforderungen' am Ende doch in gewisser Weise ausgeschlossen ist.

Am Ende saß sie dann gestern Abend beim Konzert neben mir im Saal und lauschte andächtig und voller Freude dem Konzert und den Solisten auch aus ihrer Klasse, die wirklich ein  wunderschönes Konzert sangen. Und bei 'Drei Haselnüsse für Aschenbrödel' und "Es ist ein Ros entsprungen' sang sie dann - im Publikum sitzend - sehr lauthals und inbrünstig mit, in ihrem glockenhellen Sopran, sogar halbwegs 'gerade' :-) 

Beim nächsten Weihnachtskonzert hoffe ich, dass das Repertoire so angepasst wird, dass sie dann doch mitsingen kann - und hoffentlich auch will. Und vielleicht bzw. hoffentlich auch wieder in einem Extra-Ensemble mitwirken kann. Wie im letzten Jahr, wo sie zusammen mit sechs anderen Förderschülern ihrer Schule in einem 'inklusiven Klangensemble' einige extra-Stücke gespielt haben. Mit verschiedenen Klanginstrumenten, wo sie dann sogar ein Stück auf der Geige spielen konnte. Vor versammeltem, prall gefüllten Saal. Was wirklich großartig war: und sie zutiefst stolz. 

Ja, die Inklusion ist schon eine Herausforderung, immer wieder.


Montag, 9. Dezember 2024

Online-Vortrag "Wenig sprechende Kinder - Überraschungsdiagnose Dyspraxie?"

Morgen, am Dienstag 10. Dezember 2024, um 20 Uhr wird Denise Hönniger einen Online-Vortrag zum Thema 'Dyspraxie"  bzw. "Verbale Entwicklungsdyspraxie (VED)" halten, organisiert über Down-Syndrom Berlin e.V.

 

Denise Hönniger ist eine der wenigen Expertinnen auf dem Gebiet 'Dyspraxie bei Kindern mit Down-Syndrom' und wird einen guten Einblick in diese Sprechstörung geben, von der doch viele Kinder mit Down-Syndrom betroffen sind. Sie wird u.a. Hinweise geben, wo man therapeutisch ansetzen kann, um auch wenig sprechende Kinder endlich zum Sprechen zu bringen.

 Lola hat selber vor Jahren eine Diagnose 'Sprechapraxie' bekommen, nachdem sie mit 6 Jahren immer noch kaum Worte sprechen konnte. Seitdem wir systematisch Silben und Worte mithilfe von Lautgebärden geübt haben, ist sie endlich ins Sprechen gekommen. Und kann heute - zwar immer noch dysgrammatisch - aber doch gut und souverän sprechen, mit einem riesigen Wortschatz. 

Falls also auch Euer Kind betroffen sein sollte, meldet Euch an. Es ist wirklich NIE zu spät!

Ich kann mich gar nicht an die Corona-Zeit erinnern...

Ein grauer Dezembertag heute. Nach langem Ausschlafen und gemütlichem Frühstück, ließen sich die Kinder erst am Nachmittag aus dem Haus bewegen. Zu einem kurzen Spaziergang zum Caracan im Auwald, zu einer Tasse Kakao. Doch schon nach einer Stunde wollten sie wieder zurück. Genug der 'Ausflüge'.

Als wir am Nachmittag in der Küche saßen, ein paar Plätzchen ausstachen und Pavel eigentlich Latein lernen sollte, begann er mir von der Pest zu erzählen, die im Mittelalter halb Europa dahingerafft hat. Alle einmal Infizierten starben, und die Pestdoktoren konnten ihre Leiden kaum lindern. 

"Wie konnten die sich überhaupt schützen?", fragte ich ihn.

"Durch schwarze Schutzanzüge und die typischen Schnabelmasken, in denen sich Heilkräuter befanden", erzählte Pavel. - Ja, woran man damals so glaubte.

 

"Weißt Du, Mama. Ich kann mich überhaupt nicht an die Corona - Zeit erinnern", fügte er hinzu. "Wann waren die Lockdowns überhaupt? Und was haben wir da die ganze Zeit gemacht?" 

Er war gerade in der zweiten Klasse, 7 Jahre alt, als es 'losging'. Am 13. März 2020. Und 9 Jahre alt, als die Maßnahmen wieder aufgehoben wurde. Immerhin über zwei Jahre lang, für einen Jungen seines Alters eine lange Zeit. 

Gemeinsam versuchten wir diese surreale Zeit zu erinnern, die wir in den letzten Jahren vollkommen verdrängt hatten.

Wir erinnerten uns an den Feuerwehrwagen, der im Tiefschnee vor unserer Haustüre stecken geblieben war, und erst nach zwei Stunden wieder freigeschaufelt war. 

 

Und wie die halbe Südvorstadt, entgegen der Anordnungen, auf dem Fockeberg rodeln ging. Ein Gewimmel an Schlitten und Skifahrern - und wir mitten drin.

Wir erinnerten uns an die vielen Workouts, die wir bei uns im Wohnzimmer gemacht haben. Selten, dass ich so viel Sport getrieben habe und körperlich so fit war :-)

Wir erinnerten uns an die Harry-Potter-Bände, die Pavel alle verschlungen hat. Weil die Bibliotheken geschlossen waren und Greta alle Bände im Regal stehen hatte. Obwohl er gerade erst lesen gelernt hatte, aber dringend neuen Lesestoff suchte. Und eben nahm, was es gab.

Und ich erinnerte mich an Pavel vor dem Rechner, singend mit dem Kinderchor, in der zoom-Session. Die Arme weit ausgebreitet für die anfänglichen Lockerungs- und Atemübungen. Ganz alleine am Tisch. 

Und er erinnerte sich an die Corona-Nasen-Tests, die sie in der Schule immer machen mussten vor dem Unterricht. Montag, Mittwoch und Freitag. 

An die Aufgaben, die er zu Hause machen musste, erinnerte er sich allerdings überhaupt nicht. Nur dunkel an den dicken Ordner, in dem wir sie alle abgeheftet haben. 

Was für eine verrückte Zeit damals, vor allem für einen kleinen, bewegungslustigen Jungen. Wenn er heute wie wild durch die Wohnung springt, mit seinem Basketball, und Lola mal wieder in ihrem Zimmer ohrenbetäubend laut singt, frage ich mich, wie wir das überhaupt alles geschafft haben. 

 

Und ich bin heute noch zutiefst dankbar, dass wir als Familie körperlich und seelisch gesund durch diese Jahre gekommen sind. Mit einer großen Demut und Freude an den kleinen Dingen und am täglichen Zusammensein. 

Manchmal, so seltsam das scheinen mag, sehne ich mich fast nach dieser überschaubaren Ereignislosigkeit der Tage. In denen der tägliche Spaziergang zum Fockeberg für uns das allergrößte Highlight war. Und mein Schreiben am Abend mir eine Reise in die Vergangenheit, ins Innere oder andere Welten ermöglichte, die sich nicht wie eine Flucht anfühlte, sondern wie ein Ankommen zu Hause.


Freitag, 6. Dezember 2024

Zeitverschiebung

 Heute morgen bin ich sogar eine Viertelstunde früher aufgestanden als sonst und fühlte mich dennoch erstaunlich ausgeschlafen. Obwohl ich weniger als die eigentlich nötigen sieben Stunden geschlafen hatte. Auch mal schön, dachte ich, und weckte Lola.

„Nikolaus da?“, fragte sie, noch vor dem Augenöffnen und stürmte zu ihren gestern säuberlich geputzten und mit einer halben Dose Impragnierspray eingedieselten Stiefeln, die immer noch leicht chemisch rochen.

„Eine Haarband“ jubelte sie über das türkise Band, das ihr ‚der Nikolaus gebracht hatte‘ und schleppte auch noch den Rest des Stiefelinhalts in die Küche.

Nach einem entspannten Frühstück animierte ich sie doch zur Eile, denn heute musste sie alleine mit der Tram in die Schule fahren, da das Auto in der Werkstatt war. Pünktlich um 8.27 verließen wir das Haus, um die Bahn um 8.33 zu kriegen, wie ich gerade noch auf der App nachgeschaut hatte. Draußen war es schon erstaunlich hell, anders als sonst am Morgen. ‚Auch mal schön!‘

Sogar fünf Minuten vor der Zeit waren wir an der Tramhaltestelle und warteten auf ihre Straßenbahn, in der sie gleich bestimmt viele Kinder aus ihrer Schule treffen würde. Doch als die Bahn einfuhr, war sie die einzige Schülerin. Die Tram war halbleer. ‚Auch mal schön‘, dachte ich und schlenderte gemütlich wieder nach Hause. Bestimmt würden die anderen Schüler später noch dazu steigen, und zur Not würde Lola den Weg in die Schule auch alleine schaffen.

Erst zu Hause bemerkte ich, dass ihre Lehrerin viermal bei mir angerufen hatte. Seltsam dachte ich und rief sofort zurück.  

„Wo ist Lola denn?“, fragte sie, mit leichter Ungeduld in ihrer sonst so freundlichen Stimme.

Ich schaute auf die Uhr. 8.45 Uhr. Noch eine Viertelstunde bis Schulbeginn. Wirklich kein Grund, so einen Stress zu machen.

„Die sitzt in der Tram“, erklärte ich. „Und sollte in 5 Minuten aussteigen und dann gleich da sein. Hoffe ich.“

„Mmmh“, hörte ich aus der Leitung. Und auf einmal fiel der Groschen.

8.45 Uhr!!!?

Die Schule beginnt um 8 Uhr!!!!

Wie konnte das sein? Wir hatten den ganzen Morgen um eine Stunde verschoben gelebt! Statt um 6.45 Uhr war ich um 7.45 Uhr aufgestanden. Was ich zwar durchaus wahrgenommen hatte, aber an keiner Stelle darüber gestolpert war.

„Ich glaube, ich hab mir den Wecker aus Versehen um eine Stunde später gestellt“, sagte ich entschuldigend. Und fragte mich, wieso mir das an keiner Stelle ins Bewusstsein gedrungen war. Trotz so vieler Hinweise, wie fehlender Müdigkeit, hellem Tageslicht, menschenleerer Bahn und der Uhrzeit natürlich. 

Ich war so der festen Überzeugung gewesen, ‚pünktlich‘ aufgestanden zu sein, dass mich keine der widersprechenden Fakten der Außenwelt daran zweifeln ließ, in der Zeit zu sein. Wie stark kann doch der Glaube sein, selbst im Widerspruch zu allen Tatsachen, und doch halten wir daran fest.

„Kann ja mal passieren“ sagte die Lehrerin etwas irritiert und legte auf.

Und ich schüttelte noch einmal ungläubig den Kopf und machte mich – gut ausgeschlafen - an die Arbeit.

Donnerstag, 5. Dezember 2024

'Ich will Malerin werden'

Bis vor kurzem wollte Lola entweder auf einem Bauernhof arbeiten, in einer Pizzeria oder in einer Bäckerei. Nach dem Praktikum in Sassen war auch eine Arbeit in einer Weberei hoch im Kurs. 

Doch heute erklärte sie mir beim Spaziergang durch das nachmittagsdunkle Leipzig: 'Mama, ich will Malerin werden!" 

Am letzten Wochenende hatte sie mir schon erzählt, dass in ihrem 'Traumhaus' im Erdgeschoss ihr Atelier bzw. Malstudio liegen soll. Dass das auch ihr Beruf sein sollte, hatte sie allerdings noch nicht erwähnt.

Nun denn, jetzt also Malerin! Träume verleihen ja bekanntlich Flügel.

Vor allem, so erklärte sie mir, will sie für ihre 12. Klass - Jahresarbeit in der Waldorfschule etwas 'Malen'. 

"Was genau", fragte ich. "Hast Du schon Ideen zu Techniken oder Themen?"

'Vielleicht Katzen, Häuser. Oder mit Tinte und Feder. Oder Drucken. Alles", erklärte sie begeistert und stapfte vergnügt weiter. Die Idee schien ihr zu gefallen. 

Bis jetzt hatte sie als Jahresarbeit eigentlich Fotos machen wollen zu unser Weltreise. Da im nächsten Jahr - aus Kosten - und Zeitgründen allerdings noch keine Weltreise geplant ist, und sie eher selten fotografiert, hatte ich mich schon gefragt, ob das so eine gute Idee ist. 

Das Projekt mit dem 'Malen' hingegen gefällt mir wirklich gut. Denn schon seit ihrer Kindheit malt sie viel und ausgiebig, mit verschiedenen Techniken wie Acquarell, Acryl, zeichnet aber auch gerne oder klebt Collagen. 

Im letzten Sommer hat sie sich bei einem Atelierflohmarkt ganz viele Malutensiliern gekauft: bestimmt zehn Blöcke mit unterschiedlichen Papieren, Pastellkreiden, Acquarellfarben, Pinsel, Acryltuben. Und noch am selben Nachmittag wie in einem kleinen Malrausch diese Serie an Bildern produziert. Voll knalliger Farben und Formen.


Wenn sie einmal malt, ist sie nicht zu stoppen. Und hat dabei wirklich immer eine sehr schöne Farbauswahl.

Wobei sie auch gerne draussen bei uns im Garten malt, oft stundenlang. Und danach immer gut gelaunt und tiefenentspannt ist. 

Also, morgen will sie jedenfalls zu ihrer Kunstlehrerin gehen und sie fragen, ob sie für ihr Malprojekt ihre Mentorin werden will. Ich würde mich riesig freuen für sie. Und vielleicht gibt es dann im nächsten Herbst eine erste kleine Ausstellung ihrer Bilder im Rahmen der Präsentation der Jahresarbeiten. Das wäre doch was!

Mittwoch, 4. Dezember 2024

Selbst ist die Frau...

Erstmals seit Jahren ist Lola ganz alleine in einen Laden gegangen und hat etwas gekauft. 

Normalerweise weigert sie sich strikt, alleine irgendwo hin - oder reinzugehen, um etwas zu kaufen. Weder will sie im Laden sprechen noch alleine bezahlen. 'Nein, Du machen, Mama. Kann nicht!" Wie oft bin ich schon daran verzweifelt.

Doch gestern hat sie gleich dreimal alleine etwas gekauft. 

Zuerst gebrannte Mandeln auf dem Weihnachtsmarkt. Dann ihr glutenfreies Brot beim Bäcker. Und zum krönenden Abschluss ist sie sogar ganz alleine in den Bioladen gegangen und hat sich dort - von ihrem Taschengeld - eine Apfelschorle gekauft.

Ich wollte selber nicht in den Bioladen, sondern hielt nur kurz mit dem Auto an und ließ sie rausspringen. Und sie ging souverän rein und holte sich ihre geliebte Apfelschorle. Und stieg anschließend zufrieden wieder ins Auto, als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Und meinte: 'Mama, ich morgen Einkauf machen. Ganz alleine. Du warten draussen."

Plötzlich, ohne dass ich darauf bestanden hätte. 

Wieso plötzlich dieser Schub an Selbständigkeit? Den ich mir als nächsten wichtigen Entwicklungsschritt bei ihr 'vorgenommen' hatte. Sie dahin zu bringen, endlich mal alleine einzukaufen!  

Weil wir uns neulich mal beim Abendessen darüber unterhalten haben, dass sie das ja schon längst könnte? Weil sie endlich ein eigenes Handy hat, und sich dadurch erwachsener und ernst genommener fühlt? Weil ich endlich zu Hause darauf bestehe, dass sie in höflichem Tonfall mit mir redet und mich nicht mehr 'anherrscht'? Also ihr ein respektvolles Verhalten 'abverlange' bzw. ihr zutraue, dass sie sich so verhält, wie ihre Geschwister auch?

Wohl eine Mischung aus allem. Vor allem aber, weil sie es auf einmal selber wollte. Und es sich selber zugetraut hat. Und sich nicht mehr hinter der Fassade von der armen kleinen Lola versteckt hat, die nichts kann und hilflos ist, hinter der sie sich so oft verkriecht. 

 

Bestimmt hat auch mein veränderter Blick auf sie - liebend, aber auch fordernd - etwas in ihr bewegt. 

Heute kam sie ganz selbstverständlich mit der Tram alleine von der Schule nach Hause. Alles auf einmal überhaupt kein Problem mehr.

Immer wieder wundere ich mich über diese plötzlichen Entwicklungssprünge bei ihr, manchmal nach Jahren der Stagnation. Auf einmal, puff, kann sie alles. Als wäre es nie anders gewesen.

Dienstag, 3. Dezember 2024

Advent Advent, ein Lichtlein brennt....

Und jetzt ist er da, der Advent. Mit Kerzen überall in der Wohnung, leckeren Plätzchen und Tannenduft. Endlich wieder zu Ruhe kommen, nach den arbeitsreichen, grauen Novemberwochen... Und so langsam kommt auch das passende Gefühl dazu auf in mir.

Und obgleich die Wohnung noch nicht gross weihnachtlich dekoriert ist, haben wir einen wunderschönen Adventskranz, den die Kinder SELBER auf dem Adventsmarkt gebunden haben.

Letztes Jahr haben sie ihn auch schon gemeinsam mit Greta gebastelt, und ich hatte gedacht, dass da sicher Greta den Großteil beigetragen hat. Aber der diesjährige Kranz hätte schöner nicht sein können! Allein das Werk von Pavel und Lola.

Und dank der Oma haben wir auch einen wunderschönen Kalender. Nicht wirklich einen Adventskalender, aber einen sehr schönen, informativen Silvesterkalender!!! Für diejenigen, die 'Dinner for One' gar nicht erwarten können... Mal was anderes!

Und der Weihnachtsmann hat auch schonmal Hallo gesagt :-)



Donnerstag, 28. November 2024

Stürmisch draussen - und drinnen?

Draussen weht ein eiskalter Wind. Wetterumschwung vom milden Herbst zum Winter. Und auch meine Stimmung ist gestern auf den Tiefpunkt gesunken. 

Soll ich das hier so schreiben? Mich so zeigen? Soll ich überhaupt all diesen grauen bis schwarzen Zwischentöne hier zeigen? Das will niemand lesen. Alle haben doch selber genug Herausforderungen zu bewältigen. 

 

Amelie, schau auf das Schöne, die Fülle. Empfange die Geschenke des Lebens, jeden Tag neu! Schau einfach hin! Tönt es in mir....

Nimm Dir ein Beispiel an Deinen Kindern!

 Lola nimmt ihr Mikro, stellt die Musik ohrenbetäubend laut an und hüpft grölend durch ihr Zimmer. Sie feiert die größte Party ever. In ihrer Fantasie singt sie im Stadion auf der Bühne, tausende Fans stehen unter ihr und feiern sie! Beglückt und erschöpft kommt sie nach dem 'Konzert' in die Küche, welch ein Erfolg!

'Instant' gute Laune, indem sie sich einfach auspowert. Und sich ihre Fans vorstellt.

 Oder Pavel. Mit seinem Basketball geht er jeden Tag auf den Platz und 'trainiert'. Körbe werfen, Dreier, Fünfer! Für die NBA, dabei ist er noch nicht einmal in einem Verein. Er übt Dunkings im Kinderzimmer, montiert den Korb genauso hoch, dass er gerade den Ball reindonnern kann. Erschöpft und voller Erfolge kommt er zurück. In seiner Fantasie kurz ein NBA Star! 

Wo ist meine Fantasie geblieben? Meine Kraft, mich von meinen inneren Bildern leiten zu lassen? Mir das Leben einfach schön vorzustellen. 

Ich bin erwachsen, denke ich. Ich kenne den Schmerz, der folgen wird. Die Enttäuschung. Ich ahne, dass es auch dieses Mal nicht klappt. Ich bereite mich innerlich vor auf die Ablehnung, und erstarre. Ich denke überhaupt so viel. All diese Fragen und veralteten Bilder, die durch meinen Kopf klappern. Am liebsten mitten in der Nacht. Und mich am schlafen hindern. 

Dabei weiß ich, dass der Glaube hilft. Das tiefe Wissen, getragen zu sein, geführt zu werden. Dass wir aus Fehlern und Rückschlägen lernen. Dass sie mich zu der gemacht haben, die ich bin. Dass es von meiner Perspektive auf das Leben abhängt. 

 

Sehe ich die Fülle, die Liebe, die Zuwendung, die Geschenke, schenkt mir das Leben umso reicher. Im Kleinen wie im Großen. Und an vielen Tagen gelingt es mir. Und ich schwebe. Und egal wie bescheiden mein Leben, egal, wie viele Chancen ich habe verstreichen lassen, ich sehe all das, was ich gewonnen habe. Was ich geschenkt bekam. Voll Dankbarkeit. 

Nur heute nicht... 

"Warum?", würde Lola fragen. 

"Ich weiß es nicht", würde ich heute antworten. "Ich weiß es nicht."

Dienstag, 26. November 2024

Handydiät wirkt Wunder!

Irgendwann hat es mir dann doch gereicht. Und der Tag war heute!

Ich hatte genug von Lolas unwirscher Art, ihrem motzigen Ton, ihren Kreischanfällen, wenn ich ihr sage, sie soll mal das Tablet ausmachen. Dem ständigen Bitten und Betteln, dass sie den Film ausmachen soll. 

Und so hab ich heute einfach ihre Handyzeit auf NULL gesetzt und in ihrem Tablet wieder einen Code gespeichert, den nur ich kenne. 

Als sie heute nach der Schule nach Hause kam, hatte sie also keinen  Zugang zu den von ihr so heiss geliebten digitalen 'Geräten'.

Da sie in der Schule nicht gut mitgemacht hatte, und eine Schulstunde komplett auf der Toilette war, weil sie 'kein Bock auf Eurythmie hatte', war das sowieso die logische Konseuqenz, mit der sie gerechnet hatte. 

Sie darf nämlich unter der Woche nur dann abends Musik hören und ihr Tablet nutzen, wenn sie in allen Schulfächern gut dabei ist und auf ihrer Token-Liste 'grüne Punkte' bekommt. Ein System, was wir vor einiger Zeit eingeführt haben, und was Wunder gewirkt hat, was ihre schulische Beteiligung angeht. 

Also, warum nicht genauso konsequent zu Hause sein?

Handy und Musik ja, aber nur dann, wenn sie auch zu Hause 'mitmacht', sprich: etwas im Haushalt erledigt, ihre Sachen aufräumt, ohne Protest duscht, halbwegs freundlich und höflich ist. Klar, Teenager, aber ihr Tonfall war in letzter Zeit doch weit jenseits dessen, was ich bei ihren Geschwistern durchgehen lassen würde. Weil ich oft viel zu 'verständnisvoll' mit ihr bin. 

Was mich aber am Ende stocksauer und wütend auf sie macht, siehe gestern, und was ihr auch überhaupt nicht gut tut. Weil sie auf die Weise sich einen Umgangston in engen Beziehungen angewöhnt, den kein Mensch ertragen würde. Egal wie gern er sie hat. 

Und oh Wunder: statt zu protestieren und zu motzen über den Handyentzug, war sie heute super freundlich, liebevoll, zugewandt. Ging ohne Protest duschen, sang sogar unter der Dusche, fragte freundlich um Nachschlag beim Essen, war lustig und liebevoll. So wie ich sie auch kenne, von früher, wie sie aber länger schon nicht mehr durchgehend ist. 

Erstaunlich, wie klar sie sich doch der Grenze bewusst zu sein scheint, die sie in letzter Zeit ständig mit ihrem Verhalten überschritten hat. Und wie schnell sie sich anpassen kann. 

Vielleicht tut ihr der viele Handykonsum aber auch einfach nicht gut. Womit sie ja nicht die einzige wäre. 

Ich will nun einfach konsequent ihre Medienzeiten reduzieren und auch 'regulieren', und viel konsequenter sein, wenn sie mal wieder über die Stränge schlägt so wie in den letzten Tagen, und nur noch motzt und  schimpft. 

Schön, wenn es am Ende doch so einfache Lösungen gibt. Warum nur bin ich nicht vorher darauf gekommen, oder hatte die Kraft, das einfach mal durchzuziehen? Handy und Tablet aus und weg! Punkt. Diese ständige Angst vor ihrem Protest.... 

Montag, 25. November 2024

Handyterror

Lola heute zu Hause. 24 h, mit Frauenleiden. Am Morgen schwach, mit Bauchweh und bettlägerig. Jammernd. 'Kann nich Schule gehn. Bauchweh, schlafen...'

Doch kaum hatte sie das neue Handy in der Hand, war sie quietschfidel. Hat Mails gecheckt und versendet, Spiele gespielt und natürlich Musik gehört. Und als ihre Handyzeit zu Ende war, hat sie mich irgendwie überredet, auch noch das Tablet zum Musik- und Hörspielhören nutzen zu dürfen. Und da ich ja in Ruhe arbeiten wollte, hab ich mich breit schlagen lassen. Und sie hat gefühlt die ganze Zeit mit den Kopfhörern dagesessen und Hörspiele gehört. Bauchweh und Müdigkeit wie weggeblasen. 

Und Mittags klar, da durfte sie auch noch einen Film gucken. Und war danach so überdreht, (wie immer nach dem Film gucken,) dass sie nur noch mit sich selber redete, alles nachspielte, und mir gegenüber total laut und aggressiv wurde, vor allem als ich ihr sagte, dass wir gleich noch zum Einkaufen und zum Geigen wollen.

Und ich hatte mir letzte Woche doch vorgenommen, ihr gegenüber strenger zu sein. Konsequenter. Diesen harschen Ton mir gegenüber nicht mehr hinzunehmen. Ihr da ENDLICH klare Grenzen zu zeigen. Ihr das Tablet auch mal konsequent wegzunehmen oder ihr Handy zu sperren, wenn sie so aggressiv wird. 

Letzte Woche gelang mir das auch einen Tag lang. Und da war sie tatsächlich auf einmal viel freundlicher, respektvoller und selbständiger! Ich weiß also, dass es wirkt!

Aber heute? Bin ich wieder total eingeknickt. Hab mich von ihr anmaulen lassen. Türen knallten. 'Raus hier aus meine Zimmer!", motzte sie mich an.

Und in mir brodelte es. Die Wut auf sie, auf diesen Ton, diese respektlose Art. 

Aber neben ein paar müden Androhungen und beschwichtigendem 'Loli, ich mag nicht, dass Du so mit mir redetst', konnte ich ihr Null-komma-Nix entgegen setzen. Keine Grenze, keinerlei Konsequenz.

Wie ich mich darüber ärgere! Vor allem über mich selbst.

Nach dem vollkommen unverdienten Abendfilm, den sie aus Gewohnheit natürlich auch noch schauen durfte, ist sie noch eine Stunde lang wach geblieben und gerade erst gegen 22.30 uhr eingeschlafen. Eine Stunde später als sonst.

Ich muss was ändern! Nur was? Und wie? 

Wenn ich nur endlich konsequent sein könnte....

Meditation 'to go'

Vor einiger Zeit meldete sich ein alter Studienfreund aus 'Bonner Zeiten' bei mir. Er sei demnächst in Leipzig, zu einem Seminar zum 'holotrophen Atmen'. Ob er bei uns übernachten könne? Ja, klar.

Wir gingen gemeinsam aus. Und beim Gin Tonic erzählte er mir, dass er gerade Stress in seiner Ehe habe. Und über das Atem-Seminar eine Bewusstseinserweiterung suche. Endlich in guten Kontakt zu seinen Gefühlen und seinem Inneren kommen wollte. Vielleicht würde das ja auch seiner Partnerschaft auf die Sprünge helfen. Was 'holotrophes Atmen' dazu beitragen konnte, verstand ich allerdings nicht so ganz. 

Ich empfahl ihm einen Gestalttherapeuten, der auch tibetische Meditation anbietet. Das erschien mir vielversprechender. Um sich auch durch innere Arbeit weiter zu entwickeln. Denn oft sind es ja eigene unverarbeitete Themen, die wir in unseren Beziehungen re-inszenieren.

Über die Jahre hörten wir uns sporadisch. Ab und zu bekam ich Urlaubsfotos, auf denen die Familie unterschiedlich fröhlich wirkte.

Im Oktober lud er mich zu seinem runden Geburstag nach Berlin ein. In seine schicke Loftwohnung im Prenzlauerberg, mit Blick auf den Fernsehturm. Ich fragte mich gespannt, wie es ihm ging - auch in seiner Ehe.

Seine Frau öffnete mir strahlend die Türe und begrüßte mich herzlichst. Die jahrelange Begleitung durch den Therapeuten hatte wohl vieles in Bewegung gebracht, erfuhr ich beim Sprizz und freute mich. Vom holotrophen Atmen erzählte sie nichts. 

Mein alter Freund wirkte tiefenentspannt und fröhlich - hatten ihm die tibetischen Meditationen gut getan?

Beim Abschied fragte er mich, ob ich am nächsten Abend auch beim Rausfeiern dabei sein wollte - in einem Berliner Club, zum 'Barfusstanz'? Er würde dort tanzen, zwischen 17 uhr und 4 Uhr. Das würde ja ein Partymarathon werden!

22 Uhr kam ich zum Club, mein 'erstes Mal' in der Berliner Clubszene. Als ich Ende der 90er Jahre in Berlin studierte, war ich nur in den Kellerbars unterwegs, aber in keinem der Clubs. Ich war von der gestrigen Party zwar noch müde, hatte keine große Tanzlust, aber ich wollte doch wenigstens einmal im Leben in einem Berliner Club gewesen sein.

Beim Einlass stellte ich brav meine Schuhe in ein Regal und betrat auf Socken den Dancefloor, einen kurzfloorigen Teppich, während mir die Türsteherin noch zuraunte, dass Rauchen im hinteren Clubabteil erlaubt sei, ansonsten aber keine anderen Drogen.

Alles voller Nebel, tanzende und zuckende Leiber aller Altersgruppen, in der Ferne das DJ-Pult. Ich fühlte mich fremd. Zum Glück tanzte gerade mein alter Freund heran, wild mit den Armen um sich rudernd, tanzte aber auch gleich wieder weg, auf dem Weg zu den Toiletten.

Als er endlich zurück kam, sagte er nur kurz, dass die anderen Freunde schon weg seien. Und warf wieder rhythmisch Arme und Beine in alle Richtungen, im Beat der Bässe. Seine Augen im Wechsel in die Ferne und ins Innere gerichtet. Blickkontakt oder gar Gespräch unmöglich. Voll im Tanzflow, wahrscheinlich seit 17 Uhr. War das seine innere Arbeit? Seine Tanzmeditation!

'Ich frag mich, wie Du das durchhälst, nach der Party gestern!", raunte ich ihm zu, in der Hoffnung auf eine Antwort. 

"Tanzen, einfach tanzen. Ganz im Hier und Jetzt! ", lachte er. Und zappelte weiter. Ich tat mein Bestes, reckte meine Arme, schüttelte meine Beine, drehte mein Becken. Versuchte, mich vom Beat mitreißen zu lassen. Keine Chance. Der Beat ergriff mich nicht. War ich zu alt?

Außer mir schien niemand vom Tanz-unmut betroffen zu sein. Überall zappelten die Arme, schlängelten sich die Leiber, fuhren die Finger wabernd auf und ab, durch den Dunst und das blitzende Licht.

"Ich frag mich, wie die alle so eine Tanzenergie aufbringen", rief ich ihm zu. "Drogen sind ja nicht erlaubt".

Er lachte. "Das sagen sie am Eingang. Aber alle nehmen hier was". Und warf sich gegen den aus der Maschine hervorquellenden Nebel. 

"Häh?", brachte ich fassungslos hervor. Als würde man mir den Vorhang meiner naiven Gutgläubigkeit wegziehen. "Hast Du denn auch was genommen?", setzte ich gegen den Beat hinterher. Und ging davon aus, dass er verneinen würde. 

"Na klar", sagte er. Die Hände in Fäusten gegen die Decke schüttelnd. "Zum Start erstmal LSD und vorhin noch MDMA." 

"MD.. was?", fragte ich. Und vergaß meine Arme und Beine zu bewegen. 

"Ecstasy", lachte er mich an und schloß wieder seine Augen, um sich wild zuckend den Bässen zu überlassen. 

Für eine Sekunde erstarrte ich. Fassungslos. Bevor ich wie maschinenhaft meinen Oberkörper zu bewegen begann. Deswegen war er so wortkarg, bewegte sich so absurd und konnte keine Sekunde mit dem Tanzen innehalten. 

Während er sich weiter um sich drehte und ins "Hier und Jetzt" schlängelte, wurden meine Bewegungen immer monotoner. Bis ich mich ernüchtert in eine Ecke der Tanzfläche zurückzog.

Das war also seine Form der Meditation. Er hatte mir von Bewusstseinserweiterung erzählt, besserem Kontakt zum Körper, zum Inneren. Über 'holotrophes Atmen'. Tibetische Meditation, hatte ich gedacht.

Wohl zu langwierig auf Dauer. Wenn man es auch mit einer Pille oder zwei haben kann. Eben - to go, oder - to dance.

Als ich mich von ihm verabschiedete, nickte er nur kurz, und tanzte zuckend weiter. Ob er sich überhaupt daran erinnern wird, dass ich da war? Wahrscheinlich nicht. Ganz im 'Hier-und-Jetzt'.

Samstag, 23. November 2024

Voll der Samstag

Was für ein voller, reicher Samstag!

Zusammen mit Lola habe ich heute die Weihnachtszeit eingeleitet - passend zum kalten Winterwetter draussen - und Plätzchen gebacken. Die klassischen Mürbeteigplätzchen zum Ausstechen. Die Lola heute vormittag unbedingt backen wollte!

Ich war eigentlich im Samstagshausputzmodus. Alles stand kreuz und quer, voller Eimer , Wischlappen und Staubsauger. Die Kücher war gerade gesaugt und gewischt. Da kam Lola und wollte UNBEDINGT Plätzchen backen. Jetzt! 

Puh dachte ich,  jetzt? Wirklich? Ja, jubelte sie. Plätzchen backen! Und da konnte ich natürlich nicht nein sagen. Wenn sie schonmal von sich aus backen will. Das muss ich ja unterstützen.

Und obwohl das Ausrollen des 'glutenfreien' Teiges doch etwas bröckelig war, und Lola so einige Nerven gekostet hat (und mich natürlich auch), stachen wir endlich herrliche Plätzchen aus. Und Lola war glücklich. 

Auch wenn die feinteiligen Eulen, Katzen und Einhörner, die sie als Ausstecher von ihren Freundinnen zum Geburtstag geschenkt bekommen hat, sich nicht wirklich bewährt haben. Ein paar einbeinige Katzen und ein Einhorn ohne Horn haben wir aber geschafft.

Und beim Spaziergang durch den Johannapark rannte Lola auf einmal quer über die blätterübersäte Wiese, warf jauchzend die bunten Blätter nach oben und tanzte hindurch. Dass mir selber das Herz lachte, sie in solcher Innnigkeit und Freude zu erleben. 

Immer wieder unglaublich und herrlich ansteckend ihre pure Lebensfreude - auch wenn sie  fünf Minuten vorher noch gejammert und geklagt hat über schwere Füße und Bauchweh, und dass sie nie über ihre 'Themen' reden kann, sondern immer nur Pavel erzählt. (Der ja um einiges mitteilungsintensiver und auch wortgewandter ist als sie)

Nachdem wir Pavel aber bei einem Freund abgesetzt hatten, nutzte Lola die Gelegenheit und erzählte mir auf dem Rückweg eine eigene, selbst ausgedachte Geschichte über 'Bibi und Tina'. Mit Wettreiten, Besuch der Pferdemesse, gemeinsamem Kuchenbacken und "Treffverbot" für Tina mit Alex, wegen ihrer schlechten Schulnoten. Bis ihr 'der Mund schmerzte vom Reden', wie sie sagte. 

Ich war begeistert! Und wirklich erstaunt, wie flüssig und detailreich sie erzählte. Sogar in ganzen, manchmal sogar komplett richtigen Sätzen. Da ist das viele Hören der Bibi-und-Tina-Hörspiele ja doch für etwas gut.

 
Und Zuhause erwartete  Lola im Postkasten noch ein ganz besonderes Geschenk. Ihre Hausmutter aus ihrem Praktikum in der Lebensgemeinschaft in Sassen hat ihr zum Geburtstag ein Päckchen geschickt, mit vielen liebevollen Kleinigkeiten aus dem 'Dorf'.
 

Lola freute sich riesig und jubelte, entdeckte in der Dorfzeitung viele bekannte Gesichter, über die sie mir gleich erzählte. Was für eine schöne Überraschung. Und eine wunderbare Erinnerung an diese Zeit, die für sie so schön und beglückend war. Vielleicht bald ja mal wieder.  Tausend Dank dafür!

Freitag, 22. November 2024

Meine Büchersucht

Heute Schnee, auch in Leipzig. Zumindest ein paar feine Flocken, die um die Mittagszeit vor meinem Fenster langtrieben. Und ich wollte doch eigentlich mit dem Fahrrad in die Stadt fahren, um mir bei Hugendubel das gestern erwähnte Buch von Hannes Ringelstädter, "Ein Steinpilz für die Ewigkeit' zu kaufen. Und jetzt das!

Egal, nach drei Stunden am Rechner und leichten Nackenkrämpfen vielleicht eine gute Abwechslung. Frische Luft. Und die ideale Gelegenheit, endlich meine neue olivgrüne Riesendaunenjacke auszuprobieren, die ich mir in einem Anfall selber zum Geburtstag gekauft habe (ja, ich kaufe mir seit ein paar Jahren selber Geschenke, da braucht man nicht ewig hoffen, ob auch das richtige dabei ist). Beim Kauf erschien sie mir ideal, ultradick und wunderbar kuschelig gegen die Winterkälte. Aber bei den milden Temperaturen der letzten Wochen fragte ich mich, ob dieses fette Jackenmonster nicht doch ein Fehlkauf war. 

Doch für heute war sie perfekt. Und eingepackt wie ein Michelinmännchen strampelte ich auf dem Rad ins Zentrum, auch ohne Lola. Voller Vorfreude auf ein Stündchen oben im Cafe bei Hugendubel: schonmal im Buch schmökern, dabei einen heißen Kakao trinken und mir endlich ein bisschen Müßiggang gönnen. Von dem ich ständig träume, ihn allen empfehle, ihn aber nie realisiere. Heute aber!

Im Buchladen empfing mich wohlige Wärme, der süssliche Geruch von frisch gedruckten Büchern und die bekannte Rolltreppe, die leise zu den Neuerscheinungen nach oben surrte. Und dieses Gefühl von Nachhause kommen und Abenteuer zugleich, das mich immer befällt, wenn ich eine Buchhandlung betrete. Soviele Tore in andere Welten, hinter all diesen Buchdeckeln. Und ich so neugierig, welche ich diesmal öffne. Denn fast immer entdecke ich etwas Neues, Ungeplantes. 

So auch diesmal. Denn die freundliche Buchhändlerin mit dem dunklen Zopf und der nach oben geschwungenen Brille teilte mir entschuldigend mit, dass das Buch von Ringelstädter leider gerade nicht vorrätig sei, warum auch immer. Ausverkauft? Oder doch nicht so bekannt. 

Schade, dachte ich. Ich hatte es mir so schön ausgemalt, beim Kakao im Buch zu lesen. Über seine Beziehung zu seinem Vater, dessen Sterben, und auch in mein Thema nochmal einzutauchen, auf humorvolle Weise. Und stand etwas enttäuscht und unschlüssig vor ihr. Als könne sie das Buch vielleicht doch noch hervorzaubern.

Da fiel mein Blick auf die Bücher von Diogenes. Zuoberst Benedict Wells: "Die Geschichten in uns."  Wovon mir schon mehrere Leute begeistert erzählt hatten. Teils Autobiografie, Teils Schreibratgeber, in dem er über seinen persönlichen Weg zum Schreiben spricht und über das Handwerk des Erzählens allgemein - Ähnlich wie Stephen King in seinem Buch 'Das Leben und das Schreiben', das mich beim Schreiben vom Buch über Lola so inspiriert hatte. Und wohl auch ihn.

Ich mag die Bücher von Benedict Wells, seinen Ton, auch wenn sie etwas düster sind und seine Protagonisten einsam, aber vielleicht gerade deswegen. Also die perfekte Gelegenheit, es mir beim Kakao dochmal näher anzuschauen. 

Zusätzlich griff ich mir noch schnell das neue Buch von Joachim Meyerhoff: 'Man kann auch in die Höhe fallen', das am Tisch daneben lag. Und über dessen Veröffentlichung ich noch gar nichts wusste. Über seine Zeit gemeinsam mit seiner 80jährigen Mutter, bei der er ein paar Monate verbracht hat und dadurch aus einer tiefen Lebenskrise herausfand, wie ich auf dem Cover las. Auch spannend, wie alle autobiografischen Bücher von Meyerhoff, von denen ich viele schon verschlungen habe. Und wegen ihrer Komik in der Tragik so liebe.

Erleichtert, dass ich so schnell neues 'Lesefutter' für den Cafebereich gefunden hatte, stieg ich eine Treppe höher. Und fand nach drei Anläufen auch endlich einen schönen Tisch. Der erste war am Fenster, mit Blick auf die Thomaskirche, aber leider zu hoch. Am zweiten setzten sich direkt zwei junge Frauen plaudernd neben mich, und lachten mir so laut ins Gesicht, dass ich Reißaus nehmen musste. Erst am dritten Tisch fand ich endlich die angemessen Ruhe und Behaglichkeit. Und verlor mich fast augenblicklich in der Welt von Benedict Wells. 

Er hat einen Sog, dem ich kaum widerstehen kann. Eine Genauigkeit der Sprache, der Worte, die so einfach und treffend sind. Dass es umso erstaunlicher war zu lesen, wie viele 'schlechte Bücher' er zunächst geschrieben hat, gestelzt, gekünstelt, schlecht gebaut. Bis er zu dieser Sprache fand. Und wie lange er an seinem Traum vom Schreiben festgehalten hat, gegen alle Widerstände und Ratschläge, nach Hunderten von Absagen, bis er nach vier Jahren reinem Schreiben kurz davor war aufzugeben. Und dann  endlich einen Verlag fand - Diogenes!

Niemals hätte ich die Kraft, gegen so viele Absagen und Widerstände meinen Traum zu verfolgen.  Wahrscheinlich bin ich doch viel zu glücklich, gehätschelt und behütet aufgewachsen. Alles ist mir immer zugeflogen. Und was es bedeutet, wirklich für eine Sache zu kämpfen, auch gegen Widerstände, weiß ich bis heute nicht. 

Und so wurde dieser Ausflug durchs Schneetreiben in die Buchhandlung wieder zu einem Erweckunsgerlebnis, auch wenn anders als erwartet, und natürlich konnte ich den Laden nicht verlassen, ohne die beiden Bücher mitzunehmen. 

"Also das Buch von Wells, das brauchen Sie in ihrem Bücherregal. Da haben Sie ein Leben lang Freude dran", sagte die Buchhändlerin mit der hochgeschwungenen Brille, als ich ihr mein Problem kommentierte, dass ich nie ohne zwei oder drei Bücher aus dem Laden gehen kann. Was natürlich immer eine ordentliche Geldinvestition bedeutet. "Und das neue Buch von Meyerhoff habe ich geliebt. Das können Sie dann auch wunderbar - zu Weihnachten - weiter verschenken, so mach ich das immer." 

Stimmt auch wieder, dachte ich. Und verließ so auch diesmal den Laden mit zwei Büchern, und einer Bestellung vom Buch von Ringelstädter. 

Und so habe ich den heutigen Abend vertieft in die Welt von Benedict Wells verbracht, und bisher keine Sekunde bereut, das Buch gekauft zu haben. Ich sah mich selber schon innerlich Romane schreiben, vielleicht inspiriert es mich ja doch noch dazu. (Bis dahin lese ich welche.)

Und das mit meinem Plan von neulich, doch mal weniger Geld auszugeben, das verschiebe ich auf später. Oder münze es so um für mich, dass es darum geht, das Geld bewusst auszugeben. Im Idealfall für Gutes, was mir meine Welt öffnet und mich wachsen lässt. Oder mich wärmt - wie meine dicke warme Daunenjacke, ohne die ich diese Reise in die Welt der Bücher heute erst gar nicht angetreten hätte. 

So, und jetzt muss ich weiter lesen.

Donnerstag, 21. November 2024

Resilienz - Können wir sie lernen?

Wie kann man es schaffen, auch angesichts von Krisen den Kopf oben zu behalten? Psychisch gesund zu bleiben? Nicht zu verzweifeln und dran zu zerbrechen - sondern vielleicht sogar gestärkt daraus hervorzugehen. 

Darum geht es in der Doku 'Die innere Kraft - Können wir Resilienz lernen', die vor 4 Jahren im MRD ausgestrahlt wurde, und bei der ich - bzw. wir als Familie - mitmachen durften. Hah, weil wir wohl so krisenerprobt sind, und uns trotz vieler Hürden im Leben bisher so wacker geschlagen haben. 

Nun ja, konkret kamen wir dazu, da Stephan Liskowsky und Dinah Münchow, zwei Freunde aus Leipzig, diese Dokumentation gemacht haben, in der es um den Umgang mit Schicksalsschlägen geht, darunter den Tod von nahen Angehörigen. Und sie noch jemanden suchten, der bereit war, sich vor die Kamera zu stellen und dort über seine persönlichen Bewältigungsstrategien zu erzählen. 

Und da sie vor Jahren schon einmal eine Doku über uns mit Lola gemacht haben ('Eine Welt ohne Behinderung'), und uns darüber gut kannten, fragten sie nochmal an. 

Konkret fragte mich Stephan im Sommer 2020, ob ich mir eventuell vorstellen könnte, über den Tod meines Vaters vor der Kamera etwas zu sagen. Denn ich hatte ihm schon viel davon erzählt, wie schwer es für mich war, und auch, dass ich seit einiger Zeit ein Buch darüber schrieb. Also wäre das sicher auch eine gute 'Promotion' für mein Buch, wenn es denn dann rauskäme. So seine Überlegung.

Ich erbat mir Bedenkzeit. Denn es bedeutete, erstmals öffentlich über den Suizid meines Vaters zu sprechen. Denn obwohl ich seit Jahren darüber schrieb, hatte ich es bisher nicht geschafft, dieses Buchprojekt in eine veröffentlichbare Form zu bringen. Hatte noch nicht einmal mit meinen Kindern offen über seinen Tod gesprochen. Hatte mich zwar persönlich seit Jahren intensiv damit auseinandergesetzt, aber nichts dazu öffentlich gemacht. Weder in meinem Blog noch als noch so kleine Publikation. Und jetzt - offen im Fernsehen, vor aller Augen? 

Aus irgendeinem Grund sagte ich ja. Schließlich wollte ich ja drüber sprechen. Endlich über das totgschwiegene Thema woanders als in Therapiegruppen oder mit guten Freunden sprechen, oder nur immer weiter darüber zu schreiben, für mich alleine im stillen Kämmerlein. Seit Jahren wuchsen die Manuskriptseiten, doch es wurde nicht fertig. Und besser fühlte ich mich immer noch nicht. Also, warum nicht diesen Sprung ins Licht der Öffentlichkeit als Gelegenheit nehmen, aus dem Dunkel ans Licht zu treten damit?

Und so sprach ich endlich offen mit meinen Kindern, erzählte davon, wie ihr Opa gestorben ist. Etwas, vor dem ich jahrelang solche Angst gehabt hatte. Und sie schauten, fragten, und nickten. Verstehen konnten sie es noch nicht, aber sie wussten es jetzt. Endlich. Und eine Riesenlast war von mir genommen. Das Tabu, das große dunkle Geheimnis hatte seine Macht verloren. 

Und dann kamen Stephan und Dinah irgendwann zum Dreh zu uns, interviewten mich, filmten uns, und so wurden wir Teil einer sehr berührenden Doku. Die ich vorhin in Teilen nochmal geschaut habe, und selber ganz berührt war von meinen Worten. Darüber, wie ich auch mit Lolas Besonderheit habe leben lernen. Und wie das Erzählen von Geschichten dazu beitragen kann, ein schweres Ereignis gut ins das eigene Leben zu integrieren. Indem ich mir eine Geschichte erzähle, die mir Kraft gibt, die dem Ereignis einen Sinn gibt. In der ich mich nicht als Opfer der Umstände wahrnehme, sondern daran wachsen kann, etwas über das Leben erkenne, das mir Kraft verleiht. 

Staunend lauschte ich meinen eigenen Worten. Manchmal muss man sich wohl selber daran erinnern... 

Aber was den Tod meines Vaters angeht, musste ich an einigen Stellen der Dokumentation doch den Kopf schütteln. Da war doch einiges nicht ganz korrekt. 

Mein Vater war nämlich noch nicht in Rente, als er starb. Er haderte also nicht mit der Rente, sondern vielmehr mit seinen nachlassenden beruflichen Fähigkeiten, die ihm die Kraft raubten, weiter zu arbeiten.

Und erstaunt hörte ich mich in der Doku sagen, dass ich wütend auf ihn sei, dass er uns einfach verlassen hat, sich 'vom Acker gemacht hat'. Während wir weiter machen mussten. Und die Sprecherin fügt hinzu, dass ich ihm immer noch nicht verziehen habe. 

Ja, sicher war ich auch wütend auf ihn. Und kam mir zutiefst verlassen vor. Sicher hat sein Tod mir zum ersten Mal vor Augen geführt, dass der Weg nicht immer nur nach vorne geht und nicht immer alles gut ausgeht, sondern man auch einfach aufgeben kann. Was mein Grundvertrauen oder meinen Optimusmus als Lebensmaxime erschüttert hat. 

Aber ich habe immer auch seine Not gesehen. Seine Einsamkeit. Seine gefährliche Fixierung auf Arbeit und Leistung als Lebenssinn. Und viele Zufälle, die zu seiner einsamen Entscheidung, auch aus Verzweiflung geführt haben. Und natürlich habe ich ihm verziehen. Sonst könnte ich ja gar nicht damit leben.... 

Hat sich meine Haltung in den letzten Jahren doch noch so geändert? 

Ich weiß es nicht. Vielleicht muss bei so einer Doku die Story auch irgendwie stimmen, auch wenn sie mit meiner subjektiven Wahrheit, die sich stetig verändert, nicht zwangsläufig übereinstimmen muss. Aber dennoch wollte ich das hier nochmal festgehalten haben. Denn ich will nicht in die Film-Annalen eingehen als die Frau, die ihrem Vater seinen Suizid nie verziehen hat.

Denn ich glaube wirklich, dass im Verzeihen und Vergeben ein großes Heilungspotential liegt. Und somit eine Grundlage für Resilienz. 

Weiterhin erzähle ich noch im Film, dass ich einen Roman darüber schreiben will. Und ja, damals stimmte das. Nachdem ich mit meinem autobiografischen Buch nicht zu einer für mich stimmigen Fassung fand, begann ich tatsächlich, einen Roman darüber zu schreiben. Wo ich meine Geschichte nochmal in der 3. Person erzählte, um eine gewisse Distanz zum Geschehen und Erleben zu haben. 

Doch daran bin ich genauso kläglich gescheitert bzw. musste irgendwann feststellen, dass mich das Schreiben darüber ständig re-traumatisierte, statt mich zu heilen. Ich steckte in einem Narrativ fest, das mir nicht half zu leben, gesund zu leben. Sondern mich krank machte.

Und so habe ich meinen Buchplan vor knapp zwei Jahren endgültig begraben. Das erste Schreiben über seinen Tod und meine Beziehung zu ihm war zwar unendlich wichtig für mich gewesen, wirklich therapeutisch. Aber der jahrelange Versuch, es immer wieder neu und besser zu schreiben und zu veröffentlichen, hat mich krank gemacht. 

Und so tat ich, 'was dem Leben dient' (wie mir meine damalige Supervisorin riet), und hörte auf mich täglich mit dem Tod meines Vaters zu beschäftigen. Und seitdem geht es mir um soooo viel besser, als in all den Jahren meines verzweifelten Schreibversuchs. Die mich ihm zwar nah bleiben liessen, aber mit in den 'Tod' zogen (gefühlsmäßig). 

Ja, Schreiben muss also nicht immer heilsam sein, wie ich jetzt weiß. 

Und dennoch ist da noch diese offene Frage in mir. Wie ich seinen Tod doch noch in eine Geschichte verwandeln kann, mit der ich gut leben kann, und durch die ich sogar habe wachsen können. Und die ich irgendwann auch aufschreiben kann. Nun, ich muss wohl noch darüber nachdenken. Aber nicht heute. Und morgen vielleicht auch nicht. 

Jetzte bestell ich mir gleich erstmal das Buch von Hannes Ringelstetter, 'Ein Steinpilz für die Ewigkeit', über das ich eine so hervorragende Rezension bei MDR-Kultur gehört habe. Ein Buch, in dem er - auch mit Humor - über das Sterben und den Tod seines Vaters schreibt. Und das braucht es, glaub ich, auch für dieses Thema - das Gegengewicht des Lachens und des Lichts. Was mir bisher schreibend nicht gelungen ist. Aber gut... ich hab ja noch ein paar Jährchen.

Mittwoch, 20. November 2024

Lolas eigener Musikaccount

Seit Jahren nutzt Lola meinen Musikstreaming-Account. Jeden Tag. Hat Dutzende von Playlists und Lieblingssongs. Das schöne daran: sie kennt sich richtig gut aus mit Musik.

Das Dumme daran: ich bekomme seit Jahren nur noch Vincent Weiss, Lena oder 'Bibi und Tina'-Hörspiele vorgeschlagen, wenn ICH mal Musik hören will. 

Egal wann - beim Kochen, Chillen und auf irgendeiner Party, stehe ich hilflos da, wenn es um die Musikauswahl geht. Zumindest von Musik, die MEINEN Musikgeschmack treffen würde. 

Und - zumindest früher - habe ich SEHR gerne Musik gehört. Aber NICHT Vincent Weiss. 

Die KI erkennt einfach nicht, dass ich seit Jahren meinen Account mit meiner Tochter teile. 

Während Lola seit Jahren jede Party mit ihrer Musik rockt (wenn die Gäste das zulassen). Und dabei wirklich für Stimmung sorgt! (Je nach Altersgruppe und Musikgeschmack). 

Aber nun, heute, am 20. November 2024 habe ich es endlich geschafft, und Lola ihren eigenen Musikaccount eingerichtet. Yeah!!! 

In knapp einer Stunde hab ich ihre gesammelten Playlisten (Nr. 1- 50) und ihre Lieblingssongs ihrem EIGENEN Account hinzugefügt. Einfach ein paar Mausklicks. Kein Hexenwerk. Auch für mich schaffbar. 

Und das, nachdem ich mich seit Jahren vor diesem Schritt so gefürchtet habe. Weil ich befürchtete, dass es furchtbar kompliziert ist. Für mich als 'digital dummy'. 

Doch unglaublich! Ich hab es geschafft.

Eine Stunde Konzentration -  und nun kann ich endlich wieder MEINE Musik hören. UNd bekomme in ein paar Tagen oder Wochen hoffentlich endlich Musikvorschläge, die MEINEM Musikgeschmack entsprechen. 

Mal schauen, wie lange die KI braucht, um zu erkennen, dass ich mich nicht mehr in der musikalischen Symbiose mit meiner Tochter befinde.

Vielleicht lösch ich auch einfach meinen Account und eröffne einen neuen. Und fang nochmal ganz von vorne an!