Wie kann man es schaffen, auch angesichts von Krisen den Kopf oben zu behalten? Psychisch gesund zu bleiben? Nicht zu verzweifeln und dran zu zerbrechen - sondern vielleicht sogar gestärkt daraus hervorzugehen.
Darum geht es in der Doku 'Die innere Kraft - Können wir Resilienz lernen', die vor 4 Jahren im MRD ausgestrahlt wurde, und bei der ich - bzw. wir als Familie - mitmachen durften. Hah, weil wir wohl so krisenerprobt sind, und uns trotz vieler Hürden im Leben bisher so wacker geschlagen haben.
Nun ja, konkret kamen wir dazu, da Stephan Liskowsky und Dinah Münchow, zwei Freunde aus Leipzig, diese Dokumentation gemacht haben, in der es um den Umgang mit Schicksalsschlägen geht, darunter den Tod von nahen Angehörigen. Und sie noch jemanden suchten, der bereit war, sich vor die Kamera zu stellen und dort über seine persönlichen Bewältigungsstrategien zu erzählen.
Und da sie vor Jahren schon einmal eine Doku über uns mit Lola gemacht haben ('Eine Welt ohne Behinderung'), und uns darüber gut kannten, fragten sie nochmal an.
Konkret fragte mich Stephan im Sommer 2020, ob ich mir eventuell vorstellen könnte, über den Tod meines Vaters vor der Kamera etwas zu sagen. Denn ich hatte ihm schon viel davon erzählt, wie schwer es für mich war, und auch, dass ich seit einiger Zeit ein Buch darüber schrieb. Also wäre das sicher auch eine gute 'Promotion' für mein Buch, wenn es denn dann rauskäme. So seine Überlegung.
Ich erbat mir Bedenkzeit. Denn es bedeutete, erstmals öffentlich über den Suizid meines Vaters zu sprechen. Denn obwohl ich seit Jahren darüber schrieb, hatte ich es bisher nicht geschafft, dieses Buchprojekt in eine veröffentlichbare Form zu bringen. Hatte noch nicht einmal mit meinen Kindern offen über seinen Tod gesprochen. Hatte mich zwar persönlich seit Jahren intensiv damit auseinandergesetzt, aber nichts dazu öffentlich gemacht. Weder in meinem Blog noch als noch so kleine Publikation. Und jetzt - offen im Fernsehen, vor aller Augen?
Aus irgendeinem Grund sagte ich ja. Schließlich wollte ich ja drüber sprechen. Endlich über das totgschwiegene Thema woanders als in Therapiegruppen oder mit guten Freunden sprechen, oder nur immer weiter darüber zu schreiben, für mich alleine im stillen Kämmerlein. Seit Jahren wuchsen die Manuskriptseiten, doch es wurde nicht fertig. Und besser fühlte ich mich immer noch nicht. Also, warum nicht diesen Sprung ins Licht der Öffentlichkeit als Gelegenheit nehmen, aus dem Dunkel ans Licht zu treten damit?
Und so sprach ich endlich offen mit meinen Kindern, erzählte davon, wie ihr Opa gestorben ist. Etwas, vor dem ich jahrelang solche Angst gehabt hatte. Und sie schauten, fragten, und nickten. Verstehen konnten sie es noch nicht, aber sie wussten es jetzt. Endlich. Und eine Riesenlast war von mir genommen. Das Tabu, das große dunkle Geheimnis hatte seine Macht verloren.
Und dann kamen Stephan und Dinah irgendwann zum Dreh zu uns, interviewten mich, filmten uns, und so wurden wir Teil einer sehr berührenden Doku. Die ich vorhin in Teilen nochmal geschaut habe, und selber ganz berührt war von meinen Worten. Darüber, wie ich auch mit Lolas Besonderheit habe leben lernen. Und wie das Erzählen von Geschichten dazu beitragen kann, ein schweres Ereignis gut ins das eigene Leben zu integrieren. Indem ich mir eine Geschichte erzähle, die mir Kraft gibt, die dem Ereignis einen Sinn gibt. In der ich mich nicht als Opfer der Umstände wahrnehme, sondern daran wachsen kann, etwas über das Leben erkenne, das mir Kraft verleiht.
Staunend lauschte ich meinen eigenen Worten. Manchmal muss man sich wohl selber daran erinnern...
Aber was den Tod meines Vaters angeht, musste ich an einigen Stellen der Dokumentation doch den Kopf schütteln. Da war doch einiges nicht ganz korrekt.
Mein Vater war nämlich noch nicht in Rente, als er starb. Er haderte also nicht mit der Rente, sondern vielmehr mit seinen nachlassenden beruflichen Fähigkeiten, die ihm die Kraft raubten, weiter zu arbeiten.
Und erstaunt hörte ich mich in der Doku sagen, dass ich wütend auf ihn sei, dass er uns einfach verlassen hat, sich 'vom Acker gemacht hat'. Während wir weiter machen mussten. Und die Sprecherin fügt hinzu, dass ich ihm immer noch nicht verziehen habe.
Ja, sicher war ich auch wütend auf ihn. Und kam mir zutiefst verlassen vor. Sicher hat sein Tod mir zum ersten Mal vor Augen geführt, dass der Weg nicht immer nur nach vorne geht und nicht immer alles gut ausgeht, sondern man auch einfach aufgeben kann. Was mein Grundvertrauen oder meinen Optimusmus als Lebensmaxime erschüttert hat.
Aber ich habe immer auch seine Not gesehen. Seine Einsamkeit. Seine gefährliche Fixierung auf Arbeit und Leistung als Lebenssinn. Und viele Zufälle, die zu seiner einsamen Entscheidung, auch aus Verzweiflung geführt haben. Und natürlich habe ich ihm verziehen. Sonst könnte ich ja gar nicht damit leben....
Hat sich meine Haltung in den letzten Jahren doch noch so geändert?
Ich weiß es nicht. Vielleicht muss bei so einer Doku die Story auch irgendwie stimmen, auch wenn sie mit meiner subjektiven Wahrheit, die sich stetig verändert, nicht zwangsläufig übereinstimmen muss. Aber dennoch wollte ich das hier nochmal festgehalten haben. Denn ich will nicht in die Film-Annalen eingehen als die Frau, die ihrem Vater seinen Suizid nie verziehen hat.
Denn ich glaube wirklich, dass im Verzeihen und Vergeben ein großes Heilungspotential liegt. Und somit eine Grundlage für Resilienz.
Weiterhin erzähle ich noch im Film, dass ich einen Roman darüber schreiben will. Und ja, damals stimmte das. Nachdem ich mit meinem autobiografischen Buch nicht zu einer für mich stimmigen Fassung fand, begann ich tatsächlich, einen Roman darüber zu schreiben. Wo ich meine Geschichte nochmal in der 3. Person erzählte, um eine gewisse Distanz zum Geschehen und Erleben zu haben.
Doch daran bin ich genauso kläglich gescheitert bzw. musste irgendwann feststellen, dass mich das Schreiben darüber ständig re-traumatisierte, statt mich zu heilen. Ich steckte in einem Narrativ fest, das mir nicht half zu leben, gesund zu leben. Sondern mich krank machte.
Und so habe ich meinen Buchplan vor knapp zwei Jahren endgültig begraben. Das erste Schreiben über seinen Tod und meine Beziehung zu ihm war zwar unendlich wichtig für mich gewesen, wirklich therapeutisch. Aber der jahrelange Versuch, es immer wieder neu und besser zu schreiben und zu veröffentlichen, hat mich krank gemacht.
Und so tat ich, 'was dem Leben dient' (wie mir meine damalige Supervisorin riet), und hörte auf mich täglich mit dem Tod meines Vaters zu beschäftigen. Und seitdem geht es mir um soooo viel besser, als in all den Jahren meines verzweifelten Schreibversuchs. Die mich ihm zwar nah bleiben liessen, aber mit in den 'Tod' zogen (gefühlsmäßig).
Ja, Schreiben muss also nicht immer heilsam sein, wie ich jetzt weiß.
Und dennoch ist da noch diese offene Frage in mir. Wie ich seinen Tod doch noch in eine Geschichte verwandeln kann, mit der ich gut leben kann, und durch die ich sogar habe wachsen können. Und die ich irgendwann auch aufschreiben kann. Nun, ich muss wohl noch darüber nachdenken. Aber nicht heute. Und morgen vielleicht auch nicht.
Jetzte bestell ich mir gleich erstmal das Buch von Hannes Ringelstetter, 'Ein Steinpilz für die Ewigkeit', über das ich eine so hervorragende Rezension bei MDR-Kultur gehört habe. Ein Buch, in dem er - auch mit Humor - über das Sterben und den Tod seines Vaters schreibt. Und das braucht es, glaub ich, auch für dieses Thema - das Gegengewicht des Lachens und des Lichts. Was mir bisher schreibend nicht gelungen ist. Aber gut... ich hab ja noch ein paar Jährchen.