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Sonntag, 3. November 2024

Abendsonne am Cossi

Heute Nachmittag habe ich mit Lola noch eine kleine Radtour um den Cospudener See gemacht. Obwohl wir um halb vier losfuhren, wurde es schon 'Abend'... (An die frühe Dunkelheit muss ich mich echt noch gewöhnen.)

Lola wollte unbedingt nochmal mit dem Fahrrad an den See. 'Sport machen'. Und abgesehen davon dass sie zu Beginn permanent jammerte, dass ihr kalt ist, ihre Füße schmerzen, ihr Hintern friert und sie durch die Brille nichts sehen kann, war es einfach nur wunderschön! 

Nach einer 20 minütigen Fahrt durch den schon dunklen Auwald öffnete sich endlich der Cossi vor uns, lag glänzend im Abendlicht, die Silhouetten der Bäume und Spaziergänger standen gegen den abendblauen Himmel. Überall das Laub der Bäume in Flammen. Lola juchzte auf: "Mama schau nur, wie schön!"


Als wir die Bistumshöhe erreichten, ging die Sonne schon unter und tauchte den See in rosafarbenes Licht. Wie ein Schleier, der sich über das Wasser, die Bäume, die Binsen legte. Magisch. Ich hätte schreien wollen vor Freude - und tat es auch! 

Bei der Rückweg durch das Elsterhochflutbett zogen weiße Nebel über die Gräser der Niederungen. Bilder so schön, dass sie sich kein Maler ausdenken könnte. 

Mit eiskalten Füßen und Wangen, aber nass geschwitztem Körper kehrten wir bei Dunkelheit wieder heim. Überglücklich an solch einem schönen Ort zu leben.  

Freitag, 1. November 2024

'Meine Lieblingsdorf'

Lola hatte heute in der Schule eine kleine Präsentation, in der sie gemeinsam mit den anderen Schüler-/innen ihrer Klasse über ihr Sozialpraktikum berichten sollte. Vor ihrer eigenen 11. Klasse, der 10. Klasse und interessierten Eltern und Lehrern der Schule. 

Für sie ist es immer sehr aufregend, vor  vielen Menschen zu sprechen. Selbst in ihrer eigenen Klasse ist sie im normalen Unterricht manchmal so schüchtern, dass sie sich nicht laut zu sprechen oder vorzulesen traut.

Gestern Nachmittag  hatte sie zu Hause extra für den Vortrag ein Poster zusammengestellt, mit Fotos und kurzen Texten über ihre dreiwöchige Zeit in der Lebensgemeinschaft in Sassen. Voller Eifer hatte sie es sogar noch 'gestaltet', wie sie sagte, mit unzähligen bunten Blumen und Herzchen. Ausdruck der Freude, die sie beim Praktikum hatte.


Schon beim Frühstück machte sie sich aber Sorgen über den heutigen Vortrag. Zum Glück konnte ich sie beruhigen, dass sie nicht alleine vorne stehen und sprechen müsste, sondern eine Vertrauenslehrerin sie fragen würde. Sie müsste nur antworten. Das beruhigte sie zunächst.

Als ich um 13 Uhr jedoch in die Schule kam, und den Theatersaal betrat, gut angefüllt mit Leuten, saß sie  eingekrümelt auf ihrem Stuhl in der ersten Reihe, eingehüllt in ihren Mantel, einen dicken Pulli, Mütze über dem Kopf, den Blick weg gerichtet von der Bühne. Als wolle sie verschwinden. Oh je, dachte ich für mich. Ob das was wird?

Doch nachdem sie sich vom Mantel und Pulli befreit hatte, und in ihrem schicken roten 'Auftrittskleid' da saß, dass sie extra zur Feier des Tages angezogen hatte, ging tatsächlich eine kleine Verwandlung vor sich. Und obwohl sie zuerst ganz in sich versunken war, als die Lehrerin ihr ankündigte, sie solle als erste präsentieren, entspannte sie sich schon während der weiterten Eröffnungsworte zusehends, richtete sich auf, Schultern gerade, Blick nach vorne. 

Und als die Lehrerin sie schließlich aufrief, als ALLERERSTE vor dem vollen Saal zu sprechen, sprang sie auf, stellt sich mutig neben ihr Plakat und beantwortete laut und deutlich, sichtlich selbstbewusst alle Fragen. 

Erzählte von dem schönen 'Rafaelhaus', wo sie gewohnt hatte und fünf Freunde gefunden hat. Deren Namen sie alle einzeln nannte. Erzählte von den Werkstätten im Dorf und vom Weben in der Textilwerkstatt, was ihr Spass gemacht hatte. Erzählte von ihrer Freizeit und dass sie mir zum Geburstag per Videokonferenz ein Lied auf der Geige vorgespielt hatte, begleitet vom 'Hausvater'. Und strahlte.  

Und wie sie das so gemeistert hat, ganz alleine für drei Wochen, fragte die Lehrerin noch. "Super", sagte sie lachend. "Ich mutig!" Und der Saal lachte, so herzerfrischend und selbstbewusst war ihre Antwort. 

"Und, kannst Du das Dorf empfehlen", fragte diie Lehrerin. "Und könntest Dir vorstellen, dort nochmal hinzugehen?" - "Ja", sagte sie strahlend. "Meine Liebelinsgdorf!" Und alle klatschten und stolz - aber auch erleichtert - ging sie zurück zu ihrem Platz. 

Wie ich mich wieder freue, dass sie auch diesen Schritt geschafft hat.

Es war aber auch ein wunderschönes Praktikum in der 'Lebensgemeinschaft'. So liebevolle Hauseltern, die sie genommen haben, wie sie war, mit ihrer Energie und ihrem Eigensinn, ihrer 'Power' und ihrem gelegentlichen Rückzug. Und engagierte Gruppenleiter-/innen in der Weberei, die ihr geduldig die Handgriffe am Webstuhl und das Arbeiten mit der Wolle und dem Schiffchen nahe gebracht haben, und - trotz ihrer häufigen Müdigkeit -  sie immer wieder gut motivieren konnten. 

Es war auch eine wertvolle Erfahrung für sie, mal mit vielen anderen Menschen mit 'Behinderung' zusammen zu leben, auf Augenhöhe - und nicht immer die 'Exotin' in ihrer inklusiven Schule zu sein, wo sie lange das einzige Kind mit Förderbedarf in ihrer Klasse war.  Sie ist sichtlich gewachsen in dieser Zeit. Und hat ohne jedes Heimweh diese drei Wochen alleine gestemmt. Große Lola! 

Montag, 23. September 2024

Lola - drei Wochen alleine!

 

 Unglaublich, aber wahr! Lola wohnt seit letztem Montag ganz alleine in der "Lebensgemeinschaft Sassen", im schönen Hessen, und arbeitet dort in der Textilwerkstatt, einer der dortigen Werkstätten. 

Nein, nicht für immer. Aber für drei Wochen, im Rahmen eines Sozialpraktikums, das alle SchülerInnen ihrer Waldorf-Schule in der 11. Klasse machen müssen. 

Und während ihre MitschülerInnen in sozialen Einrichtungen der Behindertenhilfe oder Altenpflege arbeiten, um Menschen mit Hilfebedarf zu betreuen, darf auch sie drei Wochen in einer Einrichtung verbringen, nur 'auf der anderen Seite'. Nämlich als eine der Bewohnerinnen bzw. der dort Arbeitenden. Das heisst, für sie ist es eine Art Wohn- und Arbeitspraktikum. In dem sie drei Wochen, ohne Familie und Freunde, in einer ihr gänzlich unbekannten Lebensgemeinschaft leben darf. Um auszuprobieren, wie das so läuft, arbeiten und leben, ganz ohne ihre Familie. 

Dorfplatz

Als ich sie letzte Woche hinbrachte, zum 'Dorf' Sassen, wo ca. 100 Menschen mit Behinderung gemeinsam in einer dorfähnlichen Gemeinschaft wohnen, in ca. 10 Häusern, die von festen Hauseltern betreut werden, die dort selber mit ihren Familien leben, war ich selber furchtbar aufgeregt. Ob sie das packen würde, so lange von zu Hause fort, in einem ihr neuen und unbekannten Umfeld. Alleine schlafen, aufstehen, arbeiten? Jeden Tag, von 8 bis 12 und nach einer Mittagspause nochmal von 13.30 bis 17 Uhr? Ich glaubte daran, fest, aber als ich mit ihr im Auto auf dem Weg dorthin war, war mir doch bang ums Herz. 

Der Weg zu ihrem Haus im Dorf

 Doch sie versicherte mir, 'Mama, ich schaff das'. Und 'komme ja wieder!", lachte, winkte noch einmal und marschierte mit einem Stapel mitgebrachter Spiele zu den anderen Bewohnern ihres Hauses, in dem sie aufgenommen wurde, liebevoll begleitet von ihrer neuen 'Haus'-Mutter auf Zeit. Und ich fuhr ab, doch auch mit schwerem Herzen. Ja, loslassen ist schwerer als ich dachte, vor allem mich als Mutter. 

Der Dorfteich
 

Wie mir ihre Hausmutter einen Tag später mitteilte, war sie aber super im Haus angekommen, 'ganz fein und lieb, aber doch auch mit Power'. Und es sei toll mit ihr. Und bis auf einige Dispute beim Zähneputzen und Duschen (was sie leider auch zu Hause nur ungerne macht), sei es super mit ihr. 

Sie gehe jeden Tag ganz selbständig morgens, mittags und nachmittags zur Weberei im Dorf, und komme ganz zufrieden zurück. Und würde dort Kissen weben, aus dicker Wolle, am Handwebstuhl. Was sie schon in ihrer Schule gelernt hat. Füge sich durch ihre offene und liebevolle Art ganz schön auch in die Gemeinschaft der anderen Bewohner im Haus ein, und sei überhaupt ganz selbständig und 'flexibel'. 

Wie ich mich freue, dass es so wunderbar klappt. Und sie mal endlich positiv auffallen kann, durch ihre Art, während sie in ihrer inklusiven Schule so oft aneckt durch ihre Schrullen, ihren Eigensinn und ihre Schwierigkeit, mit Übergängen umzugehen. Nein, dort, wo die Tage ganz und gar durchstrukturiert sind, immergleich ablaufen, weil dort so viele Menschen leben, die feste Abläufe brauchen, hat auch sie endlich mal einen Ort, wo sie sich schnell orientieren kann - und ihre viele Stärken und Fähigekeiten zeigen kann. Und Handarbeiten und Weben ist ja auch eines ihrer Lieblingsfächer in der Schule. 

Das nahe gelegene Schlitz

Ach, ich freue mich so für sie. Dass sie das so selbständig meistert. Und vor allem, dass so dort die tolle Gelegenheit bekommen hat, ein Praktikum zu machen. Ihrer engagierten Hausmutter sei Dank! 

Heute nachmittag ist sie allerdings im Dorf nochmal umgezogen, in ein anderes Haus, wo noch mehr jüngere Leute leben. Da die Bewohner des ersten Hauses doch schon älter und etwas zurückgezogener waren, und Lola mit ihrer quirligen, lebendigen Art da doch etwas auf einsamem Posten war. Nun bin ich gespannt, wie es ihr im neuen Haus mit mehr Trubel gefällt, unter Ihresgleichen, aber mit einer neuen Hausmutter, die sie noch nicht kennt. Hoffentlich zeigt sie sich auch da 'flexibel', aber so hörte ich eben, sei der Umzug wohl sehr gut gelaufen... 

Im Dorf hergestellte Keramik

 Kleine, große Lola! Lange dauert es nicht mehr, dann wird sie vielleicht wirklich ausziehen. Noch kann ich es mir nicht vorstellen. Aber schön zu wissen, dass es möglich ist!

Sonntag, 26. Mai 2024

Suzuki-Geigenworkshop in Weimar

Am Wochenende habe ich Lola bei einem Suzuki-Geigenworkshop nach Weimar begleitet. Wo sie zusammen mit knapp 50 anderen Kindern ein Wochenende lang Geigen-Workshops besucht hat, um ein Abschlusskonzert für den heutigen Sonntag vorzubereiten. Und sie war einfach unglaublich!

Sie hat bei ALLEN Workshops hochkonzentriert mitgemacht, in einer Gruppe ihr größtenteils neuer Kinder, mit fremden Lehrern. Die Stücke kannte sie natürlich, teilweise seit Jahren. Aber vieles war vollkommen neu für sie. Doch sie war hochengagiert. Von Anfang bis Ende!

Niemals hätte ich das zu hoffen gewagt. Braucht sie doch in der Schule immer sehr viel Begleitung, Motivation und vertraute Kontexte, um mitzumachen. Und dann auch nur mit häufigen Phasen von Müdigkeit, Durchhängen, Rumliegen, ... 

Und am Freitag, dem ersten Workshoptag, kam sie gerade vom Landwirtschafts-Praktikum, wo sie die Woche über auf einem Bauernhof in Leipzig gearbeitet hatte: Tiere gefüttert, Kohlrabi geputzt und Gräben geschaufelt. War müde und fertig mit der Welt. 

Doch kaum waren wir in Weimar, war sie wie verwandelt. Lauschte der Musik, packte ihre Geige, und stand drei Tage lang bei allen Workshops wie eine Eins. Geigte konzentriert und wirklich gut mit, selbst in den Pausen wollte sie nicht sitzen.

 

Sie war unglaublich stolz, endlich bei den 'Großen' mitgeigen zu dürfen. Denn mittlerweile spielt sie schon das 1. und 3. Menuett von Bach, und konnte bei einem Großteil der Stücke mitspielen - so fleissig und ehrgeizig, wie ich es nie vermutete hätte. Flog sie mal raus, liess sie sich nie entmutigen, versuchte einfach ihr Bestes. Und blieb dabei, mit immer gleicher Freude und Konzentration. Selbst nach zwei Stunden Generalprobe und zwei Stunden Konzert stand sie hinter ihrem Notenständer und spielte. 


Dass sie Freude hat am Workshop, hätte ich gedacht, aber dass sie so selbstdizipliniert und straight mitmacht, ohne jeden Hänger, hätte ich im Traum nicht geglaubt. Es war unglaublich für mich zu sehen, was sie kann, wenn SIE will. Und ja, Geigen macht ihr einfach Spass! Und sie will es. 

Und das liegt sicher auch an der Suzuki-Methode, die mit einem festen Repertoire arbeitet, das alle Kinder über die Jahre erlernen. Wo sie in Gruppen spielen, und viel von den anderen Schülern nachahmen können. Und ihren Fähigkeiten entsprechend in Gruppen eingeteilt sind - und nicht nach Alter. So dass Lola immer das Gefühl hat, kompetent und gut zu sein in ihrer Gruppe.

Sicher ist ihre Freude und ihre Erfolg auch ihrer tollen Lehrerin Iokine zu verdanken, die an sie glaubte vom ersten Tag an. Sie behandelt wie jedes andere Kind. Und die einfach aus allen Kindern das Beste herauslockt, mit einer einzigartigen Mischung aus Wärme und Klarheit, Ernsthaftigkeit und Humor. Solche Lehrer müsste es viel öfter geben. Die die Fähigkeiten der Kinder sehen, und viel von ihnen verlangen, aber immer mit einem Lachen und der nötigen Prise Humor.

 

Lolas Erfolge beim Geigen zeigen, was alles möglich ist, wenn man einfach dran bleibt - und in kleinen Schritten stetig in dieselbe Richtung geht. 

Drei Jahre lang hat Lola 'Mi und La-Saiten Liedchen' gespielt. Zwei weitere Jahre gebraucht, bis sie 'Leuchte leuchte kleiner Stern' spielte (was die Kinder sonst spätestens nach einem halben Jahr können). Weitere zwei Jahre brauchte sie, bis sie Fuchs und Alle Vöglein spielen konnte. 

Aber 2021 hatte sie einen echten 'Durchbruch', seit sie selber alleine zu Hause zu üben begann (in der Corona-Zeit, vor lauter Langweile!). Und spielte nun laufend neue Stücke. Bis sie letztes Jahr eben mit den Menuetten von Bach begann, die sie jetzt gemeinsam mit allen im Konzert spielen konnte. In einem Wahnsinnstempo.

Ja, ich freue mich wirklich, dass sie beim Geigen solche Erfolgserlebnisse haben kann, die ihr in so vielen Lebensbereichen, auch im schulischen Bereich, oft verwehrt bleiben. Weil die Anforderungen zu hoch sind, Lehrer und Pädagogen ihr Dinge nicht zutrauen oder zu früh das Handtuch werfen. Gerade wenn es am Anfang so lange dauert, bis sie etwas erlernt hat. 

Beim Geigen ist sie zum Glück dran geblieben und hatte tolle Lehrer, die an sie glauben. Ihnen allen mein tiefster Dank!!!

Und ja, hier noch ein Link zum letzten Geigenworkshop in Weimar 2015, wo Lola als 7-jährige schon einmal dabei war, in der Pre-twinklegruppe bei Gino! Wie lange ist das her...

Mittwoch, 28. Juni 2023

Sommerfest auf der Johannishöhe

Und am letzten Wochenende waren wir auf dem Sommerfest der 'Johannishöhe', einem inklusiven Nachbarschaftsgarten, gegründet von Zukunftswerkstatt für Inklusion. Das vom inklusiven Ensemble der Karl-Schubert-Schule mit schönen Geigen-, Flöten- und Veh-Harfen-Klängen eröffnet wurde.


Leider hatte Lola beim Ensemble nicht mitspielen wollen, obwohl sie es mit ihrer Geige sicher sehr bereichert hätte. Hoffentlich dann beim nächsten Auftritt im September... 


 

Mitgemacht hatte Lola allerdings bei einem Kunstprojekt gemeinsam mit Studierenden der HGB (Hochschule für Grafik und BUchkunst) der Uni Leipzig, bei dem sie in den vergangenen Wochen immer Mittwochs auf der Johannishöhe mit der Werkstufen-Klasse Wimpel für den Garten gebastelt und gedruckt hatten.


Die wir im Garten bewundern durften.... Bei herrlichem Sonnenschein.


Nach einer Schicht an der Getränkebar, wo Lola eine Stunde lang wie eine Wilde ganz begeistert Fruchtcocktails mixte und sich wirklich als super 'Barista' erwies, war sie ganz tiefenentspannt. Und malte und bedruckte gleich noch einen Wimpel.


Wobei ihr Greta und ihr Papa Ricardo, der gerade aus Italien für eine Woche zu Besuch war, neugierig zuschauten. Lola. malend, ganz in ihrem Element.


 
Jetzt flattert der Wimpel fröhlich in der Sonne auf der Johannsihöhe... Ob er den Regen heute wohl überstanden hat? Ich hoffe, sie haben alle Wimpel rechtzeitig abgehängt. 


 

Dienstag, 27. Juni 2023

Lola auf dem 'Bachfest'

Am vorletzten Wochenende hat Lola beim 'Bachfest' im Leipziger Hauptbahnhof einen Geigenauftritt mit ihrer Suzuki-Geigengruppe gehabt. Den sie überragend gemeistert hat. 

Vor Beginn der Aufführung hat sie sich eine halbe Stunde lang Mikros anstecken lassen, geduldig gewartet, bis der Sound stimmte und dann ganz souverän alle Lieder mitgegegeigt.  


Zusammen mit Greta, die ja auch schon seit ihrem sechsten Lebensjahr Geige spielt... 


Sie sei ganz nervös und aufgeregt, erzählte Lola vorher. Und ich machte mir solche Sorgen, ob sie mitmachen würde. Da sie in der Schule derzeit alle Auftritte auf der Bühne verweigert. Und selbst in manchen Schulstunden ganz den Unterricht ablehnt und vor dem Zimmer auf dem Gang sitzt. 


 Beim Geigen jedoch ist sie seit Jahren begeistert und äusserst selbstbewusst dabei. In einer Gruppe deutlich jüngerer Kinder, die aber alle so gut geigen wie sie. Hier fühlt sie sich wohl und sicher, weiß, was sie kann. Und übt sogar fleissig alleine zu Hause. 

Was für ein Geschenk, solch einen guten Unterricht gefunden zu haben, wo sie einfach dabei sein kann. So wie sie ist, mit ihrem Tempo. Aber ernst genommen und wirklich gefordert wird.


Ein großer Dank an Iokine, ihre wunderbare Geigenlehrerin, der all das zu verdanken ist.


Und hier nochmal eine glückliche und strahlende Lola, nach dem Konzert, mit der stolzen Mama.

Mittwoch, 7. Juni 2023

Ein Lächeln genügt!

 Heute morgen hab ich mir ein Herz gefasst, und in Lolas Schule einige ihrer Mitschülerinnen angesprochen. Wie einsam sich Lola gerade fühlt in der Klasse. 

Lola wollte zwar nicht, dass ich ihre 'alten Freundinnen' darauf anspreche. Nein, ich solle bitte nur mit den Lehrern sprechen. Doch ich hatte das Gefühl, dass ein direktes Sprechen mit den 'Mädels' vielleicht sinnvoller sei. 

Ganz irritiert und schuldbewusst schauten sie mich erst an, als ich sie ansprach. Ins Gespräch mit der Clique vertieft. Leicht abwehrend. 

Doch als ich ihnen erzählte, wie traurig Lola gerade zu Hause ist, dass sie sich einsam fühlt in der Klasse,  nicht gesehen. Da weichten ihre Blicke auf. 

"Ja, ich wollte einfach nur, dass ihr das wisst. Wie wichtig iein Hallo am Morgen für Lola wäre, eine herzliche Begrüßung, ein 'Gesehen- und Wahrgenommen' werden. Mehr nicht."

Sie nickten, ja, das sei ihnen auch schon aufgefallen. Dass sie sie nicht mehr so gross beachteten in letzter Zeit. Nur sei Lola oft so abwehrend, und wollte gar nicht mitkommen, oder -machen, selbst wenn sie sie mal fragten. 

Und ja, ich konnte sie verstehen, dass sie vielleicht aufgegeben haben. Abgeschreckt von Lolas ruppiger Art oft. Und dennoch. 

"Es sei doch was anderes, gefragt zu werden, und nein sagen zu können. Als gar nicht gefragt, oder wahrgenommen zu werden." Die Mädchen nickten. Während Lola auf ihrem Stuhl saß, unter ihrer Kapuze, mich darunter hervor aber doch angrinste. 

War es übergriffig? Bin ich zu weit gegangen? Dachte ich kurz. Doch die herzliche, offene Art der Mädels und Lolas Reaktion überzeugten mich, dass es eine gute Entscheidung war. 

Nach der Schule kam Lola dann mal wieder alleine mit der Tram nach Hause. Und als ich sie fragte, wie es war heute, erzählte sie grinsend, dass eines der Mädchen, N., sie im Unterricht gefragt habe, ob sie neben ihr sitzen darf. 'Na klar!", habe Lola geanwortet. Überglücklich. 

Und im Anschluss hat sie dann sogar vor der ganzen Klasse ihren Stammbaum vorgestellt, den wir vorgestern zusammen geschrieben haben. Von ihren ganzen Geschwistern und Ahnen, bis zurück zu ihren Ururgroßeltern Paul und Greta Axhausen (Namensgeber von, wer hätte es gedacht, Greta und Pavel). Und vor der ganzen Klasse hatte sie schon lange nichts mehr alleine vorgestellt. 

Wenn das nicht ein Erfolg war!!!!

Dienstag, 6. Juni 2023

Traurig

An manchen Tagen ist Lola sehr laut, aggressiv und ruppig. Motzt andere an, fällt anderen ins Wort. Oder geht alleine in ihr Zimmer, nicht nur um Musik zu hören, sondern auch um laut zu diskutieren, mit sich selber oder imaginären Freunden. Richtig heftig geht es da oft her, sie motzt und brüllt sie fast an. 

Manchmal ist sie danach ruhiger, oft aber auch noch ungehaltener. Was ich oft schwer auszuhalten finde. Was aber ihrem inneren Ausgleich zu dienen scheint. Irgendetwas an Erlebtem, Gefühltem, Unverarbeitem verarbeitet sie da wohl.

Heute jedoch war sie ganz sanft. Vielleicht weil ich alleine mit ihr war, ohne Geschwister. Im Garten, um ein bisschen Unkraut zu jäten, mit ihr lesen zu üben und 'Skyo' zu spielen. 

Da erzählte sie plötzlich, dass es anders sei in ihrer Klasse, seit ihre Tutorin A. (ihre Klassenlehrerin) in Elternzeit ist. Seit etwa zwei Monaten. Die anderen Kinder seien irgendwie anders. "Mich nicht angucken, niemand", sagte sie traurig. Und ich muss schlucken. 

Am Abend im Bett diskutierte sie zum ersten Mal nicht laut mit ihren imaginären Freunden, was sie sonst oft macht. Sondern saß still da und schaute ihr Freundebuch an, in dem alle Mädchen ihrer Klasse etwas eingetragen hatten auf ihrem vorletzten Geburtstag. Daneben lag aufgeschlagen ihr Tagebuch, in das sie hineingekritzelt hatte. Unleserlich, aber für sie mit Bedeutung. "Keine Freune mehr hab", sagte sie traurig, als ich mir das Buch anschaute. 

Kurz darauf machte sie tatsächlich das Licht aus, und schien einzuschlafen. Doch als ich nochmal hinging, hörte ich sie leise weinen und schluchzen im Bett. Ganz aufgelöst erzählte sie mir. "Meine Freunde vermisst. Ganz dolle." Sanft strich ich ihr über den Kopf. "Ja..."

Dann schlief sie ein.

Sonntag, 4. Juni 2023

Mama, ich brauch das!

 Lola und ich sind mit dem Tandem unterwegs in der Stadt. Die Menschen sitzen in den Straßencafés, der Flieder blüht, die Stadt pulsiert. Doch Lola ist ungehalten, unausgeglichen, meckert rum. Und will unbedingt nach Hause. Um Musik zu hören!

Ich möchte viel lieber die Sonne und die Luft und die herrliche Sommerstimmung geniessen, aber sie besteht darauf, zu Hause Musik zu hören. "Ich brauch das, Mama!, sagt sie vehement, stemmt ihre Arme in die Hüften und weigert sich, weiterzugehen.

Resigniert gebe ich auf und fahre mit ihr nach Hause. Nehme ihr aber das Versprechen ab, dass wir am Nachmittag noch in den Garten gehen. Unwirrsch nickt sie, eilt in ihr Zimmer und schlägt die Türe hinter sich zu. 

Einen Moment später hört man ohrenbetäubend laut Musik. Vincent Weiss, Mark Foster, Deutsch-Rap. Der Boden schwingt, so laut springt sie herum, laut singend, fast brüllend. Vor allem bei den lauten, aggressiven Liedern. Ich kann kaum einen klaren Gedanken fassen, während ich in der Küche versuche, Spaghetti mit Bolognese zuzubereiten.

Als ich sie zum Mittagessen rufe, kommt sie erschöpft, aber entspannt in die Küche. "Auspowert", sagt sie und grinst friedlich. Ich schüttle entnervt den Kopf und bemerke nur, dass sie doch auch leise Musik hören kann. Sie schüttelt den Kopf und sagt mit Nachdruck: "Nein, Mama. Laut! Ich brauch das!"

Ich verstehe, dass es ihrer Seelenhygiene zu dienen scheint und wahrscheinlich auch altersgemäß ist. Alle Jugendlichen mit 15 Jahren hängen in ihren Zimmern rum, hören Musik, und sicher auch öfters laut. Warum sie nicht auch? Aber muss ich diesen Krach wirklich aushalten? Das Opfer erscheint mir doch zu gross.

Ich drehe meine Spaghetti auf meine Gabel, schiebe sie in den Mund und muss plötzlich an die Erzählung meiner Oma über meinen Vater denken. Dass er als Schüler, wenn er von der Schule nach Hause kam, immer zuerst ans Klavier ging und eine Stunde oder auch zwei spielte. Erst danach war er wieder ansprechbereit und konnte 'weitermachen', wie sie sagte. Musik als Ventil, das er brauchte. 

Später, als junger Student und Arzt machte er die Musik fast zu seinem Nebenberuf, spielte Klarinette in einer Freiburger Bigband, bei den 'Hallelujah Stompers'. "Mit unglaublich viel Gefühl und Hingabe, wie kaum ein Anderer", so erzählte sein alter Studienfreund Hein Linn Jahre später. "Ein begnadeter Solist". 

Nur in seinen letzten Lebensjahren hat mein Vater keine Musik mehr gemacht. Weder Klavier, noch Gitarre, noch Klarinette. 'Er habe alles verloren', war seine Begründung.  Sein Anspruch an seine alte Virtuosität liess es wohl nicht zu. 

Leider hat er dabei eines vergessen: dass er die Musik brauchte. Um klar zu kommen mit dem Leben und - weiter zu machen. Und hat einige Zeit später tatsächlich Schluss gemacht, mit dem Leben.

Ich lege meine Gabel auf den leer gegessenen Teller und schaue Lola an, wie sie sich noch eine weitere große Ladung Nudeln in den Mund schiebt, der ganz rot verschmiert ist, und hemmungslos und mit offenem Mund kaut. Wie sie auf andere wirkt oder was sie von ihr denken, ist ihr herzlich egal.

Lola singt und stampft und schreit sich die Seele aus dem Leib, egal was andere oder speziell ich davon halten. Mit der klipperklaren Begründung und Einsicht, die meinem Vater leider fehlte. 'Ich brauch das!' 

Und so lass ich sie wohl weiter gewähren. Ohrenbetäubend laut zu singen, zu tanzen und zur Not auch zu brüllen. Denn besser sie schreit sich den Ärger, die Wut und all den Frust hinaus, als mit eingedrückter Seele irgendwann vor sich hinzuvegetieren. 

Und beim nächsten lauten Konzert von ihr setze ich mich lieber selber ans Klavier und spiele was. Ohrenbetäubend laut, oder auch ganz leise. Mit dem Wissen: "Ich brauch das!" Ja, ich auch.

Mittwoch, 3. Mai 2023

Das kleine 1x1 für Anfänger

Am Wochenende waren wir bei Freunden zu Besuch, die auch eine Tochter mit Down-Syndrom haben, A., 14 Jahre alt. Und die Kinder haben Schule gespielt.

Pavel ist der Lehrer und versucht A. und ihrer Schwester J. (9 Jahre alt) das kleine 1x1 beibringen. Die beiden Mädchen sitzen andächtig auf zwei Küchenstühlen vor der Holztafel, die an der Wand hängt. Pavel schreibt 1x1 an die Tafel und blickt A. auffordernd an.

Pavel: "Und, was ist das? 1x1?"

A. antwortet im Brustton der Überzeugung: "2"

Pavel lächelt und schreibt 1x2 an die Tafel: "Und was ist 1x2?"

A, wieder voller Überzeugung: "3"

Ihre Schwester J. erklärt, dass sie das wohl mit der Addition verwechselt. Sie kennt die Malreihen noch nicht. 

Pavel nickt, wischt die Aufgaben weg, und malt ein Strichmännchen mit einem Lolli in der Hand. "Also, das bist Du, mit einem Lolli. Und wenn Du den jetzt Deiner Schwester gibst, wie viele Lollis hat sie dann?" Er wischt den Lolli auf der einen Seite weg und mal eine zweite Figur mit einem Loli. 

A, ganz stolz: "Einen"

Pavel: "Genau, super. Und wenn du zwei Lollis hast. Und beide Deiner Schwester gibst?" WIeder malt er zwei Lollis erst bei dem einen und dann bei dem anderen Männchen.

A, ganz genickt: "Dann hab ich keinen mehr!"

Pavel lacht. Und malt bei der einen Figur eine Tüte. "So, jetzt hast du eine Tüte mit vier Lolis drin, und gibst zwei Deiner Schwester. Wie viele hast Du dann noch?"

A, ganz begeistert: "Hundert!"


Dienstag, 21. März 2023

Happy "Welt-Down-Syndrom" Tag!!!!

Anlässlich des heutigen Welt Down-Syndrom Tages, hier ein MDR-Bericht über Inklusion und wie sie gelingen kann, oder eben auch nicht!

Welt-Down-Syndrom-Tag: Warum Inklusion schwierig oder einfach sein kann

von Mai-Charlott Heinze, MDR THÜRINGEN
Stand: 21. März 2023, 07:34 Uhr

 Es ist ein Bericht über Konstantin (14), der eine inklusive Gesamtschule in Jena besucht, die in freier Trägerschaft geführte "UniverSaale". Was herausragend funktioniert, worüber seine Mutter Christina uns schon so viel berichtet hat. Denn beide kennen wir seit Jahren, seit einem gemeinsam besuchten Lebenshilfe-Seminar in Marburg zum Thema "Welche Schule für mein Kind?" - Schon damals war für uns Mütter klar: wir wollen, dass unsere Kinder gemeinsam mit anderen zur Schule gehen! 

Der MDR-Bericht thematisiert neben dieser Erfolgsgeschichte aber auch die Schwierigkeiten mit der Inklusion an staatlichen Schulen in Thüringen, speziell nach Ende der Grundschulzeit. Am Beispiel von Luca (21), dessen Mutter Claudia Thein (54) über die erlebten Herausforderungen berichtet. Sei es bei der grundsätzlichen Bereitschaft der Schulen, die Kinder mit Förderbedarf aufzunehmen. Bei den Unterrichtsmethoden. Der Beantragung von Ferien- und Hortbetreuung. Oder der Schwierigkeit, eine passende Schulbegleitung zu finden. 

Da können sich die staatlichen Schulen doch einiges von den freien Schulen abschauen! Wovon sicher auch die 'Regel-Kinder' profitieren würden, in puncto Anschaulichkeit des Unterrichts, Projektarbeiten, sozialer Kompetenzen... Aber im Grunde brauch es einen solchen Konzeptes im Vorfeld, damit Inklusion wirklich gelingen kann. In das bisherige Schulsystem einfach ein Kind mit Förderbedarf zu integrieren, mit einem Schulhelfer an der Seite, kann und wird nicht funktionieren.

Montag, 20. März 2023

Lola in der Werkstufe

 Bei der letzten Monatsfeier in der Waldorfschule führt mich Lola ganz aufgeregt zu einer Glaswand, wo sie mir eine kleine Ausstellung ihrer Arbeiten in der Werkstufe präsentiert. 

"Lola in der Werkstufe" hat sie inmitten eines großen Blattes geschrieben, daneben hängen Fotos ihres Werkstufenalltags und einige ihrer Kunstwerke.

 
Ich bin ganz baff, denn solch eine 'Einzelausstellung' habe ich an ihrer Schule noch nie gesehen. Sie ist sichtbar stolz und hüpft aufgeregt auf und ab.


Die Werkstufe ist ein klassenübergreifendes Unterrichtsangebot für alle Kinder mit "Förderbedarf geistige Entwicklung" der 9. bis 12. Klassen. Wo sie vor allem praktische Tätigkeiten erlernen, die auf den Berufsalltag (in der Werkstatt) vorbereiten sollen. 
 

Von der 1. bis zur 8. Klasse, der sogenannten Klassenlehrerzeit, hatte Lola ausschließlich Unterricht im festen Klassenverband mit zwei festen Klassenlehrern. Seit der 9. Klasse, die sie seit September besucht, hat die Klasse hingegen Unterricht durch Fachlehrer und es gibt klassenstufenübergreifende Angebote, wie Projektunterricht und eben die Werkstufe, jedoch ausschließlich für Kinder mit Förderbedarf.

Im monatlichen Wechsel bekommen sie in Kleingruppen Unterricht in Werken, Tierpflege, Gartenbau, Hauswirtschaft und Weben, angeleitet von Fachlehrer:innen und unterstützt von den Schulassistenten der Schüler:innen. 

 Und Lola liebt den Werkstufenunterricht! Besonders begeistert ist sie von Hauswirtschaft, vor allem seit ihrem Praktikum in der Küche einer Kita.

Fleißig presst sie Apfelsaft, schneidet Eier für den Eiersalat, macht den Großabwasch. Letzte Woche haben sie sogar Pralinen selber hergestellt, mit Schokoladenüberzug, was sie besonders toll fand. Vor allem, als sie sie danach auf dem Schulhof verkaufen durfte und Rieseneinnahmen gemacht hat. (10 Euro das Stück war ihr Angebot, das Spendenglas war voller Scheine!!!)

Seit der Werkstufe geht sie sichtlich begeistert in die Schule, auch weil sie endlich gemeinsam mit anderen Kindern mit Förderbedarf lernen kann. Und dabei merkt, was sie schon alles kann und dass sie auch einmal irgendwo die Beste ist. Was sie sichtlich motivert.

 So schön der gemeinsame Unterricht in ihrer Klasse war und immer noch ist, wo sie sich viel von den Anderen abschaut und im Rahmen einer Binnendifferenzierung auch eigene Aufgaben mit geringerem Schwierigkeitsgrad bekommt. So sehr hat sie oft darunter gelitten, dass sie so viel langsamer war als die anderen. "Bin schlecht", klagte sie oft. "Kann ich nicht."

Seit dem Werkstufenunterricht hingegen, wo sie sich kompetent und leistungsstark erlebt, ist sie viel selbstbewusster geworden. Und macht nun auch im Hauptunterricht in ihrer Klassen viel besser und lernbegieriger mit. Hier zeigt sich sehr schön, wie wichtig und gut eine externe Differenzierung an einer inklusiven Schule auch sein kann.

Freitag, 17. März 2023

Küchenfee im Praktikum

Lolas dreiwöchiges Betriebspraktikum in der Küche eines integrativen Kindergartens der Leipziger BBW Gruppe war übrigens ein voller Erfolg. Ich hatte noch gar nicht davon berichtet. 

Sie war (größtenteils) begeistert bei der Arbeit, hat "die ihr übertragenen Aufgaben zuverlässig erfüllt. Sich super ins Team eingefügt, selbst als es zu spontanen Wechseln der Mitarbeiter kam. War offen, höflich, ordentlich und zuverlässig". So steht es alles in ihrem Arbeitszeugnis. 

Es hat mich so gefreut zu sehen, wie sie die klaren, für sie überschaubaren Aufgaben zuverlässig erledigen konnte. Und dabei innerlich gewachsen ist. Weil sie gemerkt hat, was sie alles kann. Wie sie beitragen kann und gebraucht wird. 

Beim Obst und Gemüse waschen, schälen und schneiden. Verteilen von Obst auf die Schüsseln. Portionieren von Joghurt oder Kompott für die einzelnen Gruppen, was sie selbständig anhand einer Liste mit der Anzahl der Kinder pro Gruppe machte. Für jedes Kind ein Löffel Kompott in die Schüssel, wie sie aus einer Tabelle entnehmen musste. Beim Abwaschen und abtrocknen. Säubern der Küche. Verteilen der Wäsche im Haus. Beim Ausbringen der Essenswagen zu den Gruppen im Haus. 


Die immer gleichen Aufgaben, in Variationen, an jedem Tag. Und sie wuchs und wuchs mit den Anforderungen. 

Die Arbeitszeit hatten wir auf 9-13 Uhr beschränkt. 4 Stunden. Danach war sie auch fix und fertig. 

Naja, und an jedem zweiten Tag lag ihre Motivation niedrig. Da liess sie sich nur schwer nach der Pause wieder zum Arbeiten motivieren. Quatschte und gebärdete lieber mit einem der Mitarbeiter, bzw. schreib ihm kleine Texte auf (er war gehörlos). Legte sich sogar mal mit dem Kopf auf die Anrichte. Ja, die Mitarbeitsbereitschaft war an manchen Tagen gering, auch das steht in ihrem Zeugnis. 

Aber das ist seit je her ihr größtes Handicap: ihr schwankender Wille, an einer Sache dran zu bleiben. Will sie etwas, ist es erstaunlich, was sie schafft. Hat sie keine Lust, geht kein Weg rein. 

Umso mehr freue ich mich, wie begeistert sie doch alles in allem mitgemacht hat beim Praktikum. Einer Stelle, die tatsächlich auf dem ersten Arbeitsmarkt wäre, in einem integrativen Unternehmen. 

Wenn sie nochmal ein Praktikum machen will, ist sie jederzeit herzlich willkommen, so sagte die Küchenchefin beim Abschied! 

Und der Leiter der Abteilung Wirtschaftsdienste, Rene Laue, der ihr das Praktikum vermittelt hat, meinte, dass man doch mal schauen könne, ob sie nicht nach der Schule beim Berufsbildungswerk Leipzig eine Ausbildung zur "Fachpraktikantin" machen könne, eine Art abgespeckte Ausbildung mit geringerem Theorie- und höherem Praxisanteil. Na, mal sehen, wie sie sich so weiter entwickelt... Das wären auf jeden Fall schöne Aussichten!

Sonntag, 12. März 2023

Geburtstagseinladung (III)

Lola ist am Samstag bei N. zum Geburtstag eingeladen. Ein Mädchen aus ihrer Klasse, das sie seit der Kleindkindzeit kennt. Und die sie in der 2. Klasse schon einmal zu einer Übernachtungsparty eingeladen hat, wo sie erstmals alleine übernachtete. Wird sie diesmal gehen? 

"Ja, klar!", antwortet sie spontan als N sie fragt, ob sie kommt und umarmt sie. 

Am Freitag gehen wir in eine örtliche Buchhanldung, um für N. ein Buch zu kaufen. Ich stehe ratlos vor der Auswahl an Jugendbüchern. Unsicher, was N gefallen könnte. Lola kommt zu mir, ein Batik-Set in der Hand, mit einem Jutebeutel, Handlettering Stift und Batik-Utensilien. Dazu ein Manga - Heft. "Das mag N.", sagt sie. Ich finde ihre Auswahl vortrefflich. Erleichtert stelle ich meine Auswahl an verschiedenen Jugendbüchern wieder zurück ins Regal. 

Samstagfrüh. Lola packt ihre Übernachtungstasche, mit Schlafsack, Isomatte, Wechselsachen. Sucht sich wieder das schicke rote Kleid raus, borgt sich ein Jacket von mir aus. Schnell noch Schminke drauf. Sie ist ausgehbereit. Kein Protest oder Zweifel in Sicht. 

Wir nehmen drei ihrer Schulkameradinnen im Auto mit. Alle Mädchen der Klasse sind eingeladen, N. hat Fahrgemeinschaften gebildet, da sie südlich von Leipzig auf dem Land wohnt. Nach der Ankunft läuft Lola zielstrebig mit Koffer und Isomatte ins Haus, winkt mir kurz zu. 'Bis morgen, Mama!" Weg ist sie in der Meute an kichernden Mädchen. Ganz selbstbewusst und ohne jeden Zweifel. 

Ich spaziere noch durchs Dorf. Werfe einen letzten Blick auf das Wohnhaus. Und fahre wieder nach Leipzig. Ein kinderfreier Abend. Theater ist geplant. Hoffentlich kommt spät Abends kein Anruf, dass sie noch abgeholt werden will. Die Mädels feiern alleine, ohne N.s Papa. Wird das gut gehen?

Ich schalte nach dem Theater das Handy wieder an. Kein Anruf. Auch Nachts, Ruhe. 

Sonntag früh wird sie von der Mutter einer Klassenkameradin wieder nach Hause gebracht. Ein bisschen blass, mit müden Augen, aber glücklich. "War super, Mama.", sagt sie und geht ins Zimmer. Erzählt später vom Pizzabacken, Musik und Tanz, Filmgucken. Bis zum Ende der Party war sie aber nicht wach. Ist mit zwei Mädchen eher schlafen gegangen, irgendwo im Obergeschoss, in ihrem Schlafsack. 

Als wir Sonntag Nachmittags noch mal raus wollen, in eine Ausstellung, hat sie aber keine Lust. "Ne, bin müde", sagt sie und geht ins Zimmer, um Musik zu hören. 

Als ich zwei Stunden später wieder komme, liegen überall Wäschestapel. "Hab ein bisschen Haushalt 'macht", sagt Lola, stemmt die Händer in die Hüften und grinst. "Wäsche auf'hängt, Müll weg, und meine Zimmer 'saugt."

Ich bin fassungslos. Tatsache. Das Zimmer ist aufgeräumt und sauber, der Küchenmüll weg, und die gesamte Wäsche ab- und die nasse aufgehängt! Und in der Küche hat sie sogar das Geschirr abgespült. Einfach so. Ich schüttle ungläubig und hocherfreut zugleich den Kopf.

"Darf ich Handy spiel'n?", fragt sie. 

"Klar", sag ich. Was soll ich Anderes sagen? 

Wie sie gewachsen ist. An der Gemeinschaft mit Freunden, an der Selbständigkeit. Wie ich mich freue für sie!



Samstag, 4. März 2023

Geburtstagseinladung (II)

Und Lola ist wieder zum Geburtstag eingeladen! Bei M., die alle Mädchen der Klasse zu einer Übernachtungsparty eingeladen hat. Ich freue mich unglaublich für Lola, denn sie erzählt immer begeistert von M, und wie gern sie sie mag. 

Doch als ich Lola von der Einladung erzählt, reagiert sie verhalten. Ich bin irritert. Ist es, weil M sie nicht direkt gefragt hat, sondern es mir erzählt hat? Ist sie verschüchtert? Hatte sich Parties zwar immer schön ausgemalt, will am Ende aber gar nicht hin. Zu viel Neues, Ungewohntes?

Sie muss sich sicher nur an den Gedanken gewöhnen. Bei E. war es am Ende ja auch schön beim Geburtstag. 

Doch an einem der nächsten Tage sagt sie mir, sie will da nicht übernachten. Ich soll sie abends abholen. Kein Problem, sage ich. 

Wir besorgen ein Geschenk für M in der Drogerie. Knallroten Nagellack und pinken Lippenstift. 'Sicher?", frage ich. "So grell?" 

"Ja, M. mag das." 

Am Tag des Geburtstages muss ich leider arbeiten. Greta soll Lola zur S-Bahn bringen, wo sie sich mit einem anderen Mädchen der Klasse trifft, um gemeinsam zu M's Party südlich von Leipzig zu fahren. Als ich morgens zur Arbeit gehe, ist Lola schon recht aufgeregt. Wird das klappen? 

Das Geschenk ist eingepackt, die Partyklamotten liegen bereit. Ein schickes rotes Kleid mit Palletten, eine schwarze Lederjacke. Lola hat Stil. Zuversichtlich verabschiede ich mich. Was soll schief gehen?

Als ich in einer Arbeitspause mein Handy wieder anstelle, kurze Info von Greta. "Lola will nicht zum Geburtstag." 

Nein! Was ist passiert? 

Kurz vor dem Aufbruch zur S-Bahn war Lola noch kurz am Kühlschrank, um sich eine Salamibrot zu schmieren. Und hat sich eine offene Tomatendose, die dort stand, aus Versehen über das Kleid gekippt. Tomatensosse überall. Auf dem Kleid, im gesamten Kühlschrank, auf dem Boden. Und Lola vollkommen außer sich. 

Sie ließ sich nicht beruhigen. Das Kleid zu säubern, war unmöglich. Ohne das Kleid wollte sie nicht gehen. Und dann war es irgendwann zu spät. Lola verzweifelt. Greta auch. Und ich bei der Arbeit. Mist! 

Als ich am frühen Abend nach Hause komme, liegt Lola auf dem Bett und guckt zufrieden youtube - Videos auf ihrem Tablet. Bleibt lieber zu Hause und guckt Videos, als mit ihren Freundinnen zu feiern. Diese verfluchten Geräte! 

Nicht noch ein Geburstag, den sie verweigert.  Ich will, dass sie wenigstens noch kurz dahin geht. 

Unter Aufbietung all meiner Kräfte und Überredungskünste kann ich sie überzeugen, noch beim Geburtstag vorbei zu gucken. Ich fahre sie. Obwohl es eine halbe Stunde von uns entfernt liegt.

Doch schon beim Reingehen ins Haus von M., klebt sie sich an mich. Zieht sich die Kapuze tief ins Gesicht. Ignoriert die freudige Begrüßung der Klassenkameradinnen. Setzt sich mit gebeugten Kopf an den Tisch und guckt passiv zu. 

Ich gehe eine Runde im Dorf spazieren. Vielleicht wird sie noch warm, muss sich erstmal an die Feier gewöhnen, da sie ja zu spät ist. 

Als ich nach meiner Runde von draussen ins Haus linse, sitzt sie immer noch am Tisch. Hält sich die Ohren zu. In sich gekehrt. Während die anderen Mädchen tanzen und singen. Es hat keinen Sinn. Ich nehme sie wieder mit. 

Doch auf der Rückfahrt im Auto erzählt sie mir begeistert von allem, was die anderen gemacht haben. Sushi gemacht, gegessen, welche Musik sie gehört haben. Wer da war und was sie erzählt haben. Sie ist ganz aufgedreht und fröhlich. 

War es doch wieder gut, sie dorthin 'genötigt' zu haben!? 

Wieviel Selbstbestimmung, wieviel sanfte 'Führung' von außen, im Wissen um das, was ihr gut tut, darf sein? Immer wieder eine Gratwanderung. Gerade in diesem Alter, wo die Kinder zu eigenständigen Erwachsenen heranwachsen.

Sonntag, 5. Februar 2023

Geburtstagseinladung (I)

Seit Jahren lädt Lola ihre Klassenkameradinnen zu ihrem Geburtstag ein und feiert wirklich schöne Geburstage. Zu denen auch immer alle kommen. Doch selber eingeladen wird sie seit Jahren nie. Was sie nie weiter kommentiert. Sie scheint sich daran gewöhnt zu haben. 

Ende Januar bekommt sie von E. eine Einladung zum Geburtstag. Ein Mädchen aus dem Schulclub, die selber eine geistige Beeinträchtigung hat. Mit der sie ab und zu auch zusammen am Tisch sitzt und malt. 

"Will da nicht hin", sagt Lola, als ich ihr von der Einladung erzähle. "E. ist doof. Haut mich und schreit." 

"Das war neulich einmal, als sie sauer war. Aber du magst sie doch... ", lenke ich ein. 

"Nö!", antwortet sie vehement. "Geh da nicht hin, Mama. Bin groß, kann selber entscheiden."

Ich bin ratlos. Endlich eine Einladung zum Geburstag. Und sie will nicht hin? Obwohl da auch viele andere der Mädchen hingehen, die sie aus dem Schulclub kennt. Größtenteils Kinder mit Förderbedarf. Ich zähle alle auf.  

"Alle doof", sagt sie. Dreht sich um und geht in ihr Zimmer. Die Türe zuknallend. 

Ich bin verunsichert. Ich will Lolas Entscheidung respektieren. Doch es tut mir leid. Für E., die sicher enttäuscht ist, wenn sie nicht kommt. Und auch für sie selber, wegen der Erfahrung, endlich mal einen anderen Geburtstag als den eigenen zu erleben. Ich besorge ein Geschenk. Vielleicht hat Lola ja doch spontan Lust.

Der Tag des Geburtstages rückt heran. Aber Lola will immer noch nicht. Sie will lieber zum Geigen gehen. Und danach nach Hause. Der Weg vom Geigen zurück führt an E.'s Haus vorbei.

"Komm Lola, Du kannst E. ja wenigstens gratulieren und ihr das Geschenk geben", schlage ich vor. Missmutig schüttelt sie den Kopf. Doch als ich am Haus halte, steigt sie zum Glück mit aus. 

An der Türe stürmen ihr jubelnd alle Geburstagsgäste entgegen, auch E. fällt ihr strahlend um den Hals. Lola wehrt ab und stapft ins Haus. Ignoriert die freudige Begrüßung und setzt sich auf ein Sofa. Inspiziert die Umgebung, die tobenden Gäste, den Geburtstagstisch. 

Ich setze mich zu den Eltern, wir plauschen fröhlich. Nach einer halben Stunde will Lola gehen, obwohl es Kartoffelbrei und Würstchen gibt, ihr Leibgericht. Will zu Hause essen, jammert. Soll ich gehen? Ihren Willen respektieren? 

Ich mag die Eltern. Die Stimmung ist ausgelassen. Ich bleibe, unterhalte mich, geniesse den Trubel. Als J. kommt, ein anderes Mädchen aus Lolas Klasse, entspannt sie sich. Beginnt sich zu unterhalten. Knabbert sogar an einem Papadam, was E.' Vater frisch in Fett ausgebacken hat. 

Am Ende bleiben wir, bis die letzten Gäste gehen. Lola quatscht bis zuletzt angeregt mit E.s Papa. Fröhlich und aufgedreht. Winkt E. noch zum Abschied.

Jedes Mal, wenn wir nun auf dem Weg zum Geigen an E.s Haus vorbeifahren, zeigt sie auf den Hinterhof. "Da wohnt E.", sagt sie. Und erzählt von der schönen Geburtstagsfeier.

Montag, 30. Januar 2023

Die neue Küchenkraft!

 

Voller Vorfreude, mit einem Rucksack voller Wechselsachen und Frühstücksvesper, marschierte Lola heute früh zu ihrem ersten Tag im Betriebspraktikum, in der Küche einer integrativen Kita. "Bin nervös", murmelte sie mir dann doch zu, kurz bevor wir das Gebäude betraten. 

Doch kaum angekommen, winkte sie nur ein kurzes 'Hallo' zu den beiden anderen Küchenkräften, die sie vom Vorstellungsgespäch kannte, und verschwand in der Garderobe zum Umziehen. Um 13 Uhr könnte ich sie wieder abholen, rief mir die Küchenchefin zu, grinste und meinte, das würde schon klappen. Als ich wohl etwas verunsichert guckte. 

Zu Hause machte ich mir doch meine Gedanken, wie sie das machen würde dort. Ohne Schulassistenz, die sie in der Schule eigentlich rund um die Uhr betreut. Mit fremden Leuten, in neuer Umgebung. Bei einer "richtigen echten Arbeit". Sie, die sonst alle fünf Minuten über Müdigkeit klagt, Bauchschmerzen, oder Film oder Handy gucken will. 

Doch als ich sie am Mittag wieder abholte, empfing mich der dritte Küchenmitarbeiter schon mit einem breiten Grinsen und einem Daumen hoch. Und Lola schoss mir strahlend wieder aus der Garderobe entgegen. Nachgefragt, wie sie sich so gemacht habe über den Tag, erzählten sie mir, dass es super lief. Am Morgen hatte sie Gurken geschält und geschnitten, das Essen zu den Kindern gebracht, Wäsche im Haus verteilt und nach dem Mittag das Geschirr mit abgewaschen. Kleine Pausen dazwischen, alles bestens. 

Auf dem Nachhauseweg erzählte sie mir dann noch lang und breit, dass sich der Himmel nachher verdunkeln und es Regen geben werde (stimmte tatsächlich), und welche Lieblingsmusik sie in Radio Leipzig beim Schnippeln gehört hatten. Glücklich und zufrieden! 

Wie stolz bin ich auf Lola, und freue mich für sie über diesen wunderbaren ersten Arbeitstag. Es war herrlich, sie so zufrieden zu sehen. Zu erleben, dass sie dort eine Arbeit gefunden hat, die sie wirklich gut kann, die ihr Spass macht, mit netten Leuten. Etwas Sinnvolles, wo sie beitragen kann und sich gebraucht fühlt. Und ja, das wäre tatsächlich eine Stelle am ersten Arbeitsmarkt, wo sie mit ihren Fähigkeiten (und ihrem Tempo) wirklich arbeiten kann.


Und am Abend schrieb sie dann noch - allerdings mit deutlich mehr Unwillen, einen kurzen Praktikumsbericht für die Schule. Dann war die Energie aber auch raus...


Montag, 23. Januar 2023

Ab in die Küche!

Als Lola klein war, hatte ich so gar keine Vorstellung, was sie beruflich einmal machen könnte. Leere Bildfläche in mir. Nur eines war mir klar: in einer Werkstatt für behinderte Menschen sollte sie nicht arbeiten. Nein, lieber Theater spielen, zum Beispiel beim Rambazamba in Berlin, Schauspielerin werden oder Malerin in einem Atelier, wie Patrizia Netti. Die Vorstellung, dass sie irgendwo Schrauben sortieren oder Prospekte in Kisten packen sollte, erschien mir gruselig. 

Nachdem ich zwei Jahre lang für die Lebenshilfe Leipzig, einem Verein für Menschen mit geistiger Behinderung Öffentlichkeitsarbeit gemacht hatte, änderte sich meine so klar ablehnende Haltung. Ich lernte Werkstatt, Wohnheime und höchst engagierte Leiter:innen und Mitarbeiter:innen kennen und erkannte, wie viel Freude und Sinn diese Arbeit für viele darstellte, ganz abgesehen von der Tagesstruktur, die sie bot. Aber Lola konnte ich mir dort immer noch nicht vorstellen. 

Sie war eine echte Rampensau, tanzte verkleidet auf jeder Bühne, spielte begeistert Geige, auch auf Konzerten, sang schief ins Mikro, malte stundenlang wahre Kunstwerke in prallen Farben. Warum nicht wirklich was Künstlerisches später zum Beruf machen? Die Hoffnung blieb. Doch je älter sie wurde, desto weniger malte sie, desto weniger gerne trat sie auf die Bühne (trotz Waldorfschule), und singen, tat sie nur noch für sich alleine. Ihr Traum, klar: Sängerin. Aber ihre Lieder singt sie derzeit zwar immer noch laut und schief und ohrenbeträubend laut, aber zumeist hinter verschlossener Türe oder alleine im Auto.

Nun steht im Februar ein dreiwöchiges Betriebspraktikum an und die brennende Frage war, wo? Lolas Traum wäre: The Voice Kids. Songcontest. Aber die Schule wollte eine praktische Tätigkeit. Ich überlegte, was Lola sonst so gerne mag, jenseits meiner und ihrer hehren Träume. Sie kocht und backt gerne, hilft in der Küche beim Gemüseschnippeln, macht die Wäsche bei uns im Haushalt. Also vielleicht irgendetwas im Bereich Hauswirtschaft? Vielleicht im Inklusionshotel Phillipus hier in Leipzig, wo einige andere Schüler:innen ihrer Schule schon Praktikum gemacht hatten und sehr zufrieden waren. 

Nach einem Anruf dort die Info, dass es da zur Zeit keine Gelegenheit gäbe. Aber in einem integrativen Kindergarten der BBW, da bräuchten sie jemanden zur Hilfe in der Küche, bei der Essensausgabe. Ob das nicht was wäre? 

Zwei Wochen später stellte sich Lola vor: und lernte das super nette Küchenteam bestehend aus drei Leuten kennen, von denen zwei eine Behinderung haben, und gemeinsam seit Jahren die Küche dort rocken. Frühstück zubereiten, das Essen warmmachen, dass von den 'Diakonischen Unternehmensdiensten', einem Integrationsunternehmen, vorgekocht und geliefert wird, Abwasch machen und die Küche wieder klar Schiff machen. Und Lola war begeistert! Ja, das will sie!  

Lola beim Backen eines Schoko-Kirch-Kuchens für ihre Projektarbeit im Schulclub.

Nun geht es nächste Woche Montag los, und sie ist schon irre aufgeregt. Und ich bin wirklich gespannt, wie sie sich dort wird einbringen können, so ganz alleine, ohne ihre Schulassistenz, die sie in der Schule in vielen Fächern begleitet. Lola freut sich jedenfalls schon sehr: vor allem darauf, dass sie dort MDR-Jump hören in der Küche. Ich hoffe nur, dass sie da nicht vor allem laut singen und tanzen und ihr eigenes Voice Kids feiern wird, sondern wirklich mithilft.