Sonntag, 29. März 2009

Tanz der Emotionen

Ich habe es endlich gemacht, an diesem Wochenende. Mir Zeit genommen, für mich ganz alleine. Etwas gemacht. Nur für mich. Habe an einem fantastischen Workshop teilgenommen, 'Danza Emotiva' - oder auf Deutsch 'Emotiver Tanz'. Bei Violeta Britos, der Tante von Nico, einem Freund von Ricardo aus Argentinien. Es war besonders, sehr besonders. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich so einfach hingeben kann, an die Musik, an den Tanz, an den Körper, an die Sinnlichkeit. Vor doch vielen anderen, ja unbekannten Frauen. Und habe aber auch gespürt, wie schwer es mir fällt, das Denken loszulassen. Und einfach nur zu fühlen - meinen Köper, den Raum, die Luft. Die Musik nicht zu hören, mit dem Kopf, sondern zu spüren, mit dem ganzen Köper, mit der Haut, mit jeder Faser. Sie einfach von mir Besitz ergreifen zu lassen. Fast immer stehe ich dann auch neben mir und beobachte mich, beurteile mich, denke. Schaffe es kaum, wirklich nur im Köper zu sein... Und doch gab es auch diese Momente, so befreiend, einfach fliessen zu können, mit der Musik. Mein Körper, die Bewegung, wie von alleine, ohne Gedanken. In der Musik, die Musik in mir.

Erschreckt nur hab ich mich auch, denn dann, wenn ich losliess, wenn die Musik mich mitnahm, dann kam sie ganz oft, diese Traurigkeit, ganz stark, alles voller Tränen in mir, und ich musste es festhalten, damit es nicht rausbricht. Warum? Warum will ich es nicht rauslassen? Ich weiss es nicht. Und doch wünschte ich so sehr, es könnte endlich einmal raus. All die Tränen, all die Trauer. Als ich Violeta in einer Pause frage, was man denn machen solle, wenn man so grosse Traurigkeit spüre, solchen Schmerz, sagt sie 'Der muss raus. Sonst entsteht Krankheit.' Ja, ich weiss. Und doch. Wie und wo kann ich sie rauslassen?

Als im letzten November Ricardo so lange weg war und ich alleine war mit meinen beiden Mädels, da kam sie auch zu mir diese Traurigkeit, aber ganz stark. Und ich habe sie zugelassen, rausgelassen, ausgeweint, ganz viel, ohne Hemmung. All den Schmerz, auch wenn Lola dabei war, mit ihr auf dem Arm. Und wenige Tage später wurde sie krank, entzündete sich ihre Lunge, das 'Organ der Traurigkeit' bei den Chinesen hat mir mal jemand gesagt, keine Ahnung, ob das stimmt. Sie hat meine Trauer auf sich genommen. Sie ist krank geworden, sie hat sie ausgelebt. Meine Freunde und meine Familie haben mir gesagt, Lolas Krankheit habe nichts damit zu tun, ich solle mir keine Schuld geben. Aber ich weiss, dass das nicht ohne Zusammenhang war. Dass ich einfach nicht mehr wollte, dass ich all diesen Schmerz, und all dies Tränen einmal rauslassen wollte. Dass es mir egal war in diesem Moment, dass Lola dabei war, dass sie das gesehen hat, dass sie das spüren musste. Und ihre zarte Seele ist krank geworden....

Viel zu stark lasse ich meine Kinder und meine Lieben oft meine Emotionen spüren. Nicht nur die Traurigkeit. Auch die Wut, den Zorn, den Ärger, die Ungeduld. All das kleinliche und weniger kleinliche Leid meines Lebens trage ich nach aussen. Und schaffe damit oft noch viel mehr Leid als ich schon in mir habe. Und wieder schlägt es auf mich zurück. Und noch mehr Leid. Auf dass ich es schaffe, diese Emotionen zuzulassen, aber ohne sie andere so negativ spüren zu lassen, ohne damit anderen zu schaden. Sie zulassen, sie fühlen. Sei es im Tanz. Sei es im Schreiben. Sei es in der Musik. Aber nicht sie von mir Besitz ergreifen lassen...

8 Kommentare:

Gabriela hat gesagt…

Oh Gott, Amelie, und ich? Habe ich meine Tochter totgetrauert? Darf man sich so weh tun? Darf man sich so unterdrücken? Muss man?
Erschrockene Grüsse
Gabriela

Claudia hat gesagt…

Liebe Amelie,

aber machen Dich Deine Emotionen denn nicht auch menschlich? Und bist Du nicht so wie Du bist allen lieb? Was wärst Du für ein Mensch, wenn Du Deine Emotionen verstecken würdest, sie nicht rauslassen würdest, nur mit Dir ausmachst?
Wieviel besser wäre es stattdessen, wenn Du Dir einfach regelmäßig mehr Zeit für Dich nimmst? Es schaffst Deine Energien ins positive umzukehren? Wieviel mehr könntest Du wahrscheinlich geben. Einfach gesagt, ich weiß, ich versuche es ja selber jeden Tag aufs Neue, und nicht immer klappt es.

Alles Liebe,
Claudia!

amelie hat gesagt…

Natürlich darf und kann man sich nicht unterdrücken. Man muss aber ein Ventil finden für all die Trauer, das niemandem schadet. Und heulend mit einem Baby auf dem Schoss zu sitzen, oder jemanden anzuschreien, weil man einfach kein Bock mehr hat, das tut niemandem gut. Und dafür hat mich auch niemand gern, bestimmt nicht. Sie ertragen es vielleicht in Demut oder in der Hoffnung, dass der Anfall vorüber geht. Oder werden eben krank, wenn ihnen kein anderes Mittel bleibt.

Ein Ventil für die starken Emotionen zu finden, das ist der Knackpunkt. Und die Kunst, das Schreiben, der Tanz, das Malen, die könnten dieses Ventil sein. Das zu machen, heisst ja auch, mir Zeit für mich zu nehmen. Und das will ich.

Claudia hat gesagt…

Liebe Amelie,

ich wollte Dir noch sagen, dass ich Dir auf keinen Fall zu Nahe treten wollte, mit dem was ich geschrieben habe, das ist mir ganz wichtig. Du hast Dich so traurig "gelesen" und das hat mich berührt, weil ich Dich als einen sehr engagierten, tollen Menschen hier kennengelernt habe. Ich wollte nicht urteilen, in keiner Form, ich habe einfach geschrieben, was mir in den Sinn kam. Aber vielleicht wären konstruktive Vorschläge angebrachter gewesen...

I hope you don`t mind ;-)

Claudia

Bettina hat gesagt…

Hey Amelie,
lass den Kopf nicht hängen. Ich denke, jedem gehts wahrscheinlich mal so, aber ich finde es gut, wenn jeder für sich sein Ventil findet und so seine Emotionen "abführen" kann. Für dich dann vielleicht der Tanz?

Ich bin ja noch klein, schreibe aber wie ein alter Klugscheißer :-).

Fühl dich gedrückt
Benjamin

Gabriela hat gesagt…

Weisst du, Amelie, als ich deinen Text gelesen habe, ist mir in den Sinn gekommen, wie ich nach der letzten Physiostunde mit Mirjam auf dem Arm noch lange mit der Therapeutin gesprochen habe. Ich habe ja danach sogar noch gepostet. Sie machte mir soviel Mut und bei mir flossen die Tränen, es waren Tränen der Erleichterung, aber auch aufgestaute Tränen meines inneren Leistunsdruckes, welchen ich immer wieder auf die Kinder übertrage, wenn ich ihn mir nicht rechtzeitig bewusst mache.
Ich erinnere mich so gut an den Blick, mit dem Mirjam mich angeschaut hat, fragend, als wolle sie sagen: Warum bist du so traurig?
Es war für mich ein Moment voller Wärme und Liebe. Aber wenn ich jetzt lese, was du schreibst und das weiterdenke, dann muss ich unweigerlich wieder Schuld auf mich laden, denn zwei Tage später begann die Spirale zu drehen, und mit solcher Schuld kann ich weder leben noch atmen, da kann ich nur hinterherspringen.
Ich kann einfach nicht glauben, dass meine menschliche Schwäche, die zu mir, zu meinem Muttersein gehört, über Leben und Tod entscheiden kann. Ich kann ja, wenn ich ein gebrochenes Bein habe, auch nicht tun, als könnte ich einen Marathon laufen. Und wenn mein Hals entzündet ist, kann ich nicht singen.
Klar sind Emotiuonen noch einmal auf einer anderen Ebene wirksam, klar müssen wir daran arbeiten, sie zu verfeinern, ins Gleichgewicht zu bringen.
Ich wollte einfach mein Post noch einmal erklären. Selbst wenn es so wäre, dass meine Trauer Mirjam getötet hat, so darf ich nun nicht mein und das Leben meiner restlichen Familie mit diesem unerträglichen Gedanken auch noch zerstören, denn da kommen Emotionen hoch, die garantiert weit zerstörerischer sind als jene Trauer, die so ganz und gar von Liebe durchtränkt war.

Wahrscheinlich kann ich aber einen solchen Gedankengang auch einfach zu wenig in ein grosses, in ein erlösenderes Ganzes einbinden, weil ich einfach aus einer anderen Tradition komme, eine andere Sprache gelernt habe.

Liebe Grüsse

Gabriela

amelie hat gesagt…

Liebe Gabriela,

mach dir nicht solche furchtbaren Gedanken. Weil du einmal vor Erleichterung mit Mirjam im Arm geweint hast, ist sie doch nicht gestorben. Was für ein absurder Gedanke... Es tut mir schrecklich leid, wenn mein Text bei dir solche Assoziationen ausgelöst haben sollte.

Ich habe meine Erfahrungen und Gedanken aufgeschrieben, aus einer Zeit vor Lolas Krankheit, in der ich SEHR VIEL geweint habe, SEHR VIEL gehadert habe, gar nicht so sehr mit ihr, als mit mir selber. Wo ich eine Schwäche zugelassen habe, die einem Kind eine Stärke abverlangt, die es nicht hat. Da kamen noch ganz andere Gedanken hoch, über die ich nie hier im Blog schreiben werde, die sie mitbekommen hat. Da war eine Hilflosigkeit in mir, ein Weglaufen wollen, eine totale Überlastung, eine Scheiss-egal-Haltung und noch so viel mehr. Und da ist sie krank geworden... Und ich habe nicht auf sie eingehen können und sie ist noch kränker geworden. Und ich habe es zugelassen, denn in dem Moment hatte ich einfach keinen Kontakt zu ihr. Ich habe mich einfach gehen gelassen, denn ich wollte einfach nicht mehr. Es war mir zuviel. Und ich weiss noch wie heute, dass ich dachte, ich schaff das nicht mehr, einer von uns muss ins Krankenhaus. Und dann hat sich meine Brust entzündet. Aber es hat sich keiner dafür interessiert. Und ich konnte ja nicht einfach krank werden. Und da hab ich mich weiter runter fallen lassen, und Lola hat geweint, stundenlang. Zwar war ich bei ihr, aber doch nicht bei ihr. Ich wusste einfach nicht, was sie hatte, was sie wollte. Es hat mich einfach total überfordert. Und dann ist sie noch kränker geworden. Und dann hat sich ihre Lunge entzündet und sie musste tatsächlich ins Krankenhaus. Und erst da habe ich gemerkt, dass ich einfach wirklich nicht mehr konnte. Und da ist alles zusammengebrochen. Aber irgendwie war ich auch erleichtert, denn der Druck war weg, jetzt war sie in anderen Händen. Und ich bin entsetzt aufgewacht, was hast du getan?

Hätte ich mich da nicht so reinsteigern dürfen? Hätte ich vorher um Hilfe bitten müssen? War ich zu schwach? Hätte ich meine Emotionen, meine Trauer unterdrücken müssen? Hätte, hätte, hätte... Ich habe es nicht getan.

Ich habe aber nie ein Schuldgefühl gehabt. Die Schuld hätte ich ja auch Ricardo geben können, der ja weggefahren war und trotz all meiner Telefonate und Hilferufe nicht sofort zurückgekommen ist. Der hatte aber genauso wenig Schuld daran. So würde ich nie denken, und so darfst du auch nicht denken. Niemals. Nicht als Schuld. Es ist einfach viel komplexer...

Aber ich glaube schon, das da ein Zusammenhang ist. Das ich eine Verantwortung habe. Und wenn ich meinen Emotionen freien Lauf lasse, mich meiner Schwäche hingebe, um dann den anderen sagen zu können: 'siehste, so schlimm ist es. Du hast mir ja nicht geglaubt.' Dann habe ich nur mir selber und besonders meinen Kinder geschadet. Und das will ich nicht wieder. Drum werde ich in Zukunft für meine Trauer und meine wild überbordenden Emotionen andere Kanäle suchen...

Aber das ist meine Geschichte. Meine Interpretation. Meine Konstruktion der Realität. Nimm dir das bitte nicht zu Herzen. Du hast eine ganz andere Geschichte.

Ganz liebe Grüsse,
Amelie

Gabriela hat gesagt…

Danke, dass du so ausführlich dazu Stellung nimmst, liebe Amelie.
Ich weiss, dass ich dies als dienen Weg und dein Erleben loslassen will und muss und nun, nach deinen Worten, auch wirklich kann.
Danke!
Ich wünsche dir ganz viele tanzende Emotionen!

Und weisst du, Lola nimmt ja auch all deine Freude, all deine Energie, all deine Kraft, deine Echtheit auf.
Schau sie dir an!

Liebe grüsse

Gabriela