Dienstag, 25. November 2014

Spielerei?

Wenn ich mir für Lola etwas beruflich vorstellen kann, dann später einmal Schauspielerin zu werden... So wie diese drei in ihrem aktuellen Stück 'Drei Schwestern'. Das derzeit in den Sophiensälen in Berlin aufgeführt wird. Was wäre das für ein Traum!

Oder ist er zu hoch gegriffen? Gehe ich zu weit? Schließlich soll Lola das ja einmal alleine entscheiden, ob sie als Künstlerin leben will oder nicht. Vielleicht will sie viel lieber etwas Handfestes, in die Gastronomie vielleicht, wie ihr Frau Sammler, ihre erste Frühförderin, immer prophezeit hat, und was angesichts ihrer Koch- und Backleidenschaft sicher naheliegend wäre....

Und doch wäre Theater sicher auch etwas für sie. Wo sie sich, gerade im pantomimischen Spiel, in einer Präzision und Genauigkeit ausdrücken kann, die ich oft mit Erstaunen und fast Bewunderung beobachte. Mit ihrem ganzen Körper, ihrer ganzen Seele spielt sie ganze Szenen nach, die sie erlebt hat.

Und da ihr immer noch die genauen Worte und die korrekte Grammatik fehlen, oft mit erstaunlichem Detail. Mit wilden Gesten, groß und ausufernd, aber auch kleinen feinen Bewegungen. Ein feines zärtliches Streicheln über die Wange, ein Wimpernschlag, ein Schnalzen mit der Zunge, dass man manchmal den Eindruck hat, man würde das Original erleben. Auch lautes Schreien unter Schmerzen ahmt sie oft so täuschungsecht nach, das die Horterzieher der Schule anfänglich ehrlich besorgt waren.

Ich freue mich jetzt schon auf die ersten Theateraufführungen in der Waldorfschule, ...

Montag, 24. November 2014

Fluch der Freiheit

Jetzt habe ich sie. Freiheit. Freiheit, zu tun und zu lassen, was ich möchte. Vier bis fünf lange Stunden lang. Von 9 bis 14 Uhr. Habe den Traum wahr gemacht, mich befreit aus einem Job, der mich lange schon unglücklich gemacht hat. Bin den Schritt gegangen, gegen die Vernunft, einfach dem Gefühl gefolgt. Wie lange schon hat es mich solche Überwindung gekostet, meine Arbeit zu tun. Immer weiter zu funktionieren, immer mit diesem Widerstand im Bauch, dieser Wut, dieser Unruhe.

Gegen die Pflicht, gegen die Sicherheit, habe ich mich durchgerungen, auf mein Gefühl zu hören. Zu sagen, nein, Stopp! Ich steige aus! Ich kann nicht mehr!

Wie lange hatte ich Angst, genau davor. Zu sagen, ich kann nicht mehr.  Ganz öffentlich. Meine Grenze zuzugeben. Ich kann nicht mehr.

Aber so ist es eben. Ich konnte nicht mehr. Und jetzt, wo ich mich durchgerungen habe, diesen Schritt zu tun, war es so lächerlich einfach, dass ich mich manchmal frage, wieso ich so lange damit gewartet habe....

Das Leben ist ein Geschenk! Und ich will nicht mehr länger warten, es auszupacken. Sondern endlich zuschlagen und es ausleben, meinen Impulsen folgen, mutig sein und neue Dinge ausprobieren. Schauen was passiert. Nicht immer aus Angst, scheitern zu können, alles unversucht lassen. Und vor lauter Wunsch nach Sicherheit am Ende einfach nur sicher unglücklich sein.

Welch ein Schlag. Welch eine Freiheit. Welch ein Geschenk! Das Leben!

Und doch stehe ich dieser Tage in einem seltsamen Zwischenzustand da. Und merke wie ein Teil von mir hadert. Sich den sicheren bequemen Job zurückwünscht. Meine Pflicht tun können, auf die anderen schimpfen können, einen festen Tagesablauf haben, feste Strukturen... Das alles ist jetzt weggefallen. Alle Möglichkeiten liegen vor mir. Ich kann nun gehn, wohin ich will... (zumindest ein paar Stunden lang am Tag)

Und wie seltsam, kaum habe ich die Freiheit, will ich sie schon wieder loswerden. Suche nach neuen verbindlichen Strukturen, regelmäßigen Tätigkeiten, Aufgaben ... Fluch des Pflichtgefühls. Muss ich das auch noch mit ausrotten? Oder Fluch der Freiheit, mit der wie Menschen einfach nicht umgehen können? Oder ich zumindest nicht.

Diesmal zumindest will ich diesen Zustand der Unruhe und Orientierungslosigkeit ertragen. Und mich nicht rastlos in eine neue feste Aufgabe stürzen, nur um irgendetwas zu haben.

Nein, ich will die Freiheit aushalten! Und lernen, wie man seiner Intuition folgt. Als ein Mensch, der jahrelang aus Pflicht heraus gelebt hat. Muss ich vielleicht auch erst lernen, wie man das tut. Im Vertrauen, dass diese Intuition mich einen ebenso guten Weg führt, oder vielleicht sogar einen besseren, als der ja so vernünftige Verstand, der sich leider um Fragen wie Glück und Zufriedenheit manchmal so wenig schert.

Sonntag, 23. November 2014

Was Lola mich gelehrt hat...

Als mein Vater vor drei Jahren starb, wusste ich seit zwei Wochen, dass ich schwanger bin. Mit Pavel. Der damals noch kein Pavel für mich war, sondern nur ein Versprechen. Ein Geschenk des Lebens. Das meinem Vater gerade genommen worden war. Und ich stand zwischen den Welten. Wie an einem Tau rissen die beiden an mir. Der eine vom Anfang, der andere vom Ende her.

Ich hätte vor Trauer mich vergraben wollen, versinken in meinem Schmerz, die Nacht einbrechen lassen für immer und nie mehr auftauchen. Aber in mir war dieses kleine feine Leben, und seine aufkeimende Kraft und meine Verantwortung. Und so drückte ich den Schmerz beiseite. Verbot ihm den Eintritt und zog den Reißverschluss zu, so fest, dass er seitdem sich nicht mehr hat öffnen lassen....

Als das schwarze Gefühl aber eine Zeitlang so mächtig wurde, dass ich fast umfiel und unter der Last zusammen zu brechen drohte, kam kurz die Frage auf, ob es wohl ein günstiger Moment wäre, einem kleinen Wesen das Leben zu schenken. Ob ich nicht ...  (es war das erste und einzige Mal, dass ich mir auch nur jemals diese Frage gestellt habe.)

Nein, niemals!!! Wie soll ich diesem Wesen in mir das Leben verweigern, wenn ich auf der anderen Seite akzeptieren muss, dass mein Vater unwiderruflich gegangen ist. So wie ich seinen Tod akzeptieren muss, muss ich auch das neue Leben akzeptieren. Es ist ein Geschenk. Das ich nicht einfach zurück geben kann. Genauso wenig, wie ich meinen Vater wieder lebendig machen kann. Ich kann es nur annehmen und - tragen. Das Leben und den Tod.

Diesen Weg zu gehen, hat mich Lola gelehrt. Das Leben so anzunehmen, wie es kommt. Immer anders, als wir denken. Einzigartig.

Wenn ich es annehme als etwas, das nicht in meiner Macht steht, weder das Leben und seine Umstände, noch den Tod und seine Umstände, kann ich aufhören zu kämpfen und zu hadern und verzweifeln. Dann kann der Schmerz kommen und auch wieder gehen, so wie die Freude. Denn es liegt nicht in meiner Hand, es zu ändern. Ich kann es nur annehmen. Und loslassen.

Samstag, 22. November 2014

Ärztedynastie


Wahrscheinlich liegt es doch in den Genen. Wo neben dem Großvater auch der Urgroßvater und die Urgroßmutter schon Ärzte waren.... 







Donnerstag, 20. November 2014

Behindert, oder was?

Ich bin selber nicht behindert. Noch nichtmal seh-behindert. Ich weiß nicht, wie sich das anfühlt. Wie es ist, diskriminiert zu werden, komisch angeschaut zu werden. Immer wieder unterschätzt zu werden, auf diese (kleine) Abweichung reduziert zu werden. Sofort in einer Schublade zu landen. Ich kann eigentlich nicht mitreden. Und doch ... will ich Euch dieses Ereignis erzählen, was mir gestern passiert ist. Mich aufgewühlt hat und irritiert.

Wir waren abends noch einen Wein trinken. Maxim und ich. In einer netten Weinbar in der Leipziger Innenstadt. Mit dem Bauch voller Tapas und dem Kopf voll spanischem Weißwein. Kurz: bestens gelaunt. Als sich ein äusserst sympathischer Herr im Rollstuhl zu uns an den Tisch gesellte. Was wirklich nicht üblich ist, einfach seine Tischnachbarn anzusprechen. Er tat es, und mit einer solchen Offenheit und Herzlichkeit, dass ich mich sofort angesprochen fühlte. Ein witziges und absolut unkonventionelles Gespräch entspann sich, über Leipzig, Theater und Schauspiel (er ist u.a. Schauspieler), Energien zwischen Menschen, Anziehung und derlei Dinge. Dazu das schelmische Grinsen des Herren, seine prägnante Unterlippe und der Schalk in seinen Augen. Ein Double von Petrucciani hätte er sein können, dem französischen Jazzpianisten, ganz ähnlich vom Aussehen. Denn auch er hat die Glasknochenkrankheit und ist kleinwüchsig.

Als ich ihn näher darauf ansprach, wurde der Ton etwas vorwurfsvoll und aggressiv, den das Gespräch vorher gar nicht gehabt hatte. Hatte ich etwas falsches gesagt, irgendwie komisch geguckt? 'Du schaust mich so kritisch an', sagte er. Vielleicht weil ich seine Erzählung spannend fand? Nicht einen Moment  hatte ich an sein Aussehen gedacht, an seine kurzen Arme, an seinen Rollstuhl. Sah nur den Schalk in den Augen, hörte den Witz in seiner Stimme.

Plötzlich begann er, sich zu rechtfertigen. 'Ja, er sei eben behindert. Damit kämen viele nicht zurecht. Da wussten die Leuten nicht, wie sie sich verhalten sollten. (...) Eine Krankheit, nein, die habe er nicht. Die könnte ja geheilt werden. Aber seine Knochen, einmal gebrochen, immer gebrochen. Das war keine Krankheit. Und kleinwüchsig, was das sein solle? Die anderen, seien die etwa alle grosswüchsig? Könnte man ja auch sagen... '

Und das Gespräch glitt ab. In einen Rechtfertigungsmonolog, dem ich irgendwann gar nichts mehr entgegen setzen wollte. Hatte ich doch das Gefühl, egal was ich sagen würde, nur in noch größere Fettnapfen zu springen. Für den Vergleich mit Lola hätte er mir wahrscheinlich die Augen ausgestochen, da kommt man dann hin, wenn man den Terminus behindert einführt...

Und der sympathische, weltoffene, unkonventionelle Herren, dessen Äußeres mir nur positiv aufgefallen war, wurde plötzlich zum Märtyrer, zum Behinderten, zum 'Krüppel', wie er sich selber plötzlich anfing zu bezeichnen. Abgestossen von seinen Selbstbezichtigungen (die er den anderen zum Vorwurf machte) rutschten wir wieder auseinander und verließen kurz drauf den gemeinsamen Tisch.

Wie unglaublich stark doch unser Selbstbild auch das Bild der anderen von uns prägt, ist mir in diesem Moment deutlich geworden. Vielleicht wollte er das in mir provozieren? Ich weiß es nicht. Jedenfalls bis zu dem Punkt, wo er selber seine körperliche Besonderheit nicht weiter erwähnt hatte als etwas, das ihn definiert oder gar limitiert, existierte diese Begrenzung auch für mich nicht. Gar nicht. Erst als er anfing, sich dagegen zu wehren.

Seltsam, das Ganze mal aus der anderen Perspektive zu erleben. Wie Unbeteiligte sich fühlen, wenn man als Mutter eines Kindes mit Down-Syndrom plötzlich anfängt, sich für sein Kind zu rechtfertigen. Dass Down-Syndrom keine Krankheit ist. Was besonders daran ist und das Kind deswegen wenig spricht. Dass es sich entwickeln wird, aber eben in seinem Tempo ... (undsoweiter).

Wie irritierend muss es für Aussenstehende sein, dass ich als Mutter mich plötzlich für mein Kind entschuldige. Dass es noch nicht bis zehn zählen kann, noch nicht sicher auf einem Bein stehen. Wer würde das sonst bei einem Sechsjährigen. Wie irritierend muss das für Menschen sein, dass eine Mutter nicht einfach nur liebevoll auf ihr Kind schaut und all das sieht, was es kann, wie es lacht, wie es strahlt. Wie es ihr Herz wärmt .... oder auch anheizt, wenn es mal wieder nur Bockmist verzapft. Wie alle Kinder.

Lola ist Lola. Und ich liebe sie! Und ich könnte schreien, wenn sie auch meine fünfte Aufforderung noch überhört, als wäre sie taubstumm. Aber behindert, ist sie nicht! Sie wird höchstens behindert! Von meinen Gedanken über sie, von den Gedanken der anderen über sie oder von ihren eigenen Gedanken über sich selbst.

Und ich will alles daran setzen, dass die limitierenden Gedanken der Gesellschaft über sie niemals eindringen in ihren Kern, an ihrem Selbstwert rütteln und sie in die Verteidigung zwingen (ohne dass sie angegriffen wurde). Sondern dass sie vor allem ihre Möglichkeiten sieht, ihre Neugier, ihren Wunsch zu wachsen, sich zu entwickeln, unabhängig und selbständig zu werden. Ihren Weg zu gehen. Mit meiner Unterstützung und der von vielen anderen Menschen, die an sie glauben. Auf dass sie selber an sich glaubt! Und zur Not auch dafür kämpft, ihren Weg gehen zu dürfen. Aber nicht als Vorwurf an die Gesellschaft, sondern aus der Kraft heraus und mit dem Willen, sich selbst zu behaupten. Als Mensch und Individuum.

Der Terminus 'behindert' soll deswegen nicht in Abrede gestellt werden. Denn als Label für Unterstützungsbedarf (auf dem Ausweis, bei der Pflegestufe, bei der Steuer) ist er unabdinglich. Aber als Etikett, um sich dadurch reell oder gedanklich zu begrenzen oder begrenzen zu lassen, ein No-Go!

Sieben Jahre, und schon in der Pflege!



Mit nunmehr sieben Jahren kann man sich schon mal beruflich orientieren... 


Und bei so viel mütterlicher Fürsorge im Blut und mit den Genen des Opas (zeitlebens Menschenarzt), ist die ärztliche oder pflegerische Tätigkeit ein Berufsfeld, das bei Lola auf jeden Fall Zukunft hat.


Die verpflasterten, ganzkörperverbundenen Patienten hab ich heut noch nicht vor die Kamera bekommen. Vielleicht sollten wir die erstmal zu ihren Erfahrungen mit der jungen Ärztin befragen.


Das Outfit steht ihr auf jeden Fall bestens!


Alles Gute also Geburtstagskind!!! Auf dass du deine Passion weiter ausbauen kannst!

Mittwoch, 12. November 2014

Einer fehlt...

Drei Jahre genau ist es her, dass mein Vater, Lolas Opa, aus dem Leben gegangen ist... Von einem Tag auf den anderen. Hinterlassen hat er ein Meer an Fragen und eine dicke Wand, die ich seitdem um mich und meine Gefühle gezogen habe.

Seit einigen Wochen habe ich den Mut gefunden, mich heranzutasten und kleine Löcher zu graben, Antworten zu suchen. Werde aber regelmäßig von Gefühlen von solcher Kraft überschwemmt, dass ich keine Namen dafür habe. Die mir solche Furcht einjagen, dass ich mich nur schrittchenweise vorwage.

Und heute, am Tage X, schlichtweg komplett gefühlstaub bin.

Die Trauer zulassen... Sage ich das nicht selber in meinem Buch? In der Reportage über uns? Wenn ich es nur könnte.

Wir haben heute eine Kerze angezündet für den Opa, die schon den ganzen Tag brennt. Und die Mädels haben über den Opa erzählt, woran sie sich erinnern...


Das sind die letzten gemeinsamen Bilder.


Da ist Lola drei Jahre alt.


Und beim Stöbern nach alten Bildern habe ich ein paar interessante Ideen meines Vaters zum Thema Down-Syndrom gefunden, die ich in einem alten Blogbeitrag zum Glück festgehalten habe.

Wie er mir fehlt....

Wie du mir fehlst!

Dienstag, 11. November 2014

Herbstzeitliches...


Die Mützenbande... 


Auf dem Weg zum Bäcker...


Im Nähstübchen...





Warum Lola dran glauben muss...

Menschen wie Lola passen einfach nicht ins Raster unserer Gesellschaft. Durchrationalisiert, dem Leistungsdenken verpflichtet, durch Moden und Hypes weitestgehend gleichgeschaltet... Man identifiziert sich mit seiner Arbeit, frei nach dem Motto 'Ich arbeite, also bin Ich'.

Was soll da ein Mensch, der vor allem der Lust und dem Moment verpflichtet ist? Dem Genuss und dem Sein in seiner Fülle. Der die Befriedigung seiner Bedürfnisse nicht aufzuschieben bereit ist bis nach Arbeitsschluss oder ins Rentenalter. Sondern jetzt, heute und hier lebt. Und auf keine (falschen) Versprechung reinfällt... (Außer, dass sie gleich im Auto vorne sitzen darf, wenn sie jetzt endlich ihre Laterne aufhebt und an meiner Hand bis zum besagten Auto geht. Und zwar jetzt!!)

(Und natürlich übertreibe ich maßlos, denn nichts wünsche ich mir sehnlicher, als dass Lola einmal einfach nur funktionieren würde. Ich sage: A. Und Lola macht: A. Aber nein!)


Nur was ich mich wirklich frage: Warum hat es die Pränataldiagnostik derartig auf Menschen mit Down-Syndrom abgesehen? Weil es dummerweise so viele vorgeburtliche Untersuchungen gibt, die schon früh Hinweise auf ein Vorliegen einer Trisomie 21 liefern und abrechenbar sind, also eine gute Einnahmequelle für die Frauenärzte und Humangenetiker darstellen?

Oder sind Menschen wie Lola aus volkswirtschaftlichen Gründen zu eliminieren, als sichere Kostenträger der Kranken-, Sozial- und Rentenkassen? Aber bei 600 - 800 Geburten im Jahr ist das doch keine Masse....

Wie viele schwerst-kriminelle Menschen, alte und kranke Menschen leben in unserem Land. Aber Todesstrafe oder aktive Sterbehilfe zu fordern, wäre ein Skandal! Warum ist die gängige Praktik der Pränataldiagnostik kein Skandal? Ist sie im Grunde nichts anderes als massiver öffentlicher Druck auf Frauen, sich für Euthanasie am eigenen Kind zu entscheiden. Im Interesse der Reinhaltung der Gesellschaft von Menschen, die keine Leistungsträger zu werden versprechen, sondern Leistungsempfänger... (Selektion nicht nach Rasse, sondern nach Leistungsethos!)

Mittwoch, 5. November 2014

Ein leichter Fall...

Neulich, bei einer Lesung, meinte eine Zuhörerin zu mir, 'Lola sei aber auch ein leichter Fall, das müsse ich wissen...' Ein leichter Fall? Wovon? In Vergleich zu wem?

Erstens. Keines meiner drei Kinder ist ein 'leichter Fall'. Alle drei sind absolut beratungsresistent, wenn es um für sie grundsätzliche Dinge geht (wie und wann man Geige übt, welche Gummistiefel tragbar sind und wann und in welchem Tempo man sich den Schlafanzug anzieht). Und durch nichts und niemanden dazu zu bewegen, etwas zu tun, was sie nicht wollen.

Und alle drei sind gnadenlose Spiegel meiner Launen. Bin ich im Unreinen mit mir und der Welt und der Tag ohnehin verloren, laufen sie Amok. Beschießen mich, mit provokanten Sprüchen, permanentem Widerstand und übertriebener Langsamkeit.

Immer und immer wieder fordern sie eine starke Mutter, die weiß, was sie will, für sich steht, absolut authentisch ist und gut für sich sorgt. Ohne Mitgefühl für mich und meine Schwächen. Alle drei. Halten mir gnadenlos den Spiegel vor...

Lola ist da vielleicht nur noch gnadenloser. Weil sie die kleinste Nachgiebigkeit, Schwäche, Ambivalenz oder Müdigkeit sofort erspürt. Weil sie so feinfühlig ist, dass sie meine Gedanken über sie lesen kann. Und wenn ich nur die Ahnung davon in mir zulasse, dass sie gleich bestimmt wieder im Auto sitzen bleibt und ich sie wieder nur mit Geschrei rausziehen kann, dann kann ich sicher sein, dass es genau so eintreffen wird... Sie ist die lebendige 'sich-selbst erfüllende Prophezeiung'.

Nein, in der Hinsicht ist Lola kein 'leichter Fall'. Genauso wenig wie ihre Geschwister.

Aber das meinte die Dame ja gar nicht mit dem 'leichten Fall'.... Thema verfehlt, Amelie. Total das Thema verfehlt...

Ist halt immer die Frage, womit man vergleicht. Mit anderen Kindern mit Down-Syndrom? Keine Ahnung. Jedes eine Sondermarke.

Sonntag, 2. November 2014

Pränataler Fluch...

Ursprünglich sollte in dem MDR-Beitrag über uns auch Monika Hey mitwirken. Eine Journalistin, die vor zwei Jahren das Buch 'Mein gläserner Bauch' veröffentlicht hat. Über ihre Erfahrungen mit der Abtreibung ihres Sohnes mit Down-Syndrom im Jahr 1998. Ein Buch, das unter die Haut geht. Das jeder gelesen haben sollte. Die, die vor der Frage einer Abtreibung stehen und all die anderen. Es ist ein todtrauriger und unglaublich mutiger Bericht, über ihre innerste Erfahrung mit der (quasi ärztlich genötigten) Entscheidung, ihr Kind abzutreiben. Dem traumatischen Erlebnis der Abtreibung selbst, das sie in einer Offenheit berichtet, mit Bildern, die mich lange nicht wieder losgelassen haben. Und der psychischen Krise, in die sie daraufhin gerät und die sie sicher auch durch das Schreiben dieses Buches zu bewältigen sucht.

Leider, leider war sie aus Krankheitsgründen verhindert, an der Reportage mitzuwirken. Vielleicht wollte sie auch nicht. Unser (oft anstrengendes, aber kunterbuntes) Glück gegen die Abwesenheit eines geliebten Menschen gestellt zu sehen, nichts stelle ich mir schmerzhafter vor.

Und doch möchte ich an diesem Punkt drauf hinweisen. So öffentlich. Denn als die Filmemacher der Reportage, Stephan Liskowsky & Dinah Münchow, eine andere betroffene Mutter gesucht haben, die über ihre Erfahrungen nach einer Abtreibung berichtet, haben sie trotz intensiver Recherchen keine gefunden. Keine einzige. Die bereit gewesen wäre, öffentlich darüber zu sprechen. Noch nichtmal anonym.

Was in erschreckender Weise deutlich macht, vor welch einem menschlichen Drama wir stehen. Über das niemand berichtet. Niemand! Weil alle schweigen. Aus Schmerz, aus Scham, aus Trauer oder Wut.

Es hört sich so leicht an. Ein Bluttest. Die Kassen übernehmen die Kosten. Keinem Ungeborenen wird Schaden zugefügt. Und wenn das Ergebnis positiv ist? Abbruch der Schwangerschaft.

Um Leid der Mutter zu vermeiden. Das ist die Logik der 'medizinischen Indikation', die Abtreibungen auch nach der 12. Woche erlaubt. Und niemand beschmutzt sich die Hände, denn es geht ja allein um das Wohl der Mutter (und des Vaters). Die vor dem bedrohlichen Leid eines Lebens mit einem Kind mit Trisomie 21 bewahrt werden. Die Entscheidung für die 'Euthanasie' wird in die Hände der Eltern gelegt. Gesellschaftlich abgesegnet.

Aber was für ein Leid durch die Entscheidung entsteht? Darüber spricht keiner. Weil sich keiner darüber öffentlich zu sprechen traut. Weil das Thema Tabu ist. Über die Leere, die ein Mensch hinterlässt, den man nicht gewollt hat. Über dessen Tod man nur so schwer trauern kann. Weil man ihn selber herbei geführt hat.

Weil er der Vorstellung vom idealen Kind so gar nicht entsprechen wollte. Aber welches Kind lässt man dann zu? Was muss es denn können, damit es gewollt ist? Welchen Mindest-IQ, Notendurchschnitt und Grad an Anpassungsfähigkeit darf es denn haben, damit es leben darf? Wo fang ich da an? Wo hör ich auf? Dürfte ich leben, mit meinen Launen? Meinem Rauf und Runter? All meinen Zweifeln und depressiven Verstimmungen? Bin ich stabil und belastbar genug, oder wäre ich auch durchs Raster gerutscht, wenn man darauf testen könnte?

In der Zeitschrift Leben mit Down-Syndrom war vor einiger Zeit ein Artikel über eine Fragebogenuntersuchung unter Eltern eines Kindes mit Down-Syndrom. Wie sich die Geburt ihres Kindes auf ihr Leben, auf ihre Partnerschaft, auf die Beziehung zu anderen Geschwistern ausgewirkt habe. Die große Mehrheit der Eltern antwortete: positiv. Dasselbe fragte man auch Eltern, die ein Kind mit Down-Syndrom abgetrieben hatten. Die Mehrzahl antworteten, dass sich die Entscheidung negativ auf ihre Partnerschaft, auf ihre Lebenszufriedenheit und die Geschwisterbeziehung ausgewirkt habe.

Leid verhindern? Kann man durch die Entscheidung gegen ein Leben wirklich Leid verhindern? Oder nicht umso mehr schaffen? Im Stillen.

Samstag, 1. November 2014

Freigeist auf Rädern


Lola ist geboren für den zivilen Ungehorsam. In keiner Armee würde sie mit marschieren. Keine sinnlosen Marschbefehle befolgen, durch nichts und niemanden sich manipulieren lassen, wenn sie nicht selber überzeugt ist, dass ein Schritt für sie sinnvoll ist. Für jedes autoritäre Regime ist sie vollkommen unbrauchbar!

Das sage ich mir manchmal in meiner Not, wenn ich an Lola und ihrer unglaublichen Willensstärke wieder mal zu verzweifeln drohe.

Und wenn ich darüber nachdenke, bewundere ich sie sogar dafür. Was für eine Kraft und innere Stärke sie besitzt. Wie viel Vertrauen in die Welt. Was für eine unglaubliche Sicherheit, dass ich sie weiter lieben werde.

Trotz ...

aller Schimpftiraden: "Fahr mit deinem Fahrrad weiter, fahr jetzt weiter! Wir müssen nach Hause, Jetzt!!!!!! Steig auf!!! Das kann doch nicht sein, dass du alle 5 Meter stehen bleibst.... "

Aller Wut: "Es reicht!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!"

Aller Erpressungs- und Bestechungsversuche. "Wenn du nicht weiterfährst, kannst nie wieder Laufrad fahren. Nie wieder! Oder am besten, wir lassen das Rad einfach hier liegen. Siehst du, da liegt es.... Und Mittagessen gibt es auch keines... "

Aber Lola bleibt sitzen!!!!!! Eine halbe Stunde lang bleibt sie sitzen. Und lässt mich toben! Was für eine innere Stärke!

Erst als ich, am Ende meiner Kraft, langsam einsichtig werde, dass sie sich nicht einschüchtern, nicht erpressen, nicht manipulieren lässt. Dass alle Androhungen nichts bringen. Und mich zu ihr knie, den Ärger runter schlucke, einatme, ausatme. Und sie frage: 'Lola, was willst du eigentlich? Was genau willst DU?' Schaut sie mich zum ersten Mal an.

Willen hat sie ja. Zumindest den starken Willen, nicht zu tun, was ICH will. Vielleicht muss ich ihren EIGENEN Willen ansprechen?

'Hause gehn', sagt sie. 'Lola Hause gehn. Brot essen. Marmelade-Brot.'

'Du willst also nach Hause gehen. Und da eine Marmeladenbrot essen?'

'Ja', sagt Lola.

'Na, dann lass uns schnell fahren und Marmeladenbrot essen,' sage ich.

Und Lola springt auf, steigt aufs Rad und fährt schnurstracks nach Hause. Ohne einmal anzuhalten.

Weil SIE es will!Freigeist auf Rädern