Dienstag, 12. November 2024

Für meinen Vater

Heute vor 13 Jahren ist mein Vater von uns gegangen. Ein Tag, der sich in mein Leben gebrannt hat. Mir den Boden unter den Füssen weggezogen hat. Mein Grundvertrauen in das Leben tief erschüttert hat. 

Wie habe ich damals all die Trauer, den Schock, den tiefen freien Fall, bewältigen können? Ich war gerade schwanger mit Pavel, Lola war drei Jahre alt und Greta fünf. So klein noch, und ich, so jung. 

Mit großer Kraft bin ich durch diese Zeit der tiefen Trauer und Fassungslosigkeit gegangen! Woher sie kam, erinnere ich nicht mehr. Kann es mir heute kaum erklären.

Ich fühlte mich innerlich getragen, von der Liebe zu meinen Kindern und einem tiefen Vertrauen. In Gott - oder welcher Kraft auch immer, die uns lenkt. Im Wissen, dass ich die Dinge nicht ändern kann. Dass ich die Entscheidung meines Vaters nicht ändern oder rückgängig machen kann. Sondern dass wir geführt werden.

Dieser tiefe Glaube und ein grosses Vertrauen in das Leben haben mich damals getragen. Sowie der Halt und die Liebe so vieler Freunde, von Kollegen, Bekannten - und damals auch den vielen Lesern meines Blogs, denen ich mich so nah und verbunden fühlte. Dass ich hier direkt über seinen Tod geschrieben habe. (Wenn auch nie über das innere Chaos, in das er mich zunächst gestürzt hat. Dafür war das nicht der Raum.)

Und ich bin heute noch zutiefst dankbar für all diese Liebe und Unterstützung, die ich damals geschenkt bekam. Und von meinem tiefen Vertrauen in das Leben, das mich und meine Kinder so gesund und stark durch diese Zeit geführt hat. Dass ich nie am Leben verzweifelt bin, gehadert habe, sondern immer mit Zuversicht nach vorne geschaut habe. Und mit grosser Fülle und Liebe gesegnet wurde. 

Und ja, auch wenn mein Vater viel zu jung gegangen ist, mit damals 68 Jahren, habe ich diese Kraft, mit Zuversicht und Optimismus nach vorne zu blicken, das Machbare in die Hand zu nehmen, immer die Fülle zu sehen und nicht das, was fehlt, von ihm geschenkt bekommen. Er hat es mir zeitlebens vorgelebt, mich bestärkt, weiterzugehen, auch wenn es aussichtslos schien. Mich ermutigt, neue Wege auszuprobieren, neue Länder zu bereisen, neue Berufe zu erlernen. Er stand immer, sein Leben lang, vertrauensvoll hinter mir. 

Und dafür bin ich ihm heute noch zutiefst dankbar. Für diese innere Kraft, diesen Glauben an mich selbst, und vor allem den Glauben an das Gute im Menschen und den Wert eines sinnerfüllten Lebens, im Dienste von anderen. Das er mir immer vorgelebt hat, auch als Arzt und Familienvater. 

Noch heute bin ich tieftraurig, dass ihn in dieser Lebensphase vor seinem Tod die Schwermut erfasst hat, er auf einmal am Leben verzweifelte und sich nicht mehr kraftvoll genug sah für die Aufgaben, die er sich selber gestellt hatte - leider viel zu groß und ehrgeizig. Dass er seine Kraft verloren glaubte, und auf einmal nur noch sah, was er nicht mehr hatte und nicht mehr konnte. Wir alle sind nicht vor Phasen gefeit, dass auch uns die Kraft, der Glaube und die Zuversicht auf einmal fehlen. Dass wir nur noch das Dunkle sehen. 

Leider hat er sich damals niemandem anvertraut. Konnte sich nicht öffnen, den Schmerz und das Zweifeln, seine Schwäche niemandem zeigen und irgendwann nicht länger ertragen. Sondern suchte neue Sicherheit - die er damals für sich nur im Tode fand. Heute noch bin ich bestürzt, dass niemand von uns das damals gesehen hat. Niemand ihm hat helfen können. 

Aber es ist, wie es ist. Ich konnte es damals nicht ändern, sondern nur annehmen, und ebenso heute. Gottes Wille? Sein Schicksal? Ein dummer Zufall? Ein Hirninfarkt? Ich weiß es nicht.  

Doch der Gedanke hilft mir immer noch, dass wir dem Leben vertrauen können. Dass es uns führt. Damals wie heute. Auch wenn mein Vater dem Leben leider damals nicht mehr vertraut hat. Wie er es jahrelang vorher getan hatte. 

Ich wünsche mir und uns allen weiterhin das tiefe warme Vertrauen in das Leben, seine Wendungen und Wirbel, seine Höhen und Tiefen, durch die es uns trägt. Wie ein Boot über das aufgewirbelte Meer. 

Was mir dabei immer sehr hilft, mich daran zu erinnern, ist das Schreiben. Und das Lesen. 

Ein Gedicht, das mir damals sehr geholfen hat, wieder neues Vertrauen zu gewinnen, in 'das Unmögliche', den Neuanfang, ist dieses wunderbare Gedicht von Mascha Kaléko.

 Resignation für Anfänger

Suche du nichts. Es gibt nichts zu finden,
Nichts zu ergründen. Finde dich ab.
Kommt ihre Zeit, dann blühen die Linden
Über dem frischgeschaufelten Grab.

Kommt seine Zeit, dann schwindet das Dunkel,
Funkelt das wiedergeborene Licht.
Nichts ist zu Ende. Alles geht weiter.
Und du wirst heiter. Oder auch nicht.

Zwischen Vergehen und Wiederbeginnen
Liegt das Unmögliche. Und es geschieht.
Wie und Warum waren nie zu ersinnen.
neu klingt dem Neuen das uralte Lied.

Geh nicht zu Grunde, den Sinn zu ergründen.
Suche du nicht. Dann magst du ihn finden.

 

Danke, Papa, dass es Dich - für mich und uns alle - gegeben hat! Dein Licht leuchtet weiter. 

Montag, 11. November 2024

Weg mit dem Kinderkram!

Am Sonntag vormittag hat Lola ausgemistet, was sie schon seit Wochen vorhatte. Sie hat sich ihre Kisten und Kästen und Schachteln geschnappt und alles in den Müll geworfen, was sie nicht mehr braucht. 

Manches erschien ihr (bzw. mir) dann doch zu schade, zum Wegwerfen oder in die Verschenkekiste legen, das kam in die Flohmarkt-Kiste.

Normalerweise hängt sie sehr an ALLEM. Will nichts wegwerfen, bewahrt selbst bekritzelte Blätter in dicken Stapeln auf. Aber an diesem Vormittag war sie wie verwandelt. Und sogar bereit, sich von so manchen lieb gewonnen Dingen ihrer Kindheit zu trennen. 

Und so wanderten alte Perlenketten, Schleichtiere, Schlümpfe, Hello Kitty -Tagebücher, ja selbst Bibi-und-Tina-Hefte in die Flohmarktkiste.

Es war sehr berührend, sie so innig und selbstversunken sitzen zu sehen. Ein Ding nach dem anderen glitt durch ihre Hand. Sie erinnerte sich, und dann legte sie es einfach entweder in den Müll, in die Flohmarktkiste oder in die Schachtel zurück. 

Nur beim Fotobuch ihrer Klasse aus den ersten acht Schuljahren blieb sie lange hängen, und schaute und schaute. Und erinnerte sich so mancher lieber Freunde und Klassenkameraden, die längst schon nicht in der Klasse sind. 

 Ja, sie wird wohl langsam erwachsen. Und beginnt sich zu lösen....

Vielleicht sollte ich mir an ihr ein Beispiel nehmen. Und mir auch einen Aufräum-Erinner-Aussortier-Tag gönnen. Mir fällt es oft schwer, mich von alten, liebgewonnenen Gegenständen und Erinnerungsstücken, Büchern, oder Klamotten zu trennen. Dabei nehme ich es mir lange schon vor, um endlich wieder frische Energie in meine Zimmer zu lassen und Raum für Neues zu schaffen, im Innen wie im Außen. 

Sie hat mir gestern wieder gezeigt, wie gemütlich so ein Tag sein kann. Voller Innigkeit und Erinnerung. Und dann  - weg damit! Einmal tief atmen und - loslassen!

Sonntag, 10. November 2024

Zwei Meerjungfrauen in der Sachsentherme

 "Was machen wir am Wochenende", fragte Lola schon am Freitagnachmittag. Denn sie will immer gerne früh planen.

Puh, chillen, dachte ich. Einfach ma nix machen, nix planen. Rumbummeln... 

Aber das geht gar nicht für Lola. "Was machen wir, Mama?", setzte sie mit Nachdruck hinterher. 

Und ja, gute Pläne und schöne Vorhaben sind ja oft eine wchtige Voraussetzung, um in der verbleibenden Zeit gut entspannen zu können. Und so überlegte ich doch mal scharf, was Lola Spass machen könnte.

"Vielleicht schwimmen gehen?", versuchte ich. 

"Ja!", jubelte Lola. "Sachsentherme". Und nach kurzem Überlegen: 'Lea fragen, mitkommen kann." 

Ja, klar warum nicht? Lea hat auch Down-Syndrom und geht in Lolas Schule. Zwar zwei Klassen unter ihr, aber sie kennen sich vom 'Schulclub'. Und die beiden verstehen sich seit ein paar Monaten wirklich gut. Und das wäre doch wirklich mal eine schöne Idee, ein anderes gleichaltriges Kind mitzunehmen.

Denn Lola hat bisher nicht so viele gleichaltrige Freunde hier vor Ort. Was wirklich schade ist. Aber so richtig hat es mit niemandem 'gefunkt' bisher. Denn leider ist Lola öfters etwas 'eigen', ruppig in ihrer Art und macht oft einfach ihr Ding. 'Genügt sich selber'.  Und oft habe ich mich bisher auch nicht genug bemüht, sie mit Gleichaltrigen zusammen zu bringen. Weil ich das eben auch immer organisieren muss.

Also, klar. Das wäre doch mal DIE Gelegenheit. Wenn Lola schon selber Lust hat. 

Und so fragte ich Lea's Mutter an, ob ihre Tochter Lust hat, und ja! Lea hatte Lust auf schwimmen, und sogar Zeit. Und Lola jubelte! 

Und so fuhren wir vorhin auf dem Weg zur Sachsentherme bei Lea zu Hause vorbei und holten sie ab. Und Lola war überglücklich! Und Lea zwar noch etwas schüchtern und zurückhaltend zu Beginn, zumal auch Pavel dabei war. Aber kaum waren wir in der Therme, schossen die beiden wie Meerjungfrauen durchs Wassser, tauchten, drehten sich, machten Handstand und sprangen vom Beckenrand, dass es eine Freude war. 

Herrlich, sie so schön mit einer 'Freundin' zusammen zu sehen.

Obgleich ich Lola, wenn ich ehrlich bin, im Vergleich zu Lea doch als recht einzelgängerisch empfand. Oft nicht gut in der Lage, auf ihre neue Freundin einzugehen, oder ein Spiel zu initiieren. Lea war da doch sozialer, zugewandter, gesprächiger. Und unglaublich gut organisiert. Schon beim Umziehen, beim Ordnen ihrer Sachen, war sie total selbständig. Wo Lola sich immer viel mehr von mir 'bedienen' lässt (und ich ihr auch immer brav helfe). 

Auch beim Duschen hatte Lea all ihre Duschsachen dabei, holte Shampoo aus dem Beutel, duschte sich ab, zog sich total selbständig alles an, fönte sich am Ende die Haare. Irre, sie brauchte wirklich KEINERLEI Hilfe von mir. Was mich wirlich baff machte. 

Und doch wieder die Frage für mich aufwarf, ob ich Lola eben doch viel zu viel helfe. Ihre Sachen aus der Tasche hole, ihr alles hinterhertrage. Ihr die Dusche anmache, die Haare einschäume. Alles Dinge, die sie super alleine kann. Wo sie aber oft so ruppig wird, wenn ich sie nicht unterstütze, dass ich es der Einfachheit halber dann doch oft mache. Und eben damit verhindere, dass sie es selber lernt. Ganz klassisch, die 'erlernte Hilflosigkeit'. Ein Begriff, den ich schon lange kenne, und doch nicht davon gefeit zu sein scheine, dass Lola genau das leider erlernt zu haben scheint.

Ach, nun bin ich in meinem Schreiben so kritisch ihr und mir gegenüber geworden. Dabei wollte ich doch eigentlich nur von dem schönen gemeinsamen Nachmittag mit Lolas neuer Freundin Lea berichten, endlich einmal! Über den ich mich so gefreut habe. Und Lola auch! Danke dafür!

Samstag, 9. November 2024

Abendstimmung am See

Nach einem gemütlichem Samstag zuhause - mit langem Ausschlafen nach der gestrigen, wirklich wilden und herrlichen Party und einer kleinen Putzaktion  - bin ich am späten Nachmittag wieder mit Lola an den Cospudener See geradelt.

In der Stadt schien der Abend einfach nur grau, neblig und ungemütlich. Und ich konnte nicht nachvollziehen, wieso Lola bei diesem Wetter schon wieder unbedingt zum See wollte.

Aber kaum dort angekommen, verstand ich sie. Es erwartete uns solch eine bezaubernde Abendstimmung, dass ich nicht bereute, im Halbdunkel durch den düsteren Auwald gefahren zu sein. Fedrige rote Abendwolken über den feinen Nebelschwaden, die über den See krochen. Zu schön....

Dummerweise hatte ich mein Handy zu Hause liegen lassen, was mich wirklich ärgerte. Wenn ich so schöne Momente erlebe, habe ich immer das Bedürfnis, sie nicht nur in meinem Kopf und meiner Seele, sondern auch mit der Kamera festzuhalten. Ein echter Tick von mir.

Als ich darüber mit Lola redete, bekam das ein junger Mann mit, der am See natürlich gerade Fotos schoss. Und bot mir an, dass ich ruhig ein paar Bilder mit seinem Handy machen könne. Und er würde sie mir dann später schicken. 

Was für ein schönes Angebot, das ich dankend annahm. Und so habe ich gerade eben ein paar wunderschöne Bilder vom Wolkenzauber über dem Cossi von ihm bekommen, und dazu sogar noch ein Bild von Loli und mir. Die ich nun hier teilen kann. Tausend Dank dafür!

Freitag, 8. November 2024

Grau

 Ein grauer Tag heute. Innen wie außen. Dabei hatte ich 'gar nicht viel zu tun'. Hätte einfach im Müßiggang die Dinge tun können, die mir Freude machen. Durchatmen, nach den letzten krachvollen Tagen. 

Aber gerade das Abspannen fällt mir oft schwer. Viele To-Do's abzuarbeiten ist manchmal leichter. Wo ich dann in den wenigen verblieben mini-engen Timeslots etwas Schönes mache, wie die Spaziergänge über die Brache. 

Breitet sich hingegen ein ganzer Vormittag vor mir aus, mit relativ wenigen beruflichen Aufgaben, schaffe ich es regelmäßig, diese wenigen Dinge gleichmäßig auf den ganzen Tag bis in den frühen Nachmittag zu verteilen. Indem ich einfach ganz ganz langsam arbeite.... Und am Ende vom langsamen Arbeiten und vielen Grübeln viel erschöpfter bin als an produktiven Tagen. 

Nun ja, so ist es wohl manchmal. 

Beim Abendbrot mit Lola habe ich sie gefragt, was sie heute Schönes gemacht hat. (Die Frage stellte ich eigentlich an mich selbst). 

"Mama, will nicht reden", brummelte sie mich an über solch eine unsinnige Frage. Überlegte dann aber doch kurz. "Du schönes kochen morgen, ja?" Und deutet auf das neue 'Tim Mälzer Kochbuch - Vierundzwanzigsieben' das ich neulich bei der Grassimesse erstanden habe. Eigentlich vor allem wegen des tollen Designs, mit Grafiken von 'Doppeldenk', einer Leipziger Künstlergruppe, die hier in der Stadt ganze Fassaden verzieren.

Ja, ich könnte wirklich mal was Schönes aus dem Buch kochen. Denn darin gibt es wirklich tolle, super leichte Rezepte. Und die "Spaghetti al Rayú" neulich, mit einer scharfen Knoblauch-Chilisosse mit einer Prise Zucker und Tomatenmark, hatte es wirklich in sich. Auch wenn die - außer mir - keiner in der Familie essen wollte. Aber ich fand's super! 

Also, was war das Schönste heute? Immer noch: keine Ahnung. 

Aber vielleicht kommt das ja noch. Immerhin bin ich jetzt auf ner Hinterhaus-Party in Lindenau eingeladen. Und vielleicht lassen wir es da gleich so richtig krachen und tanzen wild herum. Und ich hab meine ganze gute Laune und Energie für die Nacht aufgehoben. Das wär doch was!

Donnerstag, 7. November 2024

Brache im Endstadium

Bis vor kurzem ging ich jede Woche, während Lola beim Geigenunterricht war, immer auf der 'Brache' an den S-Bahngleisen spazieren.  Ein weites unbebautes Gelände, zwischen dem MDR und dem Bayerischen Bahnhof - brach liegend seit Jahrzehnten.

Wilde Rosenhecken, Birken- und Pappelwäldchen, Rainfarn und Brombeerbüsche hatten sich dort angesiedelt, die über das Jahr zu einem blühenden und oft kaum noch durchdringlichen Urwald emporwuchsen. 

Ich streifte eine halbe Stunde hindurch, hing meinen Gedanken nach, schrieb oder fotografierte. Suchte ich der Fülle der urbanen Wildnis ein Motiv, ein Detail, einen Ausschnitt, der meinen Blick fing. Und eine Geschichte für mich erzählte. Und kam wieder bei mir an. 

Ungenutztes Land, das sich die Natur mitten in der Stadt zurück geholt hatte. In der sich selbst der Müll und die Überbleibsel von wilden Festen genauso schön machten, wie die Hagebutten der Rosen gegen den stahlblauen Februarhimmel. Wo Mensch und Natur sich selber überlassen waren. Im freien Wildwuchs. 

 Ich liebte diese Auszeiten  auf 'meiner Brache'.

 Doch jetzt ist endgültig wahr geworden, was lange auf Schildern schon angekündigt wurde: das Gelände wird neu bebaut. Klar, bestes Bauland inmitten der Metropole Leipzig. 

Und in den letzten Wochen fielen im vorderen Teil der Brache die Birken- und Pappelwäldchen, der kleine Hügel wurde planiert, die Rosenhecken abgeholzt und zerschreddert, der Rainfarn verschwand. Und nunmehr ist nur noch ein weites Feld an aufgewühlter Erde vorhanden, vor dem ich letzte Woche wie fassungslos stand. 

Doch zum Glück hat sich schon ein schmaler Trampelpfad durch die Erde gebildet, zusammengedrückt  von Menschenfüßen wie meinen, die immer noch auf die Brache gehen, zum hinteren Teil, der noch wild bewachsen und erhalten ist. 

Und so laufe ich in diesen kalten Novembertagen, in der Dunkelheit, noch immer jeden Montag und Donnerstag durch dieses Stück planierter Grosstadtwildnis. Zumindest so lange noch keine Baukräne und Laster dort stehen und Löcher ausheben. 

Denn alles ist im Wandel. Es sucht sich Räume, wächst und gedeiht, bis es vergeht oder zerstört wird, um Neuem zu weichen. Das wächst und gedeiht. Und wieder zerstört wird. Es ist der Lauf der Zeit, der Dinge, der Natur. Aus Altem entsteht Neues. Und nichts bleibt, wie es war. Doch die Natur wertet nicht.

Und in mir bleiben die schönen Momente und Bilder des vergangene Jahres, auf 'meiner Brache'. Die Erinnerung an die aufblühende und vergehende Natur, mitten in der Großstadt, die sich nun woanders einen Ort suchen wird. Und ich mir neue Wege durch den Grosstadtdschungel, um wieder aufzutanken.

Mittwoch, 6. November 2024

Herzensweite

Der Tag heute war erst so trüb bei mir. Enge im Herzen, wie getrieben und ruhelos. Als würde jemand mit der Stechuhr hinter mir stehen. Dabei hatte ich gar nicht so viel zu tun im Vergleich zu den letzten Tagen. Aber ich rotierte (diesmal innerlich) immer noch so, als hätte ich ganz viel zu erledigen. 

 

Vor lauter Schaffensdruck verschloss ich aus Versehen den Koffer, den ich Greta nach Spanien schicken wollte, (mit allerhand Gepäck, das sie auf den Flug nicht hatte mitnehmen können), mit dem Kofferschloss. Kannte aber dummerweise den Code nicht. Oh no! Koffer zu für immer. Na super. 

Zum Glück - der grenzenlosen Schlauheit des Internets sei Dank - fand ich dort aber einen Hinweis, wie man den Code von Kofferschlössern in 3 Minuten knacken kann. Und, man glaubt es kaum, es ist mir tatsächlich gelungen! Ich war so stolz auf mich. 

Auf dem Postamt (neudeutsch: 'dhl - Annahmestelle') nächste Hürde: der Koffer ist Sperrgepäck. Viel teurer als geplant, und annehmen können sie den hier eigentlich auch nicht. Müsste ich im Internet machen, so der beflissene 'Postbeamte'. Wo bitte, soll ich den Koffer denn dann abgeben? 

Zum Glück verließ der 'Beamte' den Schalter dann aber aus irgendeinem Grund, und die nette junge Kollegin nahm mir den Koffer einfach so ab, ohne die Extra-Gebühr für Sperrgepäck zahlen zu müssen. 'Ach, wir probieren das jetzt einfach mal so. Im Zweifel kriegen sie den Koffer wieder zurück', meinte sie lapidar. Wie ich mich freute. Wie schön, wenn Angestellte einfach mal von ihren Freiheiten Gebrauch machen. 

 

Kurz darauf ein Anruf aus der Schule, Lola liegt im Schulclub, hat Bauchschmerzen und kann dem Unterricht nicht mehr folgen. Bitte was? Am Morgen wirkte sie ganz fröhlich. Am Telefon erklärte sie mir, sie sei traurig, weil der Papa nicht da ist, die Abuela tot. Mmh...  So traurig, dass sie ihre Trauer liegend auf dem Sofa 'verarbeiten' muss?

Nun bin ich eigentlich immer ganz mitfühlend mit ihr, aber hatte schon den Eindruck, dass sie ihren Seelenschmerz mal wieder etwas 'aufbauscht, um den anstrengenden Unterricht vermeiden zu können. Und als ich sie im Schulclub antraf, schaute sie auch tatsächlich beschämt zur Seite und mir keinmal in die Augen, als ich meinte, wie es ihr geht. Bester Indikator, dass es ihr nicht wirklich schlecht geht. Und verärgert über diese 'Aktion' habe ich sie dann doch noch 'genötigt', zum Sportunterricht und zum Schulclub zu gehen. Und fuhr - ohne sie - wieder nach Hause. Nicht dass sie sich das wieder angewöhnt.

Als ich sie dann am Nachmittag wirklich abholte, zeigte sie mir dort ihre neue Gefühle-und-Bedürfnis-Karte', die sie von der Inklusionspädagogin der Klasse bekommen hatte. Sie deutete auf 'traurig', neben einem Metacomsymbol mit einem weinenden Gesicht. Und auf der Rückseite der Karte deutete sie auf 'Ich brauche ... eine Pause'. Und erklärte mir strahlend: "Ja, Mama, ich bin traurig. Ich brauche eine Pause'. 

Was für ein schlauer Gebrauch ihrer Gefühle und Bedürfnisse, um sich je nach Bedarf Auszeiten zu  verschaffen. Toll, wenn man seine Gefühle so klug und praktisch zum Einsatz bringen kann. 

Zu Hause schlich sie dann doch reumütig in ihr Zimmer und akzeptierte recht klaglos, dass sie heut kein Handy haben darf, um Musik zu hören. Was ich ihr nur erlaube, wenn sie in der Schule überall mitmacht. Und hörte dafür Hörspiele aus der Stadtbibliothek auf dem alten CD-Player. Was auch nochmal ein gewisses 'Schuldbewusstsein' deutlich machte. Wenigstens das...

 

Ich hingegen war von den heutigen Nachrichten, die ich bei der Fahrt zur Schule eher zufällig gehört hatte, doch ziemlich aufgewühlt. Und konnte mir nur durch ein bisschen Haushalt, eine erfrischende Dusche und 'meditatives Kochen' seelische Abhilfe verschaffen. Um wieder auf bessere Gedanken zu kommen und mich nicht zu sehr in ängstlichen Untergangsszenarien zu verfangen, helfen die Kinder und die Sorge um sie und ihr 'leibliches' Wohl schon immer sehr.

Und um auch meine Schreibgruppenteilnehmerinnen - angesichts der politischen Neuigkeiten - auf gute Gedanken zu bringen,  überlegte ich mir noch schnell einen seelenwärmenden Schreibimpuls (für meine Schreibgruppe, die ich Mittwochabends immer leite). Und lud die Teilnehmerinnen ein, über 'Großzügigkeit' zu schreiben und zu reflektieren und - als Gegenmittel gegen die 'Enge im Herzen' - diesem positiven Gefühl nachzuspüren. Und ja, welch wunderbare Texte entstanden da, über Zeitgeschenke, die Freude am Geben, die Kraft und Wärme der Großzügigkeit, die wir uns selber, den Liebsten oder auch Unbekannten entgegen bringen, oder von ihnen geschenkt bekommen. So wie ich heute von der unkomplizierten DHL-Angestellten. 

Und mit weitem, dankbaren Herzen fuhr ich nach dem Schreibkurs wieder nach Hause. Erfüllt von dem Geschenk des Gebens und der inneren Kraft, die in uns wohnt. Und unserer Fähigkeit, auf die Fülle, die Liebe und den Großmut zu schauen, auch und gerade, wenn im Außen die Angst und Sorge überhand nimmt. Dankbar für die Weite, die dadurch im Herzen entsteht.

Ein Tag mit vielen, widersprüchlichen Gefühlen, der zum Ende - auch dem Schreiben sei Dank - einen so schönen Abschluss gefunden hat. Und so gleite ich gleich in hoffentlich schöne und stärkende Träume.

Dienstag, 5. November 2024

Mit dem Rad in die Stadt

"Du Fahrrad kommen?", war Lola's erste Frage, als ich sie heute an der Schule abholte.

"Ne, bin mit dem Auto da", sagte ich schuldbewusst. Hatte ich doch gerade noch meine Siesta gemacht (tägliches, unabdingbares Ritual), und war zu spät dran, als dass ich es mit dem Fahrrad pünktlich zum Schulclub geschafft hätte. 

Lola war tief enttäuscht, was sich bei ihr immer in lautem Schimpfen äußert. "Du doof, Mama. Versprochen Fahrrad kommen. (In die) Stadt fahren. "

Beim Anblick der herrlichen Herbstsonne auf der Fahrt zur Schule, hatte ich mich auch schon geärgert, meine Siesta nicht um 10 Minuten verkürzt zu haben. Dann hätte ich es auch geschafft. 

"Wenn Du willst, fahren wir nach Hause. Und von dort mit dem Rad in die Stadt", schlug ich vor.

Lola jubelte. "Ja, Rad fahren. Danke Mama". Warum auch immer sie davon gerade so begeistert ist.

"Ich Sport machen. Will fit sein", sagte sie und stapfte zum Auto. 

Diese Jugend. Pavel ist auch seit ein paar Monaten im Fitness-Wahn, stemmt Gewichte, macht ständig Workouts, will am liebsten ins 'Gym' (neudeutsch für Fitnessstudio). Dass Lola auch schon auf dem Trip ist, war mir neu. Aber gut. Ein bisschen Bewegung würde mir bestimmt auch nicht schaden. Denn leider leider bin ich weit entfernt von 'Fitnesswahn'. 

Also fuhren wir mit dem Auto nach Haus, holten schnell Handschuhe und den Fahrrad-Helm von oben und fuhren los. Wohlgemerkt mit unserm Tandem, auf dem Lola mitreten 'kann', aber nicht muss. Und klar, ohne E-Motor. Was also mit reiner (mütterlicher) Muskelkraft betrieben wird. 

Denn Lola trampelt zwar bergab freudig mit und schimpft, wenn ich langsamer werde oder gar bremse, aber bergauf hält sie höchstens eine Minute durch, dann macht sie schlapp bzw. trampelt nur noch sachte mit. 

"Juchu, Fahrrad fahren", jauchzte sie, als wir losfuhren. Doch schon an der Kurt-Eisner schimpfte sie über einen Jungen, der langsam vor uns auf dem Weg lief. "Doofe Kind, mach schneller". So langsam und gemütlich sie oft selber ist, so ungeduldig wird sie, wenn sie mal auf jemand anders warten muss.

Und so zockelten wir in der schon wieder hereinbrechenden Nachmittagsdunkelheit in die Stadt, Lola schimpfte ab und an über zu eng vorbeifahrende Autos oder Passanten, oder die kalte Luft an ihren Ohren. Und ich war doch ganz froh über ein bisschen Bewegung in der frischen Herbstluft, und kam nach einem doch recht anstrengenden Arbeitstag wieder etwas in Schwung.

Da kam auf einmal von Lola. "Mama, will nicht Fahrrad fahren. Fahrrad doof. Will Auto fahrn". Da war ich nun aber perplex. 

"Wolltest Du nicht vorhin UNBEDINGT Rad fahren, Lola?" 

"Ja", sagte sie lapidar. "Will lieber Auto. Auto warm, und kannich Musik hören. Will Auto fahrn".

"Aber da würdest Du längst nicht so fit werden, im Auto", antwortete ich. 

"Ja, stimmt", sagte Lola wie vom Blitz der Erkenntnis getroffen. Und strampelte ENDLICH kräftig mit. Und 5 Minuten später waren wir in der Stadt. 

Montag, 4. November 2024

Auf in die große Welt!

 Ja, heute war es soweit. Greta, die große Schwester von Lola, ist mit ihrem Rucksack und ihrem kleinen roten Köfferchen - auf in die 'Welt'. Für ein Jahr nach Spanien, um in Córdoba einen 'Europäischen Freiwilligendienst' zu machen. 

Welch Schritt für sie, ganz alleine in eine ihr fremde Stadt zu gehen. In ihr 'Vaterland', das sie zwar von den vielen Besuchen bei der spanischen Großfamilie in Gijón schon gut kennt. Zumal sie ja auch fließend spanisch spricht, als Halbspanierin. Wo sie aber noch nie länger gelebt hat, erst recht nicht alleine. Und ja, Andalucia ist auch nicht Asturias (die Familie also nicht in der Stadt). 

Umso mehr freue ich mich für sie, dass sie diesen Schritt gewagt hat. Nachdem sie ihr ganzes Leben hier in Leipzig verbracht hat, fest verwurzelt, mit vielen Freunden, ihrem Freund und Familie. Wo sie sich so wohl fühlt.

Und doch hat sie sich nach dem Abi entscheiden, für ein Jahr nach Spanien zu gehen. Um die Welt kennen zu lernen. Und um endlich einmal längere Zeit in dem Land zu leben, aus dem ihr Vater Ricardo stammt. 

Es war ihr diesjähriger Silvesterwunsch gewesen, den sie als einzigen von 13 Zetteln in der Hand behalten hat. Während sie die anderen 12 Wünsche dem Feuer übergeben hat. Der Wunsch, um den sie sich selber kümmern muss. Während sich - so das Ritual - das 'Universum' um die Erfüllung der anderen Wünsche kümmert. Und sie hat sich drum gekümmert: und ist nun in Spanien! Ja, so straight und zielstrebig, wie sie ihr ganzes Leben lang schon ist. 

Wahnsinn, jetzt ist sie nicht nur schon erwachsen, sendern lebt auch schon ganz alleine. Welch Schritt für sie! 

Es ist doch gefühlt gerade eben erst her, dass sie geboren wurde, sich das erste Mal bewusst im Spiegel betrachtete, dass sie ihr Schwesterchen Lola bekommen hat, dass beide tapsend über die Plätze in Spanien rannten.... Wo ist die Zeit nur hin? 

Meine Mutter sagte mir mal, als Greta so ca. 10 Jahre alt war, dass die Zeit zu fliegen beginne, kaum dass die Kinder 10 Jahre alt sind. Und ich lachte und schüttelte den Kopf. Nein, mein Leben war so voll und intensiv, die Kinder so klein noch, das Leben würde weiter so langsam vergehen.

Und jetzt? Ist die Zeit wirklich so schnell verflogen. Reich und intensiv, trotz mancher Durststrecken, aber wie ein Wimpernschlag. Und sie ist groß und erwachsen und geht ihren Weg alleine.

Und in mir ist natürlich auch ein Tumult der Gefühle, der Mutter, die ihre Tochter in die Welt ziehen lässt. Aber vor allem freue ich mich für sie. Und wünsche mir, dass sie dort schnell liebe Menschen kennen lernt und tolle Erfahrungen machen kann, die sie ihr Leben lang begleiten und prägen werden.


Sonntag, 3. November 2024

Abendsonne am Cossi

Heute Nachmittag habe ich mit Lola noch eine kleine Radtour um den Cospudener See gemacht. Obwohl wir um halb vier losfuhren, wurde es schon 'Abend'... (An die frühe Dunkelheit muss ich mich echt noch gewöhnen.)

Lola wollte unbedingt nochmal mit dem Fahrrad an den See. 'Sport machen'. Und abgesehen davon dass sie zu Beginn permanent jammerte, dass ihr kalt ist, ihre Füße schmerzen, ihr Hintern friert und sie durch die Brille nichts sehen kann, war es einfach nur wunderschön! 

Nach einer 20 minütigen Fahrt durch den schon dunklen Auwald öffnete sich endlich der Cossi vor uns, lag glänzend im Abendlicht, die Silhouetten der Bäume und Spaziergänger standen gegen den abendblauen Himmel. Überall das Laub der Bäume in Flammen. Lola juchzte auf: "Mama schau nur, wie schön!"


Als wir die Bistumshöhe erreichten, ging die Sonne schon unter und tauchte den See in rosafarbenes Licht. Wie ein Schleier, der sich über das Wasser, die Bäume, die Binsen legte. Magisch. Ich hätte schreien wollen vor Freude - und tat es auch! 

Bei der Rückweg durch das Elsterhochflutbett zogen weiße Nebel über die Gräser der Niederungen. Bilder so schön, dass sie sich kein Maler ausdenken könnte. 

Mit eiskalten Füßen und Wangen, aber nass geschwitztem Körper kehrten wir bei Dunkelheit wieder heim. Überglücklich an solch einem schönen Ort zu leben.  

Mädelstrip nach Berlin und ans Märkische Meer

Hier noch ein kleiner Rückblick von unserm Herbst-Mädelstrip nach Berlin und Brandenburg. Lola, Greta und ich waren mal ganz alleine unterwegs, für fünf ganze Tage. Soooo schön!

Nachdem Lola von drei Wochen Sozialpraktikum zurück war, und Greta von einem zweimonatigen Interrail Trip durch Spanien, Portugal und Italien, hatte ich die Idee, mal ganz alleine mit den beiden ein paar Tage Urlaub zu machen. 

Ich wäre ja auch nach Italien gefahren. Aber da Greta da grade herkam, und ein Freund in Berlin seinen 50. Geburtstag feierte, dachte ich: Warum nicht Berlin? Und danach noch ein paar Tage 'Wandern' im Berliner Umland.

Und nach der grossen Geburstags-Party am Samstag besuchten wir am Sonntag noch ein paar alte Freunde in Berlin, die ich sage und schreibe 20 Jahre nicht gesehen hatte (!!!). Wir trafen uns um 11 Uhr zum Frühstück in ihrer Wohnung am Spreebogen und saßen dann gefühlt den Rest des Tages am Frühstückstisch und quatschten und quatschten und quatschten. So wie 'früher'... 

 Erinnerten uns an unser altes Haus in der Mühsamstrasse im Friedrichshain, mit Kohleofen und Außenklos und meiner Dusche in der Küche. An M's erste Wohnung am Ostkreuz, mit Alufolie an den Küchenwänden (als Deko) und den verlassenen Strassen, über die ab und an ein altes Auto holperte. An die 'Tagung', die damals noch einzige Bar in der Wühlischstrasse. Und an den Geruch von Kohle in der Luft, wenn es draussen kalt wurde. Es war eine Zeitreise in die 90er Jahre in Berlin, und die Mädels lauschten mit großen Ohren. Ich hatte das Gefühl, aus einer 'anderen Zeit' zu erzählen.


Am Montag erkundeten wir noch den Prenzlauerberg, wo sich am Kollwitzplatz mittlerweile eine schicke Bar an die nächste reiht, neben unzähligen Design-, Antiquitäten- und Bioläden. Aber in den abgelegeneren Strassen fand ich dennoch einen Hauch des alten Lebensgefühls wieder. Beim Anblick der letzten, vereinzelten geschwärzten, bröckelnden Fassaden, kamen Erinnerungen zurück an damals, an die ersten improvisierten Bars mit Pappmachee-Figuren und ausgesessenen Ledersofas, Parties in leerstehenden Kellern oder der 'Freitagsbar', erreichbar durch schneebedeckte Innenhöfe hindurch, von einer Kette von Teelichtern ausgeleuchtet. 
 
Es war eine kleine Zeitreise für mich, in meine ''Studentenjahre' in Berlin, wo ich 1998 hinzog, damals nur wenig älter als meine Töchter jetzt. Gefühlt erst gestern, und doch in einer anderen Zeit. Fast wie in einem anderen Land. 

Wenn Greta darüber nachdenkt, wo sie studieren könnte, fällt Berlin meist sofort aus. Viel zu teuer, unbezahlbar die Wohnugen, wenn man überhaupt eine findet. Was für ein Glück hatten wir, damals dort leben zu können. In dieser Zeit des Um- und Aufbruchs, wo alles möglich schien.


Doch nach diesem Tag im Prenzlberg taten uns irgendwann die Füße weh, vom vielen Laufen über Kopfsteinpflaster, und wir fuhren weiter, nach Brandenburg, wo ich direkt am Scharmützelsee eine Ferienwohnung gefunden hatte.

Und die folgenden drei Tage wanderten wir bei herrlichstem Sonnenwetter am 'Märkischen Meer' entlang...

 

Durch ausgedehnte Nadel und Mischwälder, ....

 

Gingen nach Bad Saarow in die Therme ....

Wanderten am Storkower See entlang....


Umrundeten den Glubik- und den Springsee...



Und verbrachten die Abende gemütlich in unserer Ferienwohnung über dem 'Atelierhaus' in Wendisch-Rietz. Kochten lecker, spielten Scrabble (woran Lola riesig Spass hatte) oder chillten lesend auf dem Sofa. 

Welch herrliche Tage! Danke dafür!

Freitag, 1. November 2024

'Meine Lieblingsdorf'

Lola hatte heute in der Schule eine kleine Präsentation, in der sie gemeinsam mit den anderen Schüler-/innen ihrer Klasse über ihr Sozialpraktikum berichten sollte. Vor ihrer eigenen 11. Klasse, der 10. Klasse und interessierten Eltern und Lehrern der Schule. 

Für sie ist es immer sehr aufregend, vor  vielen Menschen zu sprechen. Selbst in ihrer eigenen Klasse ist sie im normalen Unterricht manchmal so schüchtern, dass sie sich nicht laut zu sprechen oder vorzulesen traut.

Gestern Nachmittag  hatte sie zu Hause extra für den Vortrag ein Poster zusammengestellt, mit Fotos und kurzen Texten über ihre dreiwöchige Zeit in der Lebensgemeinschaft in Sassen. Voller Eifer hatte sie es sogar noch 'gestaltet', wie sie sagte, mit unzähligen bunten Blumen und Herzchen. Ausdruck der Freude, die sie beim Praktikum hatte.


Schon beim Frühstück machte sie sich aber Sorgen über den heutigen Vortrag. Zum Glück konnte ich sie beruhigen, dass sie nicht alleine vorne stehen und sprechen müsste, sondern eine Vertrauenslehrerin sie fragen würde. Sie müsste nur antworten. Das beruhigte sie zunächst.

Als ich um 13 Uhr jedoch in die Schule kam, und den Theatersaal betrat, gut angefüllt mit Leuten, saß sie  eingekrümelt auf ihrem Stuhl in der ersten Reihe, eingehüllt in ihren Mantel, einen dicken Pulli, Mütze über dem Kopf, den Blick weg gerichtet von der Bühne. Als wolle sie verschwinden. Oh je, dachte ich für mich. Ob das was wird?

Doch nachdem sie sich vom Mantel und Pulli befreit hatte, und in ihrem schicken roten 'Auftrittskleid' da saß, dass sie extra zur Feier des Tages angezogen hatte, ging tatsächlich eine kleine Verwandlung vor sich. Und obwohl sie zuerst ganz in sich versunken war, als die Lehrerin ihr ankündigte, sie solle als erste präsentieren, entspannte sie sich schon während der weiterten Eröffnungsworte zusehends, richtete sich auf, Schultern gerade, Blick nach vorne. 

Und als die Lehrerin sie schließlich aufrief, als ALLERERSTE vor dem vollen Saal zu sprechen, sprang sie auf, stellt sich mutig neben ihr Plakat und beantwortete laut und deutlich, sichtlich selbstbewusst alle Fragen. 

Erzählte von dem schönen 'Rafaelhaus', wo sie gewohnt hatte und fünf Freunde gefunden hat. Deren Namen sie alle einzeln nannte. Erzählte von den Werkstätten im Dorf und vom Weben in der Textilwerkstatt, was ihr Spass gemacht hatte. Erzählte von ihrer Freizeit und dass sie mir zum Geburstag per Videokonferenz ein Lied auf der Geige vorgespielt hatte, begleitet vom 'Hausvater'. Und strahlte.  

Und wie sie das so gemeistert hat, ganz alleine für drei Wochen, fragte die Lehrerin noch. "Super", sagte sie lachend. "Ich mutig!" Und der Saal lachte, so herzerfrischend und selbstbewusst war ihre Antwort. 

"Und, kannst Du das Dorf empfehlen", fragte diie Lehrerin. "Und könntest Dir vorstellen, dort nochmal hinzugehen?" - "Ja", sagte sie strahlend. "Meine Liebelinsgdorf!" Und alle klatschten und stolz - aber auch erleichtert - ging sie zurück zu ihrem Platz. 

Wie ich mich wieder freue, dass sie auch diesen Schritt geschafft hat.

Es war aber auch ein wunderschönes Praktikum in der 'Lebensgemeinschaft'. So liebevolle Hauseltern, die sie genommen haben, wie sie war, mit ihrer Energie und ihrem Eigensinn, ihrer 'Power' und ihrem gelegentlichen Rückzug. Und engagierte Gruppenleiter-/innen in der Weberei, die ihr geduldig die Handgriffe am Webstuhl und das Arbeiten mit der Wolle und dem Schiffchen nahe gebracht haben, und - trotz ihrer häufigen Müdigkeit -  sie immer wieder gut motivieren konnten. 

Es war auch eine wertvolle Erfahrung für sie, mal mit vielen anderen Menschen mit 'Behinderung' zusammen zu leben, auf Augenhöhe - und nicht immer die 'Exotin' in ihrer inklusiven Schule zu sein, wo sie lange das einzige Kind mit Förderbedarf in ihrer Klasse war.  Sie ist sichtlich gewachsen in dieser Zeit. Und hat ohne jedes Heimweh diese drei Wochen alleine gestemmt. Große Lola! 

Montag, 23. September 2024

Lola - drei Wochen alleine!

 

 Unglaublich, aber wahr! Lola wohnt seit letztem Montag ganz alleine in der "Lebensgemeinschaft Sassen", im schönen Hessen, und arbeitet dort in der Textilwerkstatt, einer der dortigen Werkstätten. 

Nein, nicht für immer. Aber für drei Wochen, im Rahmen eines Sozialpraktikums, das alle SchülerInnen ihrer Waldorf-Schule in der 11. Klasse machen müssen. 

Und während ihre MitschülerInnen in sozialen Einrichtungen der Behindertenhilfe oder Altenpflege arbeiten, um Menschen mit Hilfebedarf zu betreuen, darf auch sie drei Wochen in einer Einrichtung verbringen, nur 'auf der anderen Seite'. Nämlich als eine der Bewohnerinnen bzw. der dort Arbeitenden. Das heisst, für sie ist es eine Art Wohn- und Arbeitspraktikum. In dem sie drei Wochen, ohne Familie und Freunde, in einer ihr gänzlich unbekannten Lebensgemeinschaft leben darf. Um auszuprobieren, wie das so läuft, arbeiten und leben, ganz ohne ihre Familie. 

Dorfplatz

Als ich sie letzte Woche hinbrachte, zum 'Dorf' Sassen, wo ca. 100 Menschen mit Behinderung gemeinsam in einer dorfähnlichen Gemeinschaft wohnen, in ca. 10 Häusern, die von festen Hauseltern betreut werden, die dort selber mit ihren Familien leben, war ich selber furchtbar aufgeregt. Ob sie das packen würde, so lange von zu Hause fort, in einem ihr neuen und unbekannten Umfeld. Alleine schlafen, aufstehen, arbeiten? Jeden Tag, von 8 bis 12 und nach einer Mittagspause nochmal von 13.30 bis 17 Uhr? Ich glaubte daran, fest, aber als ich mit ihr im Auto auf dem Weg dorthin war, war mir doch bang ums Herz. 

Der Weg zu ihrem Haus im Dorf

 Doch sie versicherte mir, 'Mama, ich schaff das'. Und 'komme ja wieder!", lachte, winkte noch einmal und marschierte mit einem Stapel mitgebrachter Spiele zu den anderen Bewohnern ihres Hauses, in dem sie aufgenommen wurde, liebevoll begleitet von ihrer neuen 'Haus'-Mutter auf Zeit. Und ich fuhr ab, doch auch mit schwerem Herzen. Ja, loslassen ist schwerer als ich dachte, vor allem mich als Mutter. 

Der Dorfteich
 

Wie mir ihre Hausmutter einen Tag später mitteilte, war sie aber super im Haus angekommen, 'ganz fein und lieb, aber doch auch mit Power'. Und es sei toll mit ihr. Und bis auf einige Dispute beim Zähneputzen und Duschen (was sie leider auch zu Hause nur ungerne macht), sei es super mit ihr. 

Sie gehe jeden Tag ganz selbständig morgens, mittags und nachmittags zur Weberei im Dorf, und komme ganz zufrieden zurück. Und würde dort Kissen weben, aus dicker Wolle, am Handwebstuhl. Was sie schon in ihrer Schule gelernt hat. Füge sich durch ihre offene und liebevolle Art ganz schön auch in die Gemeinschaft der anderen Bewohner im Haus ein, und sei überhaupt ganz selbständig und 'flexibel'. 

Wie ich mich freue, dass es so wunderbar klappt. Und sie mal endlich positiv auffallen kann, durch ihre Art, während sie in ihrer inklusiven Schule so oft aneckt durch ihre Schrullen, ihren Eigensinn und ihre Schwierigkeit, mit Übergängen umzugehen. Nein, dort, wo die Tage ganz und gar durchstrukturiert sind, immergleich ablaufen, weil dort so viele Menschen leben, die feste Abläufe brauchen, hat auch sie endlich mal einen Ort, wo sie sich schnell orientieren kann - und ihre viele Stärken und Fähigekeiten zeigen kann. Und Handarbeiten und Weben ist ja auch eines ihrer Lieblingsfächer in der Schule. 

Das nahe gelegene Schlitz

Ach, ich freue mich so für sie. Dass sie das so selbständig meistert. Und vor allem, dass so dort die tolle Gelegenheit bekommen hat, ein Praktikum zu machen. Ihrer engagierten Hausmutter sei Dank! 

Heute nachmittag ist sie allerdings im Dorf nochmal umgezogen, in ein anderes Haus, wo noch mehr jüngere Leute leben. Da die Bewohner des ersten Hauses doch schon älter und etwas zurückgezogener waren, und Lola mit ihrer quirligen, lebendigen Art da doch etwas auf einsamem Posten war. Nun bin ich gespannt, wie es ihr im neuen Haus mit mehr Trubel gefällt, unter Ihresgleichen, aber mit einer neuen Hausmutter, die sie noch nicht kennt. Hoffentlich zeigt sie sich auch da 'flexibel', aber so hörte ich eben, sei der Umzug wohl sehr gut gelaufen... 

Im Dorf hergestellte Keramik

 Kleine, große Lola! Lange dauert es nicht mehr, dann wird sie vielleicht wirklich ausziehen. Noch kann ich es mir nicht vorstellen. Aber schön zu wissen, dass es möglich ist!

Donnerstag, 29. August 2024

Wie früher!

 Pavel kam gestern ganz stolz vom Klavierunterricht zurück. Nicht etwa über sein schönes Klavierspiel. Nein, er war nach dem Unterricht noch bei der neuen Supermarktkette ‚Mein Angebot‘ und hat dort einen Müllerjoghurt gekauft, mit dieser abknickbaren Ecke mit Knuspermüsli, die er früher so gerne mochte. Ganz stolz erzählt er, dass er dafür nur 49 Cent ausgegeben hat! „Das erinnert mich irgendwie an meine Kindheit“, fügt er fast nostalgisch hinzu“, „als alles noch so billig war“. Und ich muss lachen, wie er als 12 – Jähriger über seine so lange zurückliegende Kindheit nachdenkt. 

Am Nachmittag im Konsum entdeckt Pavel denselben Müllerjoghurt im Kühlregal: für 1,09 Euro. Mehr als das Doppelte. Er hat also 60 Cent gespart, rechnet er mir triumphierend vor.  

Gar kein Joghurt wäre noch günstiger gewesen, denke ich leise für mich. Und frage mich, ob ich die Kinder weniger an meinen aktuellen Sparvorhaben teilhaben lassen sollte. Mit denen wir zwar im Vergleich zu alternativen Käufen sparen (zu anderen Zeiten, an anderen Orten, anderer Produkte), aber netto doch einfach wieder nur eins machen: Geld ausgeben.

Donnerstag, 22. August 2024

Schöner leben – ach Du liebes Geld.

 Ich habe mir diese Woche vorgenommen, bewusster mit meinem Geld umzugehen. Und will endlich genau wissen, was ich ausgebe, auf den Cent genau. Denn „Geldbewusstsein zu entwickeln“, so steht es im Buch von Petra Bock, ist eine Voraussetzung für höhere Geldeinnahmen.

Gestern Abend habe ich eine Liste meiner Ausgaben der letzten Woche angefertigt. 300 Euro! 75 Euro für Lolas neue Sportschuhe, 20 Euro für einen neuen Wasserhahn im Garten. 150 Euro für Lebensmittel, obwohl ich nur beim discounter kaufe. Und 20 Euro für Eis! Doch ganz schön viel, denke ich. Und nehme mir vor, diese Woche bewusster mit meinen Ausgaben umzugehen und unnötige Käufe zu vermeiden. Und zu schauen, wie viel ich auf diese Weise sparen kann.

Nachdem ich Lola zur Physiotherapie gebracht habe, wo ich sie erst in 45 Minuten wieder abholen muss, bummle ich ziellos die Karli runter und genieße das sommerlich bunte Treiben. Als mir einfällt, dass wir dringend neue Zahncreme brauchen. Ich könnte auch zum Drogeriemarkt Rossmann spazieren, überlege ich. Um ein Ziel zu haben und in der Zwischenzeit noch etwas Sinnvolles zu erledigen. „Aber wirklich nur, um Zahncreme zu kaufen,“ sage ich mir, bevor ich den Laden betrete. Denn ich will ja meine Ausgaben reduzieren. Und diesmal nur eine Tube kaufen, nicht das Doppelpack wie sonst. Denn Meridol ist echt teuer geworden. 4,45 die Tube. Aber sie hilft bei Zahnfleischentzündungen, die muss es sein.

Der Blick auf das Preisschild offenbart: das Doppelpack kostet 7,95. Statt knapp 9 Euro für zwei Tuben, wenn ich sie einzeln kaufe. Ersparnis von 1 Euro. Ich komme ins Nachdenken. Kaufe ich wirklich nur die eine Tube,  spare ich diese Woche zwar 3,50 Euro. Aber in einem Monat muss ich nochmal 4,45 Euro zahlen. Kaufe ich das Doppelpack, gebe ich diese Woche zwar 3,50 Euro mehr aus, habe im nächsten Monat aber keine Ausgabe für Zahnpasta und spare also 4,45 Euro.

Ich spüre ein gewisses Dilemma, angesichts meines Plans diese Woche Ausgaben zu reduzieren. Doch mein ökonomischer Verstand siegt, und ich kaufe die Doppelpackung und spare (zumindest auf den Monat gerechnet) 1 Euro - und den nächsten Gang zum Rossmann.

Mehr kaufe ich jetzt aber nicht, sage ich mir. Und gehe schnurstracks zur Kasse. Als mein Blick an einer Packung leuchtend bunter Microfasertücher hängen bleibt, die mir meine eigenen Mikrofasertücher ins Gedächtnis rufen, die ich seit 12 Jahren benutze. Löchrig, ausgefranst, müffelnd. Die neuen kosten nur 4,45 Euro. Was ich, angesichts einer Nutzungsdauer von mehr als 10 Jahren, als gar nicht so teuer empfinde. Ärgere ich mich nicht seit Wochen über die alten Fetzen? Als wäre ich so arm, dass ich mir keine neuen Wischlappen leisten kann. Und es macht auch keinen Spaß, damit zu putzen. Ich greife schnell zu, bevor ich die Investition anzweifeln kann.

Da sehe ich unten im Regal eine Spülschüssel stehen, genau so eine, wie ich sie vor zwei Jahren mal zum Camping suchte und in keinem Baumarkt fand. Da steht sie, glänzend weiß, für 2,95 Euro. Ein echtes Schnäppchen. Auch wenn wir frühestens im nächsten Sommer wieder campen gehen. Aber dann brauche ich sie. Ich will nicht mehr diese ollen Pappkisten zum Transport des Geschirrs benutzen, die am Ende durchgeweicht sind. Und wieder greife ich schnell zu, bevor ich noch einmal darüber nachdenken kann.

An der Kasse muss ich 17 Euro zahlen. Ein paar super-günstige Schwämme und Maiswaffeln noch inklusive. Ich habe zwar 13 Euro mehr ausgegeben, als eigentlich geplant. Aber so viel neue Lebensqualität in der Tasche und so viel Zeit- und Geldersparnis vor dem nächsten Campingurlaub, denke ich stolz. Jetzt frage ich mir nur, wo ich diese Zusatzausgaben von 13 Euro in DIESER Woche noch einsparen soll?

Aber so viel Geld ist es ja auch wieder nicht. Und nach Petra Bock reicht es doch eigentlich, mir darüber bewusst zu sein, wofür ich es ausgegeben habe. Um die nötigen Geldeinnahmen dann wie von Zauberhand anzuziehen. Wie, das wird sich schon zeigen, denke ich. Und laufe zufrieden die Karli entlang mit einem Beutel voller Dinge, die ich eigentlich gar nicht dringend brauche und auch nicht kaufen wollte.

Vielleicht schicke ich nächstes Mal doch lieber Pavel mit einem 5 Euro Schein los, um Zahnpasta zu holen. Und sonst – nichts!

Dienstag, 20. August 2024

Nimm Dein Handy - und freu Dich dran!

 Seit vier Jahren benutze ich ein altes, mittlerweile schrottiges i-phone SE. Ich kann keine neuen Apps mehr installieren, da ich die Software nie update. Meine Mail-App funktioniert nicht mehr. Der Bildschirm ist mehrfach zersprungen. Mein Routenplaner stürzt ständig ab.

Doch obwohl ich seit Monaten ein nagelneues Samsung-Handy in einer Schublade liegen habe, schaffe ich es nicht, es zu installieren. Es ist ein android. Und der Transfer meiner Kontakte und Fotos vom i-phone scheint mir unmöglich. Und wer weiß, wenn am Ende alles verloren geht und nichts mehr funktioniert? Und das alte i-phone funktioniert doch noch.

Auf der Suche nach neuer Lektüre in meinem Bücherregal fällt mir zufällig das Buch „Nimm das Geld und freu dich dran“ von Petra Bock ins Auge. Und beim Durchblättern stoße ich auf eine Stelle, in der die Autorin davon schreibt, dass es beim Erlernen eines guten Umgangs mit Geld auch um eine neue Haltung zu sich selbst geht. Sich selber ‚liebevoll in den Arm zu nehmen‘ und sich was zu gönnen.

Ich fühle mich ertappt. Ja, vielleicht könnte ich endlich mal Dinge nutzen, die ich kostenlos zu Verfügung habe, aber ‚mir nicht gönne‘? Vielleicht sollte ich doch den Versuch wagen, das neue Samsung zu installieren, auch wenn es android ist?

Grübelnd sitze ich mit meinem alten i-phone in der Hand auf dem Balkon und schaue in den Abendhimmel. Bis ich mich endlich durchringe, in die noch funktionierende Suchfunktion des Browsers die Frage zu tippen, wie man Kontakte und Fotos vom i-phone auf ein Samsung bekommt. Über die icloud, erfahre ich. Und die google-Foto-App.

Während die Kinder noch ihren Abendfilm gucken, gehe ich zum Rechner, und melde ich mich etwas nervös beim i-cloud Konto an und habe fünf Minuten später alle meine Kontakte importiert. Installiere anschließend die Google-Foto-App auf dem alten Handy, was glücklicherweise noch funktioniert, und finde kurz später alle meine i-phone Fotos in der App wieder. Wie von Zauberhand. Ich bin überrascht, wie einfach es ging.

Als die Kinder eine halbe Stunde später im Bett liegen, und ich Lola nur noch leise quatschen höre, wage ich den Versuch. Und hole zitternd die SIM- Karte aus dem i-phone und stecke sie in das neue Samsung. Was sich fast ein wenig wie Fremdgehen anfühlt. Mit klopfenden Herzen sehe ich zu, wie das Handy hochfährt. Erwarte - tief in mir drinnen - den totalen Zusammenbruch. Stattdessen werde ich freundlich, sogar auf Deutsch, eingeladen, meine Daten zu übertragen. Wenn ich kein Kabel habe, auch gerne über WLAN.

Ich klicke mich durch eine Unmenge von Fragen, die ich zum Glück auch später entscheiden oder noch abändern kann. Und finde eine Stunde später alle meine Kontakte und Fotos auf dem neuen Handy wieder. Bis auf die Nachrichten und WhatsApps, die ich bisher wie meinen Augapfel gehütet habe. Aber was soll’s. Kann ich später noch importieren. Ich fühle mich stolz, fast wie ein Profi. So leicht ging alles.

Am nächsten Tag empfinde ich das Samsung dann aber doch als riesig und unelegant. Als ich eine Nachricht zu tippen versuche, schreibe ich ständig alles falsch, gewöhnt an eine andere Tastaturgröße. Und ich schaffe es auch nicht, die neu installierten Apps wiederzufinden. Und die WhatsApps lassen sich auch nicht importieren. Ich will mein altes Handy zurück, fluche ich. Und überhaupt, es geht doch nichts über i-phone! Ich frage mich, wie ich jemals auf die Idee gekommen bin, mir ein android anzuschaffen? Und recherchiere im Netz, was ein gebrauchtes i-Phone kostet.

Kurz bevor ich meine SIM-Karte wieder entnervt in das alte Handy zurückstecke, kommt zum Glück mein zwölfjähriger Sohn Pavel nach Hause, seit einem Jahr selber Besitzer eines Samsung Galaxy. Und ‚digital native‘. Ganz beiläufig und mit erstaunlicher Geduld erklärt er mir, wie ich neue Widgets einrichte und verschiebe. Wie ich das Handy per Fingerabdruck entsperren kann. Wie ich den Startbildschirm einrichte. Und eine Viertelstunde später bin ich vollauf begeistert von meinem neuen Handy. Wie gut, dass ich Kinder habe!

Wie hatte ich es so lange vor mir herschieben können, mir mein neues Handy zu installieren? Kosten? 0 Euro. Zeitinvestition: zwei Stunden, in denen ich mich sonst nur über mein schrottiges i-phone geärgert hätte. Was für eine reiche Frau ich eigentlich bin! Wenn ich endlich mal all die Dinge (und Fähigkeiten) nutze, die bisher nur funktionslos in irgendwelchen Schubladen und Ecken liegen.