Unglaublich, aber wahr! Lola wohnt seit letztem Montag ganz alleine in der "Lebensgemeinschaft Sassen", im schönen Hessen, und arbeitet dort in der Textilwerkstatt, einer der dortigen Werkstätten.
Nein, nicht für immer. Aber für drei Wochen, im Rahmen eines Sozialpraktikums, das alle SchülerInnen ihrer Waldorf-Schule in der 11. Klasse machen müssen.
Und während ihre MitschülerInnen in sozialen Einrichtungen der Behindertenhilfe oder Altenpflege arbeiten, um Menschen mit Hilfebedarf zu betreuen, darf auch sie drei Wochen in einer Einrichtung verbringen, nur 'auf der anderen Seite'. Nämlich als eine der Bewohnerinnen bzw. der dort Arbeitenden. Das heisst, für sie ist es eine Art Wohn- und Arbeitspraktikum. In dem sie drei Wochen, ohne Familie und Freunde, in einer ihr gänzlich unbekannten Lebensgemeinschaft leben darf. Um auszuprobieren, wie das so läuft, arbeiten und leben, ganz ohne ihre Familie.
Dorfplatz |
Als ich sie letzte Woche hinbrachte, zum 'Dorf' Sassen, wo ca. 100 Menschen mit Behinderung gemeinsam in einer dorfähnlichen Gemeinschaft wohnen, in ca. 10 Häusern, die von festen Hauseltern betreut werden, die dort selber mit ihren Familien leben, war ich selber furchtbar aufgeregt. Ob sie das packen würde, so lange von zu Hause fort, in einem ihr neuen und unbekannten Umfeld. Alleine schlafen, aufstehen, arbeiten? Jeden Tag, von 8 bis 12 und nach einer Mittagspause nochmal von 13.30 bis 17 Uhr? Ich glaubte daran, fest, aber als ich mit ihr im Auto auf dem Weg dorthin war, war mir doch bang ums Herz.
Der Weg zu ihrem Haus im Dorf |
Doch sie versicherte mir, 'Mama, ich schaff das'. Und 'komme ja wieder!", lachte, winkte noch einmal und marschierte mit einem Stapel mitgebrachter Spiele zu den anderen Bewohnern ihres Hauses, in dem sie aufgenommen wurde, liebevoll begleitet von ihrer neuen 'Haus'-Mutter auf Zeit. Und ich fuhr ab, doch auch mit schwerem Herzen. Ja, loslassen ist schwerer als ich dachte, vor allem mich als Mutter.
Der Dorfteich |
Wie mir ihre Hausmutter einen Tag später mitteilte, war sie aber super im Haus angekommen, 'ganz fein und lieb, aber doch auch mit Power'. Und es sei toll mit ihr. Und bis auf einige Dispute beim Zähneputzen und Duschen (was sie leider auch zu Hause nur ungerne macht), sei es super mit ihr.
Sie gehe jeden Tag ganz selbständig morgens, mittags und nachmittags zur Weberei im Dorf, und komme ganz zufrieden zurück. Und würde dort Kissen weben, aus dicker Wolle, am Handwebstuhl. Was sie schon in ihrer Schule gelernt hat. Füge sich durch ihre offene und liebevolle Art ganz schön auch in die Gemeinschaft der anderen Bewohner im Haus ein, und sei überhaupt ganz selbständig und 'flexibel'.
Wie ich mich freue, dass es so wunderbar klappt. Und sie mal endlich positiv auffallen kann, durch ihre Art, während sie in ihrer inklusiven Schule so oft aneckt durch ihre Schrullen, ihren Eigensinn und ihre Schwierigkeit, mit Übergängen umzugehen. Nein, dort, wo die Tage ganz und gar durchstrukturiert sind, immergleich ablaufen, weil dort so viele Menschen leben, die feste Abläufe brauchen, hat auch sie endlich mal einen Ort, wo sie sich schnell orientieren kann - und ihre viele Stärken und Fähigekeiten zeigen kann. Und Handarbeiten und Weben ist ja auch eines ihrer Lieblingsfächer in der Schule.
Das nahe gelegene Schlitz |
Ach, ich freue mich so für sie. Dass sie das so selbständig meistert. Und vor allem, dass so dort die tolle Gelegenheit bekommen hat, ein Praktikum zu machen. Ihrer engagierten Hausmutter sei Dank!
Heute nachmittag ist sie allerdings im Dorf nochmal umgezogen, in ein anderes Haus, wo noch mehr jüngere Leute leben. Da die Bewohner des ersten Hauses doch schon älter und etwas zurückgezogener waren, und Lola mit ihrer quirligen, lebendigen Art da doch etwas auf einsamem Posten war. Nun bin ich gespannt, wie es ihr im neuen Haus mit mehr Trubel gefällt, unter Ihresgleichen, aber mit einer neuen Hausmutter, die sie noch nicht kennt. Hoffentlich zeigt sie sich auch da 'flexibel', aber so hörte ich eben, sei der Umzug wohl sehr gut gelaufen...
Im Dorf hergestellte Keramik |
Kleine,
große Lola! Lange dauert es nicht mehr, dann wird sie vielleicht
wirklich ausziehen. Noch kann ich es mir nicht vorstellen. Aber schön zu
wissen, dass es möglich ist!