Freitag, 31. März 2023

On tour in Reudnitz

Immer wieder habe ich solche Sehnsucht nach dem Reisen. Nach neuen Entdeckungen. Aber weder Zeit noch das nötige Geld dazu, mit drei Kindern.

Letzte Woche dachte ich mir: erkunde ich doch einfach mal die eigene Stadt. Leipzig. Denn es gibt so viele Viertel, wo ich noch nie war. Einer davon ist Reudnitz. Gerade mal 3 Kilometer östlich der Südvorstadt, das ich bisher nur vom Durchfahren kenne, obwohl ich seit 2003, seit nunmehr 20 Jahren in dieser Stadt lebe.

Und habe dort eine so bunte, reiche Welt entdeckt. Von der ich nichts wusste, bisher. Dabei liegt sie direkt vor meinen Füßen.

Zum Beispiel das "Cafe Bubu", wo ich eine Lipz-Schorle und einen wunderbar leckeren Apfelkuchen mit Pekanüssen esse. Hellgrün getünchte Wände, an manchen Stellen der Backstein freigelegt. Deckenlampen mit Spitzendeckchen umhüllt, ein chinesischer Fächer an der Wand. Auf dem Tisch ein Gesteck von Trockenblumen, geblümte Kaffeedose, Salzstreuer. Auf jedem Tisch anders, wie auf dem Flohmarkt zusammengesucht. Doch so konsequent, dass es stilvoll und einladend wirkt. Aus den Lautsprechern Bukahara, zwei junge Frauen mit ihren Laptops auf der Fensterbank, im Kapuzenpulli, die eine mit Basecap, die Arme verschränkt, ernst blickend, die sich über eine Gründung unterhalten oder eine Geschäftsübergabe. 

Tauche hier ein in eine neue Welt. Eine Entdeckunsgreise in meiner eigenen Stadt, in der ich mich seit Jahren unter einen Glocke befinde, auf den immergleichen Bahnen durch die Stadt laufe, während hier das Leben sich einfach weiterbewegt. Oder ich es nur so anders wahrnehme, weil ich diese Strassen und Wege und Menschen noch nicht kennen? Wie ein Tourist in der Heimat! 

SCHREIBIMPULS!!! Nimm Dein Schreibheft und fahr mit dem Fahrrad in einen Teil Deiner Stadt, den Du noch nicht kennst. Setz Dich in ein Cafe und notiere, was Du siehst. Wie ist das Mobiliar, die Atmosphäre, wie bewegen sich die Menschen, worüber sprechen sie? Lerne beobachten wie ein Tourist, für den die eigene Stadt zur Entdeckung wird. 

Danach laufe ich zur Mensaria im Botanischen Garten zum Mittagessen mit einer Freundin. Der Weg führt mich vom Täubchenweg hinunter zum Lene Voigt Park, länglich gezogen mit vielen mit graffitibesprühten Stelen, die den Park parzellieren. Mit Erde und Gras gefüllten Gittern als Abgrenzungen, unzähligen Bänken, auf den junge Pärchen diskutieren, und andere mit Kopfhörern und Handy alleine sitzen und Musik hören. Der Park erinnert mich an den Görlitzer Park in Kreuzberg, neben dem ich lange wohnte, irgendwann Ende der 90er Jahre.

Am Rande liegt ein Gemeinschaftsgarten vom BUND, in dem ein junger Typ sitzt und ein Buch liest. Am Robert-MacDonald-Haus (einem Haus für Familien von Kindern, die im Krankenhaus behandelt werden) vorbei laufe ich die Rubenstrasse entlang hinunter bis zur "Sternburg Brauerei" in der Oststrasse. Wo das berühmte, und billigste Bier der Stadt gebraut wird. Das beim Geschmackstest unter Studenten wohl einst gewonnen hat.

Ich laufe weiter hinunter zur Mühlstrasse, wo mir vor dem Mühlstrasse e.V. fast ein Stück Moos auf den Kopf fällt, was eine Krähe vom Dach kratzt. Eine Frau im Kopftuch kommt aus dem Haus, wahrscheinlich vom Frauenfrühstück. Ich gehe an der Fahrradwerkstatt vom Rückenwind vorbei, wo junge Leute an ihren Fahrrädern schrauben, weiter zum Base-Camp, wo ich den Friedenspark erreiche, wo ich zuletzt in der Zeit meiner Doktorarbeit irgendwann vor 2007 einmal mit dem Fahrrad hindurch gefahren bin.

Mache einen Abstecher durch den Apotheker-Garten der Uni, wo die unterschiedlichsten Heilpflanzen wachsen, deren Heilwirkung erklärt wird auf grossen Tafeln. Ich lese über Kräuter, die bei Herzrhythmusstörungen helfen, den Roten Fingerhut, der bei der Einnahme von drei Blättchen schon tödlich wirken kann. Eine Fülle an Wissen, die hier der Öffentlichkeit dargeboten wird. Zu unseren Füßen jeden Tag, von mir bis jetzt unentdeckt. 


Unter den Linden des Friedensparks gehe ich entlang, über die Wiese vorsichtig an blauen Leberblümchen vorbei, die ich nicht zu zertreten versuche. Blühend in diesen jungen Frühlingstagen. Bis zur Linnestrasse, wo ich an der Fakultät für Physik und Geowissenschaften in den Campus einbiege, hin zur Mensaria, die mit runden, steineren Tischen auf der Terasse einladend in der Frühlingssonne liegt. Setze mich auf eine Mauer, klappe mein Journal auf, notiere meine Beobachtungen. Und warte auf meine Freundin S.

Dies ein paar wenige meiner Beobachtungen, mit dem Stift festgehalten. Ein Reichtum, im eigenen Schreiben und Schauen noch einmal vertieft.

Dienstag, 21. März 2023

Happy "Welt-Down-Syndrom" Tag!!!!

Anlässlich des heutigen Welt Down-Syndrom Tages, hier ein MDR-Bericht über Inklusion und wie sie gelingen kann, oder eben auch nicht!

Welt-Down-Syndrom-Tag: Warum Inklusion schwierig oder einfach sein kann

von Mai-Charlott Heinze, MDR THÜRINGEN
Stand: 21. März 2023, 07:34 Uhr

 Es ist ein Bericht über Konstantin (14), der eine inklusive Gesamtschule in Jena besucht, die in freier Trägerschaft geführte "UniverSaale". Was herausragend funktioniert, worüber seine Mutter Christina uns schon so viel berichtet hat. Denn beide kennen wir seit Jahren, seit einem gemeinsam besuchten Lebenshilfe-Seminar in Marburg zum Thema "Welche Schule für mein Kind?" - Schon damals war für uns Mütter klar: wir wollen, dass unsere Kinder gemeinsam mit anderen zur Schule gehen! 

Der MDR-Bericht thematisiert neben dieser Erfolgsgeschichte aber auch die Schwierigkeiten mit der Inklusion an staatlichen Schulen in Thüringen, speziell nach Ende der Grundschulzeit. Am Beispiel von Luca (21), dessen Mutter Claudia Thein (54) über die erlebten Herausforderungen berichtet. Sei es bei der grundsätzlichen Bereitschaft der Schulen, die Kinder mit Förderbedarf aufzunehmen. Bei den Unterrichtsmethoden. Der Beantragung von Ferien- und Hortbetreuung. Oder der Schwierigkeit, eine passende Schulbegleitung zu finden. 

Da können sich die staatlichen Schulen doch einiges von den freien Schulen abschauen! Wovon sicher auch die 'Regel-Kinder' profitieren würden, in puncto Anschaulichkeit des Unterrichts, Projektarbeiten, sozialer Kompetenzen... Aber im Grunde brauch es einen solchen Konzeptes im Vorfeld, damit Inklusion wirklich gelingen kann. In das bisherige Schulsystem einfach ein Kind mit Förderbedarf zu integrieren, mit einem Schulhelfer an der Seite, kann und wird nicht funktionieren.

Montag, 20. März 2023

Lola in der Werkstufe

 Bei der letzten Monatsfeier in der Waldorfschule führt mich Lola ganz aufgeregt zu einer Glaswand, wo sie mir eine kleine Ausstellung ihrer Arbeiten in der Werkstufe präsentiert. 

"Lola in der Werkstufe" hat sie inmitten eines großen Blattes geschrieben, daneben hängen Fotos ihres Werkstufenalltags und einige ihrer Kunstwerke.

 
Ich bin ganz baff, denn solch eine 'Einzelausstellung' habe ich an ihrer Schule noch nie gesehen. Sie ist sichtbar stolz und hüpft aufgeregt auf und ab.


Die Werkstufe ist ein klassenübergreifendes Unterrichtsangebot für alle Kinder mit "Förderbedarf geistige Entwicklung" der 9. bis 12. Klassen. Wo sie vor allem praktische Tätigkeiten erlernen, die auf den Berufsalltag (in der Werkstatt) vorbereiten sollen. 
 

Von der 1. bis zur 8. Klasse, der sogenannten Klassenlehrerzeit, hatte Lola ausschließlich Unterricht im festen Klassenverband mit zwei festen Klassenlehrern. Seit der 9. Klasse, die sie seit September besucht, hat die Klasse hingegen Unterricht durch Fachlehrer und es gibt klassenstufenübergreifende Angebote, wie Projektunterricht und eben die Werkstufe, jedoch ausschließlich für Kinder mit Förderbedarf.

Im monatlichen Wechsel bekommen sie in Kleingruppen Unterricht in Werken, Tierpflege, Gartenbau, Hauswirtschaft und Weben, angeleitet von Fachlehrer:innen und unterstützt von den Schulassistenten der Schüler:innen. 

 Und Lola liebt den Werkstufenunterricht! Besonders begeistert ist sie von Hauswirtschaft, vor allem seit ihrem Praktikum in der Küche einer Kita.

Fleißig presst sie Apfelsaft, schneidet Eier für den Eiersalat, macht den Großabwasch. Letzte Woche haben sie sogar Pralinen selber hergestellt, mit Schokoladenüberzug, was sie besonders toll fand. Vor allem, als sie sie danach auf dem Schulhof verkaufen durfte und Rieseneinnahmen gemacht hat. (10 Euro das Stück war ihr Angebot, das Spendenglas war voller Scheine!!!)

Seit der Werkstufe geht sie sichtlich begeistert in die Schule, auch weil sie endlich gemeinsam mit anderen Kindern mit Förderbedarf lernen kann. Und dabei merkt, was sie schon alles kann und dass sie auch einmal irgendwo die Beste ist. Was sie sichtlich motivert.

 So schön der gemeinsame Unterricht in ihrer Klasse war und immer noch ist, wo sie sich viel von den Anderen abschaut und im Rahmen einer Binnendifferenzierung auch eigene Aufgaben mit geringerem Schwierigkeitsgrad bekommt. So sehr hat sie oft darunter gelitten, dass sie so viel langsamer war als die anderen. "Bin schlecht", klagte sie oft. "Kann ich nicht."

Seit dem Werkstufenunterricht hingegen, wo sie sich kompetent und leistungsstark erlebt, ist sie viel selbstbewusster geworden. Und macht nun auch im Hauptunterricht in ihrer Klassen viel besser und lernbegieriger mit. Hier zeigt sich sehr schön, wie wichtig und gut eine externe Differenzierung an einer inklusiven Schule auch sein kann.

Freitag, 17. März 2023

Küchenfee im Praktikum

Lolas dreiwöchiges Betriebspraktikum in der Küche eines integrativen Kindergartens der Leipziger BBW Gruppe war übrigens ein voller Erfolg. Ich hatte noch gar nicht davon berichtet. 

Sie war (größtenteils) begeistert bei der Arbeit, hat "die ihr übertragenen Aufgaben zuverlässig erfüllt. Sich super ins Team eingefügt, selbst als es zu spontanen Wechseln der Mitarbeiter kam. War offen, höflich, ordentlich und zuverlässig". So steht es alles in ihrem Arbeitszeugnis. 

Es hat mich so gefreut zu sehen, wie sie die klaren, für sie überschaubaren Aufgaben zuverlässig erledigen konnte. Und dabei innerlich gewachsen ist. Weil sie gemerkt hat, was sie alles kann. Wie sie beitragen kann und gebraucht wird. 

Beim Obst und Gemüse waschen, schälen und schneiden. Verteilen von Obst auf die Schüsseln. Portionieren von Joghurt oder Kompott für die einzelnen Gruppen, was sie selbständig anhand einer Liste mit der Anzahl der Kinder pro Gruppe machte. Für jedes Kind ein Löffel Kompott in die Schüssel, wie sie aus einer Tabelle entnehmen musste. Beim Abwaschen und abtrocknen. Säubern der Küche. Verteilen der Wäsche im Haus. Beim Ausbringen der Essenswagen zu den Gruppen im Haus. 


Die immer gleichen Aufgaben, in Variationen, an jedem Tag. Und sie wuchs und wuchs mit den Anforderungen. 

Die Arbeitszeit hatten wir auf 9-13 Uhr beschränkt. 4 Stunden. Danach war sie auch fix und fertig. 

Naja, und an jedem zweiten Tag lag ihre Motivation niedrig. Da liess sie sich nur schwer nach der Pause wieder zum Arbeiten motivieren. Quatschte und gebärdete lieber mit einem der Mitarbeiter, bzw. schreib ihm kleine Texte auf (er war gehörlos). Legte sich sogar mal mit dem Kopf auf die Anrichte. Ja, die Mitarbeitsbereitschaft war an manchen Tagen gering, auch das steht in ihrem Zeugnis. 

Aber das ist seit je her ihr größtes Handicap: ihr schwankender Wille, an einer Sache dran zu bleiben. Will sie etwas, ist es erstaunlich, was sie schafft. Hat sie keine Lust, geht kein Weg rein. 

Umso mehr freue ich mich, wie begeistert sie doch alles in allem mitgemacht hat beim Praktikum. Einer Stelle, die tatsächlich auf dem ersten Arbeitsmarkt wäre, in einem integrativen Unternehmen. 

Wenn sie nochmal ein Praktikum machen will, ist sie jederzeit herzlich willkommen, so sagte die Küchenchefin beim Abschied! 

Und der Leiter der Abteilung Wirtschaftsdienste, Rene Laue, der ihr das Praktikum vermittelt hat, meinte, dass man doch mal schauen könne, ob sie nicht nach der Schule beim Berufsbildungswerk Leipzig eine Ausbildung zur "Fachpraktikantin" machen könne, eine Art abgespeckte Ausbildung mit geringerem Theorie- und höherem Praxisanteil. Na, mal sehen, wie sie sich so weiter entwickelt... Das wären auf jeden Fall schöne Aussichten!

Dienstag, 14. März 2023

Abgeschleppt?

Nach dem Geigen von Lola kommen wir mit dem Auto nach Hause und suchen einen Parkplatz. Mal wieder nichts, in der ganzen Gegend! Da ich später nochmal los will, stelle ich mich kurzerhand in die Feuerwehreinfahrt der Schule bei uns nebenan. 

"Hoffentlich werd ich nicht gleich abgeschleppt", sag ich zu Lola, die neben mir im Auto sitzt. Gerade letzte Woche haben sie hier wieder alle Falschparker abgeschleppt. "Alles gut", sagt Lola und schüttelt beschwichtigend den Kopf. "Komm Mama", sie will nach Hause. 

Kurz nach dem Abendessen stehe ich im Bad, als ich plötzlich ein komisches Gefühl bekomme. Und an mein Auto denken muss: oh nein, hoffentlich werde ich nicht gerade abgeschleppt! In diesem Moment klingelt es. 

"Hier die Polizei", ertönt eine dunkle Männerstimme an der Gegensprechanlage.

"Oh nein, mein Auto"...", antworte ich. 

"Ja, genau", die Antwort. "Bringen Sie bitte Ihren Führerschein und Ihre Fahrzeugpapiere mit!"

Das kann doch nicht wahr sein! Wenigstens klingeln sie vorher. Ob das Auto schon auf dem Abschleppwagen ist? Schnell greife ich meinen Mantel und meine Tasche und rase die Treppe hinunter. Schon die Anfahrt des Abschleppautos ist fast genauso teuer. 

Vor der Türe ein Polizist in voller Montur, schuss-sichere Weste, Waffe, Helm. Ein bisschen aufwendig für ein Falschparken, denke ich. 

"Woher wussten Sie, dass wir es sind?", fragt er. 

"Naja, ich hatte gerade eben das seltsame Gefühl, dass ich abgeschleppt werde. War ja klar!", sage ich und gehe mit ihm Richtung Schule. "Ich hätte mich nicht in die Auffahrt stellen dürfen!"

"Ach, darum kümmert sich überlicherweise das Ordnungsamt. Keine Sorge. Nein, sie sind angefahren worden!" 

Was? Mein Auto angefahren? Das darf doch nicht wahr sein. Ich brauche mein Auto!

An der Schule treffen wir auf einen freundlichen Herrn meines Alters. Der beim Ausparken aus Versehen mein Auto touchiert hat. Am linken hinteren Kotflügel ein kleiner Lackschaden, den man im Dunkeln kaum sehen kann. Erleichtert lache ich auf. 

Die Polizisten wollen noch nicht mal eine Anzeige aufnehmen, informieren nur kurz über das Prozedere, Austausch von Adressen und eigenständige Meldung an die Versicherung.. "Gibt ja zum Glück noch Menschen, die das friedlich miteinander regeln können. Dafür brauchen Sie uns doch nicht", sagt der Polizist lachend und winkt freundlich zum Abschied. 

Der Herr guckt zerknirscht und holt seine Brieftasche raus. Ich blicke auf den kleinen Lackschaden. Dafür mein Auto in die Werkstatt bringen? Schade, dass er nicht einen der anderen Flügel angefahren hat, wo schon Schäden sind. Dann hätte ich mir die Reparatur bezahlen lassen. Aber das? Da ist der Aufwand, zur Werkstatt zu fahren, schon fast zu hoch. 

"Ich kann Ihnen auch 200 Euro überweisen, wenn Sie mögen", schlägt er vor. Ich überlege kurz. 

"Hand drauf", sage ich und schlage ein. 

Am nächsten Morgen habe ich 200 Euro mehr auf meinem Konto. Statt 300 Euro weniger für den Abschleppdienst. Hatte Lola doch recht. "Alles gut, Mama". Sicherheitshalber habe ich den Wagen dann doch in einer freigewordenen Parklücke gegenüber geparkt. Sicher ist sicher.

Montag, 13. März 2023

14 Tonnen Bücher

Beim Tango treffe ich einen alten Bekannten, der einen kleinen Leipziger Verlag führt. "Und, wie geht's so", frage ich beiläufig, ohne eine detaillierte Antwort zu erwarten. Eigentlich will ich tanzen.

"Naja, es knirscht schon gewaltig im Gebälk", sagt er, verzieht die Mundwinkel nach unten und legt die Hand auf seinen Rücken.

"In welchem?", frage ich und vermute Rückenschmerzen, in unserem Alter ja Standard. 

"In der Verlagsbranche", sagt er. "Da braut sich grad ordentlich was zusammen". Und er erzählt, dass ihm sein Logistikunternehmen gerade gekündigt hat, das bis vor einem Monat 14 Tonnen seiner Bücher gelagert und den Versand abgewickelt hatte. "Mit dem dem Argument von Inflation, hohen Energiepreisen haben sie die Preise verdreifacht. Das kam einem Rauswurf gleich." Er zuckt die Schultern. 

"Und jetz?t", frage ich. "Was machst Du mit all den Büchern?" 

Die lagert er jetzt in seinem Haus auf dem Lande, das er vor drei Jahren in Geithain erworben und gerade saniert hat, erzählt er. 

"Vierzehn Tonnen Bücher?", frage ich.

"Ja, das ganze Haus voll, alle drei Stockwerke, jeder Raum. Aber Kosten hab ich keine mehr für die Lagerung."

"Dann kannst du das Haus ja gar nicht mehr nutzen?"

"Nein, erst muss ich alle Bücher verkaufen. Für einen Euro das Stück." Er lacht. "Das kann dauern."

Ich staune über seine Gemütsruhe. Vor allem, als er mir erzählt, wie er die Bücher ins Haus bekommen hat.

Das Unternehmen hat sie ihm freundlicherweise vor die Türe geliefert. In Paletten, geordnet und sortiert. Für schlappe 12.000 Euro. 

Ins Haus hat er sie dann selber gebracht, auf einer Schubkarre. Sechs Wochen hat er gebraucht, jeden Tag. Alleine.

Irgendwann haben ihm die Nachbarn geholfen, nachdem sie ihn tagelang haben schleppen sehen. Aus Mitleid. "Echt nett, die Leute auf dem Land", sagt er lachend. "In der Stadt wär mir das nicht passiert."

"Wollen wir tanzen", frage ich ihn. 

Er nickt. "Knirscht nur ein bisschen im Rücken", sagt er. "Aber das wird schon beim Tanzen."


Sonntag, 12. März 2023

Geburtstagseinladung (III)

Lola ist am Samstag bei N. zum Geburtstag eingeladen. Ein Mädchen aus ihrer Klasse, das sie seit der Kleindkindzeit kennt. Und die sie in der 2. Klasse schon einmal zu einer Übernachtungsparty eingeladen hat, wo sie erstmals alleine übernachtete. Wird sie diesmal gehen? 

"Ja, klar!", antwortet sie spontan als N sie fragt, ob sie kommt und umarmt sie. 

Am Freitag gehen wir in eine örtliche Buchhanldung, um für N. ein Buch zu kaufen. Ich stehe ratlos vor der Auswahl an Jugendbüchern. Unsicher, was N gefallen könnte. Lola kommt zu mir, ein Batik-Set in der Hand, mit einem Jutebeutel, Handlettering Stift und Batik-Utensilien. Dazu ein Manga - Heft. "Das mag N.", sagt sie. Ich finde ihre Auswahl vortrefflich. Erleichtert stelle ich meine Auswahl an verschiedenen Jugendbüchern wieder zurück ins Regal. 

Samstagfrüh. Lola packt ihre Übernachtungstasche, mit Schlafsack, Isomatte, Wechselsachen. Sucht sich wieder das schicke rote Kleid raus, borgt sich ein Jacket von mir aus. Schnell noch Schminke drauf. Sie ist ausgehbereit. Kein Protest oder Zweifel in Sicht. 

Wir nehmen drei ihrer Schulkameradinnen im Auto mit. Alle Mädchen der Klasse sind eingeladen, N. hat Fahrgemeinschaften gebildet, da sie südlich von Leipzig auf dem Land wohnt. Nach der Ankunft läuft Lola zielstrebig mit Koffer und Isomatte ins Haus, winkt mir kurz zu. 'Bis morgen, Mama!" Weg ist sie in der Meute an kichernden Mädchen. Ganz selbstbewusst und ohne jeden Zweifel. 

Ich spaziere noch durchs Dorf. Werfe einen letzten Blick auf das Wohnhaus. Und fahre wieder nach Leipzig. Ein kinderfreier Abend. Theater ist geplant. Hoffentlich kommt spät Abends kein Anruf, dass sie noch abgeholt werden will. Die Mädels feiern alleine, ohne N.s Papa. Wird das gut gehen?

Ich schalte nach dem Theater das Handy wieder an. Kein Anruf. Auch Nachts, Ruhe. 

Sonntag früh wird sie von der Mutter einer Klassenkameradin wieder nach Hause gebracht. Ein bisschen blass, mit müden Augen, aber glücklich. "War super, Mama.", sagt sie und geht ins Zimmer. Erzählt später vom Pizzabacken, Musik und Tanz, Filmgucken. Bis zum Ende der Party war sie aber nicht wach. Ist mit zwei Mädchen eher schlafen gegangen, irgendwo im Obergeschoss, in ihrem Schlafsack. 

Als wir Sonntag Nachmittags noch mal raus wollen, in eine Ausstellung, hat sie aber keine Lust. "Ne, bin müde", sagt sie und geht ins Zimmer, um Musik zu hören. 

Als ich zwei Stunden später wieder komme, liegen überall Wäschestapel. "Hab ein bisschen Haushalt 'macht", sagt Lola, stemmt die Händer in die Hüften und grinst. "Wäsche auf'hängt, Müll weg, und meine Zimmer 'saugt."

Ich bin fassungslos. Tatsache. Das Zimmer ist aufgeräumt und sauber, der Küchenmüll weg, und die gesamte Wäsche ab- und die nasse aufgehängt! Und in der Küche hat sie sogar das Geschirr abgespült. Einfach so. Ich schüttle ungläubig und hocherfreut zugleich den Kopf.

"Darf ich Handy spiel'n?", fragt sie. 

"Klar", sag ich. Was soll ich Anderes sagen? 

Wie sie gewachsen ist. An der Gemeinschaft mit Freunden, an der Selbständigkeit. Wie ich mich freue für sie!



Sonntag, 5. März 2023

An die Saale nach Naumburg

Ein grauer Sonntag mit Schneeregen, was liegt da näher als ein Ausflug ins Grüne (Graue) der näheren Umgebung von Leipzig? Auf nach Naumburg, Stadt an der Saale, gute 45 Minuten mit dem Auto entfernt. Durch die mittelalterliche Altstadt bummeln, den weltberühmten Naumburger Dom besichtigen und an der Saale im eisigen Wind entlang spazieren.

In einem der Innenhöfe von Naumburg fanden sich sogar frei flottierende Regenschirme an Schnüren. Ausschank und Lagerfeuer leider erst nach 18 Uhr. Auch sonst kaum Passanten auf der Strasse.

Nach dem Versuch, in einem der ansässigen Cafe's einen Imbiss zu uns zu nehmen, den wir mangels passendem Angebot (zwei Wiener oder diverse Suppen) abbrachen, stärkten wir uns bei scharfen Reisgerichten beim Indischen Restaurant "Taj Mahal". Deftige Hausmannskost wäre mir lieber gewesen, doch mangels Angebot brachen wir die Suche ab.

Dafür bekamen wir im Naumburger Dom drei Audioguides mit schöner kindgerechter Führung, die uns eintauchen ließ in die Geschichte des spätromanischen bzw. frühgotischen Bauwerkes. Gestiftet u.a. von Uta von Naumburg und ihrem Mann, dem Margrafen Ekkehard, die als eine der 12 Stifter im Ostchor des Domes in Lebensgröße stehen und einen sehr lebendigen Eindruck der Mode und Haarprachten des späten Mittelalters vermitteln. 

Uta von Naumburg, die 'schönste Frau des Mittelalters', in Stein gehauen vom Naumburger Meister. Der neben den 12 Stiftern auch einen sehr plastischen Jesus am Kreuz sowie seinen Weg zum Kreuz über das letzte Abendmahl, den Verrat durch Judas bis zur Kreuzigung am Lettner geschaffen hat. "Kino des Mittelalters", nennt es der Guide. Die Kinder sind fasziniert.

 
Auf unzählige Details wird der Blick gelenkt, nicht zuletzt auf den auf dem Treppenknauf der Franziskustreppe reitenden Teufel, der den Aufgang zum Paradies blockiert. Gegen die Reichen, die sich ihr Leben lang schinden, um weltliche Anerkennung und Prestige zu erreichen. 

Einer Sisyphos-Arbeit gleich.


Geschaffen wurde der Handlauf in den 80er Jahren vom Künstler Klaus Apel, den Darstellungen des Mittelalters nachempfunden. Ein wilder Reigen mythologischer Darstellungen, von dem man zunächst annimmt, er stamme aus der Zeit.

Nach einem Besuch des Kreuzganges, dessen Akustik Pavel mit Bach's Magnificat noch kurz erprobt, verlassen wir zitternd den Dom und erwärmen die erfrorenen Hände bei heisser Schokolade im gegenüberliegenden Kaffeehaus. Leider reicht das Geld nur noch für zwei heiße Schokoladen, da man weder beim Inder noch hier mit EC-Karte zahlen kann. Nach Bitten und Flehen erweicht sich Lola, mir zwei Schluck abzugeben. Und wieder frage ich mich, ob ich doch zu selbstlos bin.

Zuletzt noch ein Halt bei der Wein- und Sektmanufaktur, wo wir eine gute Flasche Müller-Thurgau erstehen und - gegen den Protest der Kinder - einen Spaziergang an der Saale entlang machen. Vorbei an schrebergartenähnlichen Wochenendbungalows mit Holzplastiken und Trampolinen in den Vorgärten, in den Sandstein gehauenen Feriendomizilen des ausgehenden 19. Jahrhunderts hin zur Fähre am 'Blütengrund', die fest vertäut ist. Und wohl auf Sommergäste wartet.

Wir haben den Tag gut überlebt...

trotz lauernder Gefahren am Wegesrand.

Wenn ihr also mal nicht wisst, wohin mit einem Sonntag. Auf nach Naumburg!

Samstag, 4. März 2023

Geburtstagseinladung (II)

Und Lola ist wieder zum Geburtstag eingeladen! Bei M., die alle Mädchen der Klasse zu einer Übernachtungsparty eingeladen hat. Ich freue mich unglaublich für Lola, denn sie erzählt immer begeistert von M, und wie gern sie sie mag. 

Doch als ich Lola von der Einladung erzählt, reagiert sie verhalten. Ich bin irritert. Ist es, weil M sie nicht direkt gefragt hat, sondern es mir erzählt hat? Ist sie verschüchtert? Hatte sich Parties zwar immer schön ausgemalt, will am Ende aber gar nicht hin. Zu viel Neues, Ungewohntes?

Sie muss sich sicher nur an den Gedanken gewöhnen. Bei E. war es am Ende ja auch schön beim Geburtstag. 

Doch an einem der nächsten Tage sagt sie mir, sie will da nicht übernachten. Ich soll sie abends abholen. Kein Problem, sage ich. 

Wir besorgen ein Geschenk für M in der Drogerie. Knallroten Nagellack und pinken Lippenstift. 'Sicher?", frage ich. "So grell?" 

"Ja, M. mag das." 

Am Tag des Geburtstages muss ich leider arbeiten. Greta soll Lola zur S-Bahn bringen, wo sie sich mit einem anderen Mädchen der Klasse trifft, um gemeinsam zu M's Party südlich von Leipzig zu fahren. Als ich morgens zur Arbeit gehe, ist Lola schon recht aufgeregt. Wird das klappen? 

Das Geschenk ist eingepackt, die Partyklamotten liegen bereit. Ein schickes rotes Kleid mit Palletten, eine schwarze Lederjacke. Lola hat Stil. Zuversichtlich verabschiede ich mich. Was soll schief gehen?

Als ich in einer Arbeitspause mein Handy wieder anstelle, kurze Info von Greta. "Lola will nicht zum Geburtstag." 

Nein! Was ist passiert? 

Kurz vor dem Aufbruch zur S-Bahn war Lola noch kurz am Kühlschrank, um sich eine Salamibrot zu schmieren. Und hat sich eine offene Tomatendose, die dort stand, aus Versehen über das Kleid gekippt. Tomatensosse überall. Auf dem Kleid, im gesamten Kühlschrank, auf dem Boden. Und Lola vollkommen außer sich. 

Sie ließ sich nicht beruhigen. Das Kleid zu säubern, war unmöglich. Ohne das Kleid wollte sie nicht gehen. Und dann war es irgendwann zu spät. Lola verzweifelt. Greta auch. Und ich bei der Arbeit. Mist! 

Als ich am frühen Abend nach Hause komme, liegt Lola auf dem Bett und guckt zufrieden youtube - Videos auf ihrem Tablet. Bleibt lieber zu Hause und guckt Videos, als mit ihren Freundinnen zu feiern. Diese verfluchten Geräte! 

Nicht noch ein Geburstag, den sie verweigert.  Ich will, dass sie wenigstens noch kurz dahin geht. 

Unter Aufbietung all meiner Kräfte und Überredungskünste kann ich sie überzeugen, noch beim Geburtstag vorbei zu gucken. Ich fahre sie. Obwohl es eine halbe Stunde von uns entfernt liegt.

Doch schon beim Reingehen ins Haus von M., klebt sie sich an mich. Zieht sich die Kapuze tief ins Gesicht. Ignoriert die freudige Begrüßung der Klassenkameradinnen. Setzt sich mit gebeugten Kopf an den Tisch und guckt passiv zu. 

Ich gehe eine Runde im Dorf spazieren. Vielleicht wird sie noch warm, muss sich erstmal an die Feier gewöhnen, da sie ja zu spät ist. 

Als ich nach meiner Runde von draussen ins Haus linse, sitzt sie immer noch am Tisch. Hält sich die Ohren zu. In sich gekehrt. Während die anderen Mädchen tanzen und singen. Es hat keinen Sinn. Ich nehme sie wieder mit. 

Doch auf der Rückfahrt im Auto erzählt sie mir begeistert von allem, was die anderen gemacht haben. Sushi gemacht, gegessen, welche Musik sie gehört haben. Wer da war und was sie erzählt haben. Sie ist ganz aufgedreht und fröhlich. 

War es doch wieder gut, sie dorthin 'genötigt' zu haben!? 

Wieviel Selbstbestimmung, wieviel sanfte 'Führung' von außen, im Wissen um das, was ihr gut tut, darf sein? Immer wieder eine Gratwanderung. Gerade in diesem Alter, wo die Kinder zu eigenständigen Erwachsenen heranwachsen.