Immer wieder habe ich solche Sehnsucht nach dem Reisen. Nach neuen Entdeckungen. Aber weder Zeit noch das nötige Geld dazu, mit drei Kindern.
Letzte Woche dachte ich mir: erkunde ich doch einfach mal die eigene Stadt. Leipzig. Denn es gibt so viele Viertel, wo ich noch nie war. Einer davon ist Reudnitz. Gerade mal 3 Kilometer östlich der Südvorstadt, das ich bisher nur vom Durchfahren kenne, obwohl ich seit 2003, seit nunmehr 20 Jahren in dieser Stadt lebe.
Und habe dort eine so bunte, reiche Welt entdeckt. Von der ich nichts wusste, bisher. Dabei liegt sie direkt vor meinen Füßen.
Zum Beispiel das "Cafe Bubu", wo ich eine Lipz-Schorle und einen wunderbar leckeren Apfelkuchen mit Pekanüssen esse. Hellgrün getünchte Wände, an manchen Stellen der Backstein freigelegt. Deckenlampen mit Spitzendeckchen umhüllt, ein chinesischer Fächer an der Wand. Auf dem Tisch ein Gesteck von Trockenblumen, geblümte Kaffeedose, Salzstreuer. Auf jedem Tisch anders, wie auf dem Flohmarkt zusammengesucht. Doch so konsequent, dass es stilvoll und einladend wirkt. Aus den Lautsprechern Bukahara, zwei junge Frauen mit ihren Laptops auf der Fensterbank, im Kapuzenpulli, die eine mit Basecap, die Arme verschränkt, ernst blickend, die sich über eine Gründung unterhalten oder eine Geschäftsübergabe.
Tauche hier ein in eine neue Welt. Eine Entdeckunsgreise in meiner eigenen Stadt, in der ich mich seit Jahren unter einen Glocke befinde, auf den immergleichen Bahnen durch die Stadt laufe, während hier das Leben sich einfach weiterbewegt. Oder ich es nur so anders wahrnehme, weil ich diese Strassen und Wege und Menschen noch nicht kennen? Wie ein Tourist in der Heimat!
SCHREIBIMPULS!!! Nimm Dein Schreibheft und fahr mit dem Fahrrad in einen Teil Deiner Stadt, den Du noch nicht kennst. Setz Dich in ein Cafe und notiere, was Du siehst. Wie ist das Mobiliar, die Atmosphäre, wie bewegen sich die Menschen, worüber sprechen sie? Lerne beobachten wie ein Tourist, für den die eigene Stadt zur Entdeckung wird.
Danach laufe ich zur Mensaria im Botanischen Garten zum Mittagessen mit einer Freundin. Der Weg führt mich vom Täubchenweg hinunter zum Lene Voigt Park, länglich gezogen mit vielen mit graffitibesprühten Stelen, die den Park parzellieren. Mit Erde und Gras gefüllten Gittern als Abgrenzungen, unzähligen Bänken, auf den junge Pärchen diskutieren, und andere mit Kopfhörern und Handy alleine sitzen und Musik hören. Der Park erinnert mich an den Görlitzer Park in Kreuzberg, neben dem ich lange wohnte, irgendwann Ende der 90er Jahre.
Am Rande liegt ein Gemeinschaftsgarten vom
BUND, in dem ein junger Typ sitzt und ein Buch liest. Am
Robert-MacDonald-Haus (einem Haus für Familien von Kindern, die im
Krankenhaus behandelt werden) vorbei laufe ich die Rubenstrasse entlang
hinunter bis zur "Sternburg Brauerei" in der Oststrasse. Wo das berühmte, und billigste Bier der Stadt gebraut wird. Das beim Geschmackstest unter Studenten wohl einst gewonnen hat.
Ich laufe weiter hinunter zur Mühlstrasse, wo mir vor dem Mühlstrasse e.V. fast ein Stück
Moos auf den Kopf fällt, was eine Krähe vom Dach kratzt. Eine Frau im
Kopftuch kommt aus dem Haus, wahrscheinlich vom Frauenfrühstück. Ich
gehe an der Fahrradwerkstatt vom Rückenwind vorbei, wo junge Leute an
ihren Fahrrädern schrauben, weiter zum Base-Camp, wo ich den
Friedenspark erreiche, wo ich zuletzt in der Zeit meiner Doktorarbeit irgendwann vor 2007 einmal mit dem Fahrrad hindurch gefahren bin.
Mache einen Abstecher durch den Apotheker-Garten der Uni, wo die unterschiedlichsten Heilpflanzen wachsen, deren Heilwirkung erklärt wird auf grossen Tafeln. Ich lese über Kräuter, die bei Herzrhythmusstörungen helfen, den Roten Fingerhut, der bei der Einnahme von drei Blättchen schon tödlich wirken kann. Eine Fülle an Wissen, die hier der Öffentlichkeit dargeboten wird. Zu unseren Füßen jeden Tag, von mir bis jetzt unentdeckt.
Unter
den Linden des Friedensparks gehe ich entlang, über die Wiese vorsichtig an blauen
Leberblümchen vorbei, die ich nicht zu zertreten versuche. Blühend in
diesen jungen Frühlingstagen. Bis zur Linnestrasse, wo ich an der
Fakultät für Physik und Geowissenschaften in den Campus einbiege, hin
zur Mensaria, die mit runden, steineren Tischen auf der Terasse einladend in der
Frühlingssonne liegt. Setze mich auf eine Mauer, klappe mein Journal
auf, notiere meine Beobachtungen. Und warte auf meine Freundin S.
Dies ein paar wenige meiner Beobachtungen, mit dem Stift festgehalten. Ein Reichtum, im eigenen Schreiben und Schauen noch einmal vertieft.