Am Freitag hatte ich die Idee, noch schnell vor dem Lock-Down Weihnachtsgeschenke zu besorgen. Und weil alle Kinder gerne malen und zeichnen, war der Weg zum Künstlerbedarf Boesner vorgezeichnet. Eine halbe Stunde um die Mittagszeit sollte reichen, dachte ich mir. Bis mich schon die Anzahl der parkenden Autos auf dem Gelände der Baumwollspinnerei nachdenklich stimmte. Vor dem Laden zeigte sich eine 30 Meter lange Schlange an Kunden, die alle mit Mundschutz geduldig in der Kälte standen. Ich drehte den Wagen um und fuhr weiter.
Ganz in unserer Nachbarschaft ist ein kleiner Künstlerbedarf. Sicher etwas teurer, aber im Schaufenster hatte ich schöne Stifte gesehen. Genau solche, wie sie sich Greta wünscht. Die Auslage wirkte etwas ausgeblichen, als würde die Ware da schon lange liegen, aber der Laden hatte etwas heimeliges.
Und welch eine Freude, kein einziger Kunde im Laden. Das würde ein herrlicher Weihnachtseinkauf werden. Ich dachte an die armenKunden, die immer noch vor Boesner in der Kälte froren.
Eine aufmerksame Dame fragte gleich nach meinen Wünschen und führte mich zu den Kalligraphiestiften. Zeigte mir ein paar poppig bunte Stifte zum Malen von Mangas.
"Nein, meine Tochter ist schon älter. Haben Sie auch andere Farben?", fragte ich.
"Meinen Sie, dass ältere Kinder nicht auch noch mit solchen Farben malen können? Das sind professionelle Stifte", antwortete sie. "Hier sind auch andere Stifte, schwarze, etwas langweiliger halt". Zeigte auf die Auslage, drehte sich um und ging wieder zum Tresen zurück.
Ich stand vor einer Auslage an unzähligen Stiften, Tuschen, Federn, Haltern. Vor den Kopf geschlagen. War ich zu unhöflich gewesen mit meiner Kritik an ihren poppigen Stiften? Ich schaute unschlüssig über die Menge des Angebotes, nahm dieses und jenes in die Hand. Konnte mich nicht recht entscheiden.
Wie waren noch die Marken der bekannten Kalligraphiestifte? Ich schaute im Handy nach und steckte es wieder in meine Handtasche. Sakura. Tombow. Und Faber-Castell. Aber die lagen hier nicht. Dafür schöne Tusche, zum Kalligrafieren mit der Feder. Ich wandte mich nochmal an die Dame mit der Frage, ob sie mich bei der Auswahl unterstützen könne.
Mit zusammengekniffenen Augen trat sie auf mich zu. "Sie müssen verstehen, doch wenn jemand so zur Handtasche greift, da werde ich schon aufmerksam. Was soll ich da schon denken?"
Mir blieb kurz die Sprache weg. Ach ja, vorhin hatte ich mein Handy aus der Handtasche geholt. Wollte sie damit andeuten, dass ich vielleicht etwas darin hatte verschwinden lassen? Als einzige Kundin im Laden.
"Also, ich wollte Sie eigentlich nur fragen, was Sie denn für Tusche haben? Und welche Federn dazu passen?"... stotterte ich.
"Na sehen Sie doch. Hier steht hier die Tusche", sagte sie und deutete auf die unzähligen Tuschetöpfchen.
Da stellte ich die Tusche einfach wieder hin, die ich zur Auswahl gehabt hatte. Drehte mich um. Und ging.
Die in der Kälte wartenden Kunden vor Boesner waren jetzt bestimmt alle schon im Laden.
Die Stifte habe ich am Samstag morgen dann einfach bei Boesner im online-Shop bestellt. Dabei hätte ich den lokalen Einzelhandel so gerne unterstützt.