Freitag, 11. November 2016

Leonard Cohen by PM

Mein Vater hatte das grosse Glück, gemeinsam mit meiner Mutter im Jahr 2009 (glaube ich) Leonard Cohen auf einem Konzert in Berlin erlebt zu haben. Und - zutiefst beeindruckt davon - hat er diesen Text verfasst. Für seine damalige Internetseite 'Profmahlstedt.de', die es nun schon länger nicht mehr gibt.

Und heute, möchte ich diesen Text mit Euch teilen. Weil er so viel über Leonard Cohen sagt. Aber noch viel mehr über meinen Vater. Der vor genau 5 Jahren gestorben ist.


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Leonard Cohen am Wochenende zur Deutschen Einheit
Der Besuch der Feiern zur Volljährigkeit des wiedervereinigten Deutschland waren schon auch ein Anlass für uns gewesen, nach einem bayrisch-schwäbischen Wochenende schnell wieder nach Berlin in unsere neue-alte Heimat zu kommen. Aber der feierliche Rahmen zwischen Siegessäule und Brandenburgertor mit den bekannten Fress- und Saufbuden unterschied sich nur marginal von vorhergehenden Ereignissen und weitergehende Informationen zum Anlass des Festes konnten wir auch nicht finden. Schade, schade. Nur arm an Hingabe und auch nicht sexy stellte sich hier Wowis Berlin dar, 

 ... aber da war ja noch Leonard Cohen und die O2-Arena in Friedrichshain.
Mein Bauchgefühl vor der Veranstaltung war zumindest indifferent. Da erwarte ich einen Meister der leisen Töne und eher verhaltene Rhythmen, den lange dunkel depressiven Poeten, über Jahre im buddhistischen Kloster Entschwundenen, nun plötzlich auf einer Welttourneé aus Gründen akuten Geldmangels nach Betrug durch eine Managerin, die mal eben 5 Mio USD verbraten hatte.
Und ich finde eine knackvolle Arena mit 12000 Zuhörern in einer Kollektion, die man in dieser Menge eigentlich nie antrifft. Kein Krach, kein Krawall, offene erwartungsvolle Gesichter. Ein freundlicher Herr – eine Reinigungskraft muss man wohl sagen - bemüht sich die Spuren eines umgefallenen Wasserbechers zu beseitigen – das habe ich ehrlich noch nie in einer derartigen Umgebung erlebt.
Nun bin ich kein erklärter LC-Fan und kenne weder seine Poesie noch seine Lieder näher, kann wohl manche bekannte Lieder mitsummen,  verzichte ziemlich schnell die Texte verstehen zu wollen und gebe mich ganz dem Erlebnis der Stimme und der Körpersprache hin.
LC wirkt zart und fast gebrechlich, seine Bewegungen machmal fast tapsig auf der Bühne, die schlanken Hände sind schon vom Muskelabbau des Alters gezeichnet. Wenn er wie alle Bandmitglieder als Markenzeichen den Hut trägt, dann wirkt er fast maffiös, aber jedesmal wenn er wie so häufig den Hut abnimmt, dann erstrahlt ein fast jungenhaftes, schelmenhaftes Gesicht, das mit großen  Augen das riesige Interesse der 12000 fast amüsiert und dankbar erlebt. LC nimmt sehr häufig den Hut ab. Bei jedem Solo seiner Bandmitglieder lauscht er andächtig, nimmt den Hut vor die Brust und freut sich mit uns über ausdrucksvolle Soli, wunderbare Musik. Zuerst dachte ich, es sei nur eine ungewohnte Art, seine Band vorzustellen. Zumeist passiert das ja am Ende und nicht am Anfang.
Aber nein, das ging im gesamten Konzert so. LC konnte andächtig vor dem Flamencogitarristen und seinen stimmungsvollen Soli knien, um dann Stimme und Körper gemeinsam für die Fortführung der Botschaft zu erheben.
Und dann diese dunkle Stimme, die wohl erst in den letzten Jahren eine unverkennbare Rauigkeit gewonnen hat mit unnachahmlicher Modulationsfähigkeit und Dynamik. So hockt er oft mit gekrümmtem Rücken am Boden, haucht mit geschlossenen Augen Verse in das Mikro, das er zumeist mit der linken Hand zu Seite abdeckt, um sich konkordant zur Intensität seiner Botschaft bei langsam stärker werdender Stimme zu erheben und dann in voller Größe höhere Stimmlagen zu erreichen, die dann als Abschwung eines Spannungsbogens rasch wieder abfallen.
Dieses Zusammenspiel von Körper und Stimme fasziniert mich ungeheuer, es ist in der Tat „ body and soul“. Das ist wohl das besondere und einzigartige eines Life-Konzertes, das man durch keine Aufzeichnung bewahren kann. Dazu gehört natürlich auch die Reaktion des Publikums, das spätestens die fünf Zugaben als „standing ovations“ zelebriert. Gebannt lauschen wir der Botschaft eines weisen musikalischen Genies, der in seinem langen Leben als Lyriker, Schriftsteller, Folksänger und zwischenzeitlicher Mönch das Leben in voller Breite gelebt hat und uns amüsiert lächelnd an seinen Erkenntnissen teilnehmen lässt. 
Die letzte Zugabe hören wir von der Band a capella, sie stehen da in einer Kette Arm in Arm und LC schenkt uns ein letztes Lächeln : Good bless you, good luck!
Und dann verläßt er nach 3 Stunden wahrhaft anstrengenden Konzertes die Bühne nicht etwa würdevoll gemächlichen Schrittes, nein, er hüpft wie ein junges Reh über die Bühne die Treppe hinunter und davon, lacht , schwenkt fröhlich winkend seinen Hut, wohl neuen Konzerten entgegen.
Mario Adorf soll gesagt haben:
Ein Mann ist dann erfolgreich, wenn er immer etwas mehr Geld verdient, als seine Frau ausgibt. Eine Frau ist dann erfolgreich, wenn sie einen derartigen Mann gefunden hat.
Diese wichtigen Zusammenhänge haben uns einen wunderbaren Abend beschert.

Von PM (ProfMahlstedt).

Von der anderen Seite

Es sind dunkle Zeiten. Dunkelheit auch in mir. Ich wollte, es wäre anders.

Gestern auf dem Fahrrad wurde mir ganz traurig. Und ich dachte, wer denn noch lebt, in dieser Zeit. Der etwas von dem Licht in sich trägt. Ein Mensch von Größe. Ein Mensch, der mir ein Vorbild sein kann. Bei dem ich Liebe spüre, echtes Engagement und Hingabe. Ein Mensch, der für etwas steht. Immer seltener anzutreffen in diesen Tagen. In dieser Zeit.

Leonard Cohen. Dachte ich. Leonard Cohen ist so ein Mensch. Der mit seiner Stimme tief ins Gefühl dringt. Mit seinen Worten etwas Göttliches streift. Leonard Cohen, den mein Vater kurz vor seinem Tod auf einem Konzert in Berlin gesehen hat. Und wie verwandelt war davon.

Der mir - gerade 17 Jahre alt - den ersten langen Frankreichurlaub hinweg das Gefühl gegeben hat, auf der anderen Seite zu stehen. Während wir Dosennudeln aus der Mikrowelle aßen und uns tief in die Augen schauten. Und Cohen sang 'Suzanne takes me down'...

Leonard Cohen, ist so ein Mensch, dachte ich. Gestern auf dem Fahrrad. Und dass ich ihn sehen will, noch einmal sehen. Bevor auch er stirbt. Ihn spüren. Seine Nähe, seine Kraft und Weisheit. Hinter diesen Worten, die ich nicht greifen kann. Die mich aber verwandeln.

Und heute morgen schlage ich die Zeitung auf. Und lese: Leonard Cohen ist tot.

Und da ist endgültig etwas in mir zerbrochen. Und die Tränen sind aus mir geflossen. Tränen, die ich sa lange schon zurück gehalten habe.

Um Leonard Cohen. Um meinen Vater. Um all die Großen. Die gestorben sind in diesen Tagen, Wochen, Jahren.

Die uns voraus gegangen sind. Und uns zurück gelassen haben. In dieser Welt.

Für die nun wir die Verantwortung tragen. Wir allein.

Und wenn ich mich umschaue, dann weiß ich. Dass es Zeit ist, diese Welt wieder zum Leuchten zu bringen. Auch wenn ich noch nicht weiß, wie. Und woher ich die Kraft nehmen kann.

Vielleicht von der anderen Seite.

Doch wer, wenn nicht wir. Wer, wenn nicht ich.

Diese Zeilen für meinen Vater. Und für Cohen. In Liebe.

"It's over now
the water and the wine.
We were broken then,
now we're borderline.
I wish there was a treaty
I wish there was a treaty
between your love and mine."

Die letzten Zeilen aus Leonard Cohen's letztem Album. "Darker than me".