Ursprünglich sollte in dem MDR-Beitrag über uns auch Monika Hey mitwirken. Eine Journalistin, die vor zwei Jahren das Buch 'Mein gläserner Bauch' veröffentlicht hat. Über ihre Erfahrungen mit der Abtreibung ihres Sohnes mit Down-Syndrom im Jahr 1998. Ein Buch, das unter die Haut geht. Das jeder gelesen haben sollte. Die, die vor der Frage einer Abtreibung stehen und all die anderen. Es ist ein todtrauriger und unglaublich mutiger Bericht, über ihre innerste Erfahrung mit der (quasi ärztlich genötigten) Entscheidung, ihr Kind abzutreiben. Dem traumatischen Erlebnis der Abtreibung selbst, das sie in einer Offenheit berichtet, mit Bildern, die mich lange nicht wieder losgelassen haben. Und der psychischen Krise, in die sie daraufhin gerät und die sie sicher auch durch das Schreiben dieses Buches zu bewältigen sucht.
Leider, leider war sie aus Krankheitsgründen verhindert, an der Reportage mitzuwirken. Vielleicht wollte sie auch nicht. Unser (oft anstrengendes, aber kunterbuntes) Glück gegen die Abwesenheit eines geliebten Menschen gestellt zu sehen, nichts stelle ich mir schmerzhafter vor.
Und doch möchte ich an diesem Punkt drauf hinweisen. So öffentlich. Denn als die Filmemacher der Reportage, Stephan Liskowsky & Dinah Münchow, eine andere betroffene Mutter gesucht haben, die über ihre Erfahrungen nach einer Abtreibung berichtet, haben sie trotz intensiver Recherchen keine gefunden. Keine einzige. Die bereit gewesen wäre, öffentlich darüber zu sprechen. Noch nichtmal anonym.
Was in erschreckender Weise deutlich macht, vor welch einem menschlichen Drama wir stehen. Über das niemand berichtet. Niemand! Weil alle schweigen. Aus Schmerz, aus Scham, aus Trauer oder Wut.
Es hört sich so leicht an. Ein Bluttest. Die Kassen übernehmen die Kosten. Keinem Ungeborenen wird Schaden zugefügt. Und wenn das Ergebnis positiv ist? Abbruch der Schwangerschaft.
Um Leid der Mutter zu vermeiden. Das ist die Logik der 'medizinischen Indikation', die Abtreibungen auch nach der 12. Woche erlaubt. Und niemand beschmutzt sich die Hände, denn es geht ja allein um das Wohl der Mutter (und des Vaters). Die vor dem bedrohlichen Leid eines Lebens mit einem Kind mit Trisomie 21 bewahrt werden. Die Entscheidung für die 'Euthanasie' wird in die Hände der Eltern gelegt. Gesellschaftlich abgesegnet.
Aber was für ein Leid durch die Entscheidung entsteht? Darüber spricht keiner. Weil sich keiner darüber öffentlich zu sprechen traut. Weil das Thema Tabu ist. Über die Leere, die ein Mensch hinterlässt, den man nicht gewollt hat. Über dessen Tod man nur so schwer trauern kann. Weil man ihn selber herbei geführt hat.
Weil er der Vorstellung vom idealen Kind so gar nicht entsprechen wollte. Aber welches Kind lässt man dann zu? Was muss es denn können, damit es gewollt ist? Welchen Mindest-IQ, Notendurchschnitt und Grad an Anpassungsfähigkeit darf es denn haben, damit es leben darf? Wo fang ich da an? Wo hör ich auf? Dürfte ich leben, mit meinen Launen? Meinem Rauf und Runter? All meinen Zweifeln und depressiven Verstimmungen? Bin ich stabil und belastbar genug, oder wäre ich auch durchs Raster gerutscht, wenn man darauf testen könnte?
In der Zeitschrift Leben mit Down-Syndrom war vor einiger Zeit ein Artikel über eine Fragebogenuntersuchung unter Eltern eines Kindes mit Down-Syndrom. Wie sich die Geburt ihres Kindes auf ihr Leben, auf ihre Partnerschaft, auf die Beziehung zu anderen Geschwistern ausgewirkt habe. Die große Mehrheit der Eltern antwortete: positiv. Dasselbe fragte man auch Eltern, die ein Kind mit Down-Syndrom abgetrieben hatten. Die Mehrzahl antworteten, dass sich die Entscheidung negativ auf ihre Partnerschaft, auf ihre Lebenszufriedenheit und die Geschwisterbeziehung ausgewirkt habe.
Leid verhindern? Kann man durch die Entscheidung gegen ein Leben wirklich Leid verhindern? Oder nicht umso mehr schaffen? Im Stillen.
7 Kommentare:
Du hast wieder einmal einen wundervollen Text in die Welt geschenkt, liebe Amélie, so mutig und ehrlich auf den Punkt gebracht. Ich bin überzeugt, dass du etwas verändern hilfst in dieser Welt.
Danke! Gabriela
Danke dir, Gabriela. Immer wieder! Ja, dieser Text schlummerte seit langer Zeit in mir. Jetzt war der Zeitpunkt, die Worte loszulassen...
Deine Amelie
Hallo Amelie, leider haben wir es noch nicht geschafft, uns zu treffen...aber ich habe natürlich den Film gesehen und war wieder zu Tränen gerührt. In solchen Momenten merke ich immer wieder, dass ich, wie du, meine Erwartungen an mein Kind nicht so schnell verabschieden konnte wie ich akzeptiert habe, dass es anders ist und dass ich es über alles liebe.
Als Prof. Faber vom Downsyndrom wieder als Erkrankung sprach war ich so wütend. Ich kann es nicht fassen, dass er einerseits die Verantwortung der Einflussnahme auf die Entscheidung der Eltern von sich weist, andererseits aber das DS mit einer Krankheit gleichstellt. Als ob unsere Kinder unheilbar krank und totgeweiht seien...
Danke für den Film und herzliche Grüße von Katharina und Una
Liebe Amelie!
Ich bin auf deinen Blog gestoßen über die Sendung. Und ich muss sagen, ich bin wirklich begeistert!
Natürlich über Lola =) aber noch mehr über deine Sicht auf das Leben. Du schreibst mir sehr aus der Seele! So wie du schreibst, das manche Texte zu dir kommen, wie die Badlektüre bei deiner Mutter, so glaube auch ich, dass dein Blog aus gutem Grund zu mir gefunden hat. Vielen vielen Dank, dass du deine tolle Sicht auf die Welt teilst!
Vielen dank für den tollen Texte -er trifft den Nagel auf den Kopf -es ist schon komisch wenn 9 von 10 kindern mit Unserer Besonderheit bewusst abgetrieben werden um den Eltern angebliches Leid zu ersparen wieso findet man von vom Leid befreiten niemand der sich äußern möchte -ich finde es grausam dass Geld in immer mehr vorgeburtliche Diagnostik gesteckt aber niemand an Aufklärung denkt um den Familien zu zeigen wie schön das Leben auch mit einem Chromosom mehr sein kann
Danke, Katharina, ja, diese fehlende Verantwortung der Ärzte, wenigstens für eine gute Beratung, ist wirklich ein Skandal. Und ja, der Terminus 'Krankheit' prädestiniert ja geradezu das Todesurteil. So ist es. Und wir müssen etwas dagegen tun! Sonst sind unsere Kinder bald die Letzten....
Und auch dir liebe Eva, vielen Dank für deinen lieben Kommentar. Und wie schön, dass sich mein Blog so zu dir geschlichen hat und dich so berührt....
Und ja, Nadine. Mehr Eltern zeigen, wie schön das Leben mit einem Kind sein kann, da würde ich gerne mehr Zeit und Energie reinstecken. Wer hätte denn Interesse daran, da viel Geld reinzustecken? Wir bräuchten wirklich einen großen Sponsor...
Alles Liebe,
Amelie
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