Die vergangenen Wochen zu Hause mit drei Kindern haben ihre Spuren hinterlassen, was meine Belastbarkeit angeht. Obwohl der Alltag durchaus zu bewältigen ist, was die Abfolge der Handgriffe angeht, ist es vor allem die Unsicherheit im Außen, die mir meine geistige Energie raubt. So dass ich mich den Kindern und ihren täglichen Herausforderungen nicht mehr so bewusst und präsent widmen kann wie sonst. Im Kopf oft woanders bin und überlege, wo man nicht überall Hilfe her organisieren könnte und wie man es bewirken könnte, dass auch Greta endlich wieder in die Schule gehen kann. Um ihre Freunde zu sehen, sich an denen zu reiben, statt an mir, ihr Grundbedürfnis nach ihren Peers auszuleben, was für eine 14-jährige eigentlich wichtiger ist als Wasser und Brot zusammen.
Keine leichte Sache: gleichzeitig auf die vielen forschenden Fragen des Siebenjährigen angemessen zu antworten und mir seine detaillierten Geschichten bzw. Baupläne über den Pool mit Unterwasserrutsche, den er gerade im Garten baut, anzuhören. Auf Lolas Wünsche nach gemeinsamem Lesen in ihrem Leselernbuch einzugehen und immer wieder ihre Maschen aufzunehmen, die sie beim Stricken hat fallen lassen (als Waldorfschülerin kann sie das leider besser als ich es je konnte). Und bei Dauerbeschallung durch Popsongs von Greta, ihren meist patzigen Bemerkungen und ur-plötzlichen Abgängen, immer ruhig und respektvoll zu bleiben.
Und gestern mittag ist es plötzlich mit mir durchgegangen. Obwohl alle gerade friedlich und gut gelaunt im Garten saßen. Doch ich hatte es nicht geschafft, die Tortellini abzugiessen! Weil ich kein Abtropfsieb hatte. Da lagen sie, diese warmen, frischen, aufgequollenen Tortellini im heissen Sud im Topf und mir fiel keine Möglichkeit ein, wie ich sie da raus bekommen sollte. Alles viel zu heiss und kochend, und der Topfdeckel fehlte, den ich hätte benutzen können. Und plötzlich ist eine Leitung durchgebrannt. Ich fühlte mich einfach hoffnungslos überfordert und hab nur noch lauthals rumgeschimpft, in Tiraden den Kindern Vorwürfe an den Kopf geworfen. Außer Kontrolle. Für wenige Momente, doch es hat gereicht.
Nachdem ich mich im Nachgang bei allen entschuldigt hatte, waren die Kinder wieder halbwegs versöhnt und beruhigt. Doch am Abend machte Pavel den Vorschlag, dass wir doch wieder eine Strichliste einführen sollten. Und ich bei jedem Wutanfall einen Strich bekomme. Und wenn ich 10 Striche hab, dann gibt's eine Strafe.
So eine Liste hatten wir eine Zeitlang, für alle von uns, wo man eben bei jedem 'Vergehen' einen Strich kriegt. Ursprünglich war das die 'Nö-Liste', wo Lola für jedes 'Nö' einen Strich bekam. Um ihren Widerspruchsgeist etwas zu bändigen. Und es hat erstaunlich gut funktioniert bei ihrer Selbstregulierung, auch wenn ich sonst gar nicht der Fan von solchen Strafsystemen bin. In dieser Liste gab es neben dem Eintrag 'Nö' natürlich auch noch andere Rubriken, wie Motzen, Trödeln, Unterbrechen. Halt die verschiedenen Spezialbaustellen jedes Familienmitglieds.
Und damit die Liste funktioniert, braucht es natürlich auch eine kleine 'Strafe', wenn das Soll von 10 Strichen voll ist. Die doch so 'schmerzlich' ist, dass man sich lieber zusammen reisst.
Greta erklärte sich bereit, dass sie bei 10 Strichen 2 Tage kein Netflix schauen darf. Was als Serienjunkie gar nicht so leicht ist. Bei mir machte sie den Vorschlag, dass ich zwei Tage nicht rauchen dürfe. Was ich unangemessen schwer fand, doch als Anreiz wahrscheinlich gut funktioniert. Lola sollte zwei Tage kein Playmobil mehr spielen dürfen, überlegten wir, was sie aber so furchtbar fand, dass sie gleich einen kleinen Schreianfalll bekam. Also, als 'Strafe' auch gut geeignet. Pavel erklärte freudig, er könne dann ruhig auch zwei Tage keine Filme mehr schauen (zur Zeit abends eine Folge 'Schlümpfe'). Wobei es mir erschien, dass ihm das zu leicht fallen würde.
'Nein, ich finde, du darfst dann zwei Tage nichts lesen", meinte ich. Worauf er mich vollkommen entsetzt anstarrte, heftigst mit dem Kopf schüttelte, als hätte ich etwas gänzlich Unvorstellbares, Unmögliches, vollkommen Absurdes und zutiefst Entsetzliches gesagt. "Nein, Mama. Das geht nicht. DAs darfst Du nicht. Das KANNST du nicht machen! Dann darfst du 8 Wochen nicht rauchen."
Denn wenn die Corona-Krise eines geschafft hat, dann: ihn zum echten Bücherwurm zu machen. Er hat angefangen, einfach alle Bücher im Regal durchzulesen. Drei Fragezeichen, Räuber Hotzenplotz, 5 Bände Harry Potter, gerade sogar 'Emil und die Detektive' von Erich Kästner. Stundenlang, verschwindet er in seinen Welten, auf dem Bett liegend, selbst unter der Decke mit Taschenlampe.
Nein, ihm das Bücher-Lesen zu verbieten, das konnten und durften wir ihm nicht 'antun'. Das war unverhältnismäßig hart. Das hatte ich verstanden. Einem kleinen Tode gleich. Also doch kein Film mehr schauen. Das war zu überleben.
1 Kommentar:
Liebe Amelie,
Wie wunderbar, dass Pavel - besonders in dieser merkwürdigen Zeit- solche Freude in Büchern findet. Bei mir fing es genauso an, wahrscheinlich in einem ähnlichen Alter, und lese dieses Jahr auch wieder viel mehr. Ähnlich wie du in deinem letzten Post beschrieben hast, empfinde ich das Internet als immer dichter, lauter, schneller (was nicht nur schlecht ist) und dein Blog ist darin wie eine wunderbare Ruheinsel, in die ich alle paar Monate mal wieder reinschaue.
Ich habe mich riesig gefreut, nun wieder etwas von euch zu lesen und wünsche euch alles Gute.
Viele Grüße aus dem Süd-Westen
Ann
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